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Corona-Krise und kein Ende? Psychotherapeuten: Fünftel der Schüler leidet noch immer

HANNOVER. Einsamkeit, Ängste und Erschöpfung: Die psychischen Folgen der Corona-Zeit lasten noch immer schwer auf vielen Kindern und Jugendlichen. Besonders betroffen ist ein Fünftel der jungen Menschen, warnt die Psychotherapeutenkammer Niedersachsen – und fordert zusammen mit dem Kinderschutzbund dringend mehr Unterstützung für die Betroffenen. Auch an Schulen.

Viele Kinder leiden laut Psychotherapeutenkammer Niedersachsen noch immer unter den Folgen der Corona-Zeit. Symbolfoto: Shutterstock/KieferPix

Sechs bis acht Stunden Medienkonsum, Vereinsamung, Depressionen und Ängste sowie Essstörungen überwiegend bei Mädchen – das sind Folgen der Corona-Zeit für viele Kinder und Jugendliche. «80 Prozent sind widerstandsfähig durch die Krise gegangen, aber 20 Prozent eben nicht», sagt Götz Schwope, Vorstandsmitglied der Psychotherapeutenkammer Niedersachsen (PKN).

Darauf wiesen zuletzt auch die Ergebnisse der sogenannten Copsy-Studie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) hin (News4teachers berichtete). So gaben im Herbst 2024 etwa ein Fünftel der befragten Kinder und Jugendlichen (21 Prozent) an, dass ihr Wohlbefinden eher schlecht ist, sie unter Angstsymptomen und psychischen Auffälligkeiten leiden. Das sind noch immer deutlich mehr als vor der Corona-Pandemie. Damals hatten rund 15 Prozent der Mädchen und Jungen von einer geminderten gesundheitsbezogenen Lebensqualität gesprochen. «Die Kernaussage der Studie ist, es geht den Kindern und Jugendlichen nach wie vor psychisch schlechter als vor der Corona-Pandemie», kommentierte die Leiterin der UKE-Forschungsgruppe, Ulrike Ravens-Sieberer, die Ergebnisse.

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Belastender Medienkonsum

Ein Problem in diesem Zusammenhang: Kinder und Jugendliche nutzen derzeit soziale Medien sehr stark – teilweise sogar noch stärker als während der Corona-Zeit. «40 Prozent der Kinder nutzen das mehr als vier Stunden», so Ravens-Sieberer. So bekämen sie einerseits Nachrichten aus der Welt relativ ungefiltert, andererseits erführen sie eher Ausgrenzung und Mobbing. Viele Kinder fühlten sich deshalb zunehmend allein. «Die berichtete Einsamkeit hat zugenommen – also sich allein zu fühlen mit seinen Sorgen oder auch mit sich selbst. Das ist extrem gestiegen von 14 auf 21 Prozent.»

Durch den Medienkonsum fehlten rund hundert Tage im Jahr, rechnet auch Psychotherapeut Schwope vor. Stunden und Tage, in denen zwar Informationen zuhauf gesammelt würden, aber keine Erfahrungen im richtigen Leben. «Die vielen Krisen, eine zunehmende Radikalisierung und Polarisierung, da muss man schon einigermaßen widerstandsfähig sein, um Antworten zu finden.» Zumal viele Eltern ebenso viel Social Media konsumierten.

«Wir reden auch über Jugendliche mit zwölf Stunden täglicher Medienzeit und 150 Kilo Gewicht, die zwei Jahre nicht zur Schule gegangen sind», erzählt der Psychotherapeut aus der täglichen Praxis. Die Nachfrage nach Therapieplätzen sei sprunghaft angestiegen. Niedrigschwellige gruppentherapeutische Präventionsangebote für psychisch belastete Kinder und Jugendliche könnten zu einer Entlastung beitragen. Zudem müssten insbesondere Grundschulen besser mit Sozialarbeitern und Lehrerinnen und Lehrern aus anderen Kulturkreisen ausgestattet werden. «Rettet wenigstens die Grundschule», sagt Schwope. «Was wir da verlieren, wird teuer.»

Mehr Therapieplätze könnten helfen

Die PKN und der Kinderschutzbund Niedersachsen fordern eine landesweite Strategie, die psychische Gesundheit junger Menschen zu stärken. Die Wartezeit auf einen ambulanten Psychotherapieplatz für Kinder und Jugendliche sei unzumutbar lang. Die durchschnittliche Wartezeit auf eine psychotherapeutische Sprechstunde betrage circa drei Wochen, bis zum Behandlungsbeginn dauere es dann noch 20 Wochen.

«Unabhängig davon, ob die Zahlen steigen oder nicht: Das Leiden vieler Kinder und Jugendlicher verfestigt sich», sagte Pablo Sennett vom Kinderschutzbund. Zahlreiche Krankheiten hätten ihren Ursprung im Kindes- und Jugendalter, mit massiven Folgen für die Betroffenen.

Neue Online-Plattform bündelt Hilfsangebote

In Niedersachsen soll nun eine neue Online-Plattform Schülerinnen und Schülern helfen, psychische Belastungen zu erkennen und zu lindern. Unter jugendlichestaerken-niedersachsen.de werden Hilfsangebote gebündelt. Neben Erklärungen und Ansprechpartnern sind dort auch Arbeitsblätter für Lehrkräfte und Informationen für Eltern zu finden.

Die Plattform geht zurück auf eine Initiative des Landesschülerrats. Das Ziel: eine zentrale Anlaufstelle für psychische Gesundheit, statt sich durch einen Wust von Angeboten klicken zu müssen. Wichtig sei, dass die Plattform jetzt auch an den Schulen ankomme, sagte der Schülerrats-Vorsitzende Matteo Feind.

Ministerin Hamburg will deshalb die Schulleitungen anschreiben und die Plattform bewerben. Sie hofft, dass darüber auch die Fortbildungsangebote für Lehrkräfte zur psychischen Gesundheit noch besser angenommen werden. Hamburg appellierte zudem an die Eltern, ihre Kinder nicht mit den Krisen allein zu lassen: «Die Welt ist gerade belastend, und trotzdem haben wir alle auch die Pflicht, unsere Kinder dabei zu begleiten und zu unterstützen.»

«Viele junge Menschen kämpfen im Stillen mit Problemen»

Eine professionelle psychologische Hilfe kann und soll die Plattform jedoch nicht ersetzen, wie der Sozialpsychologe Mathias Kauff von der Medical School Hamburg betonte, die die Seite im Auftrag des Kultusministeriums entwickelt hat. Daher enthalte die Plattform auch Hinweise, wann und wie die Jugendlichen Erwachsene einbeziehen sollten.

Aber: Häufig seien es Freunde und Mitschüler, die Veränderungen in ihrer Gruppe wahrnehmen würden. «Viele junge Menschen kämpfen im Stillen mit Problemen», sagte Kauff. Wer sich um einen Freund oder eine Freundin sorge, soll sich daher auf der Webseite über psychische Gesundheit und Störungen informieren können – bis hin zum Thema Suizidgedanken.

«Es ist völlig normal, manchmal Hilfe zu brauchen, und ein Zeichen von Stärke, danach zu fragen», heißt es auf der Seite. Kernzielgruppe sind Jugendliche im Alter von 14 bis 19 Jahren. Das Land hat dafür 200.000 Euro bereitgestellt. News4teachers / mit Material der dpa

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