HANNOVER. Die einen sehen sie als Kulturgut, die anderen als Klotz am Bein: Die verpflichtende Schreibschrift steht erneut zur Debatte – diesmal mit klarer Kante vom niedersächsischen Landesschülerrat. Dieser fordert: Weg mit der Schreibschriftpflicht, her mit mehr Raum für funktionales Schreiben, analog wie digital. Lehrkräfte und Kultusministerium reagieren skeptisch bis ablehnend. Doch die Diskussion trifft einen Nerv: Wie zeitgemäß ist das verbundene Handschreiben wirklich noch im Schulalltag?
Niedersachsens Landesschülerrat (LSR) fordert die Abschaffung der verpflichtenden Schreibschrift im Schulunterricht. «Die Schreibschrift ist kein Zeichen von Bildung, sondern oft ein Hemmschuh für eine lesbare, persönliche Handschrift», sagte der LSR-Vorsitzende Matteo Feind. Die Druckschrift sei ausreichend. Die aktuelle Praxis, in der Grundschülerinnen und -schüler nach der Druck- oder Grundschrift zusätzlich eine verbundene Schreibschrift erlernen müssen, führt aus Sicht des LSR vor allem zu Frust, Zeitverlust und einer Abwertung individueller Handschriften.
«Wir warnen davor, die Schreibschrift künstlich als Kulturgut zu verklären. Kultur bedeutet auch, sich weiterzuentwickeln»
Viele Schülerinnen und Schüler entwickelten eine ganz eigene, gut lesbare Mischform – «eine natürliche Entwicklung, die durch das starre Festhalten an der verbundenen Schreibschrift eher gestört als gefördert wird. Gleichzeitig nimmt das Tippen an Tastaturen im Schulalltag und im späteren Berufsleben eine immer zentralere Rolle ein», so heißt es in einer Pressemitteilung. Statt doppelte Energie in eine auslaufende Schriftform zu stecken, sollte gezielt der sichere Umgang mit digitalen Schreibwerkzeugen gefördert werden. «Was wir brauchen, ist eine Schrift, die uns im Alltag weiterbringt – kein Pflichtprogramm, das mehr verwirrt als nützt», meint Liv Grohn, stellvertretende Vorsitzende des LSR.
Weiter betont der LSR: «Aus unserer Sicht ist die Grundschrift ausreichend, um Schülerinnen und Schüler zum flüssigen und individuellen Schreiben zu befähigen.» Der Fokus im Unterricht sollte der Schülervertretung zufolge stattdessen stärker auf der Lesbarkeit, auf Ausdruck und auf einer sicheren schriftlichen Kommunikation liegen – analog wie digital.
«Wir warnen davor, die Schreibschrift künstlich als Kulturgut zu verklären. Kultur bedeutet auch, sich weiterzuentwickeln. Wenn wir das Schreiben als Werkzeug ernst nehmen, dann müssen wir es auch sinnvoll lehren – mit dem Ziel, dass alle Schüler*innen selbstbestimmt, effektiv und mit Freude schreiben können. Deshalb fordern wir: Die Schreibschrift darf kein verpflichtender Bestandteil des Schriftunterrichts mehr sein. Schulen brauchen zeitgemäße Freiräume für funktionales Schreiben, digital und analog. Für eine Schriftkultur, die der heutigen Zeit gerecht wird.»
«Der Landesschülerrat verkennt in seiner Einschätzung die große Bedeutung des Handschreibens für den gesamten Bildungs- und Lernprozess der Kinder und Jugendlichen»
Kultusministerin Julia Willie Hamburg kann mit dieser Forderung nicht viel anfangen. «Es ist total entscheidend, dass man trotzdem noch richtig schreiben lernt», sagt die Grünen-Politikerin. Eine saubere Handschrift zu beherrschen, sei genauso wichtig wie der richtige Umgang mit einem digitalen Endgerät. Zudem sei das Erlernen verschiedener Schreibweisen förderlich für die Entwicklung eines Kindes. «Ich werde oft gefragt, warum man in der fünften, sechsten Klasse noch schreiben muss und ob man nicht irgendwann einfach nur noch auf solchen Endgeräten rumtippen kann», sagt Hamburg. Am Ende mache es der Mix. «Insofern werden wir das in Niedersachsen auch beibehalten.»
Unterdessen kritisiert der Verband Bildung und Erziehung (VBE) in Niedersachsen die Forderung. «Der Landesschülerrat verkennt in seiner Einschätzung, dass die Schreibschrift überholt und realitätsfern sei, die große Bedeutung des Handschreibens für den gesamten Bildungs- und Lernprozess der Kinder und Jugendlichen», sagt der Landesvorsitzende Franz-Josef Meyer. Die Druckschrift reiche eben nicht aus, um die Kinder zum flüssigen und individuellen Schreiben zu befähigen – «da irrt der Landesschülerrat gewaltig», sagt Meyer. Die Abschaffung der Schreibschrift hätte fatale Folgen für die Entwicklung der Schrift und der Schreibkompetenz.
Nach Angaben des Kultusministeriums lernen Kinder in der Grundschule zunächst die Druckschrift. Die «formklare» Schrift erleichtere das Lesen- und Schreibenlernen. Bis Ende des 4. Schuljahres sollen Schülerinnen und Schüler dann eine individuelle verbundene Handschrift flüssig schreiben können – die Schreibschrift. Verbunden bedeute nicht zwingend, dass die Verbindung von zwei Buchstaben auf dem Papier sichtbar sein muss, heißt es. Am Ende geht es laut dem Kultusministerium vor allem um eines: Schülerinnen und Schüler sollen ihre eigene lesbare Handschrift entwickeln. News4teachers / mit Material der dpa
