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G9-Stellenstopp lässt junge Lehrkräfte im Regen stehen – Philologen-Verband sagt „Verdrängungswettbewerb“ voraus

STUTTGART. Erst Mangel, jetzt Überschuss – und das in Rekordzeit: Während Schulen in ganz Deutschland noch über fehlende Lehrkräfte klagen, stehen viele angehende Lehrkräfte in Baden-Württemberg plötzlich vor einer ungewissen Zukunft. Das Land stellt für die Gymnasien kaum neue Lehrer ein, Bewerberinnen und Bewerber bleiben auf der Strecke. Jetzt eskaliert der Streit um die Stellenpolitik – mitten in der grün-schwarzen Koalition. Auch die Philologen melden sich zu Wort. 

Im Regen. Illustration: Shutterstock

Eigentlich sollte die Rückkehr zum neunjährigen Gymnasium (G9) in Baden-Württemberg, so hatte es sich der Philologenverband ausgemalt, ein bildungspolitisches Erfolgsprojekt werden – mit mehr Zeit zum Lernen, weniger Druck für Schülerinnen und Schüler und besseren Voraussetzungen für vertieftes Lernen. Doch ausgerechnet dieser Systemwechsel entpuppt sich nun als Auslöser eines handfesten bildungspolitischen Streits in der grün-schwarzen Landesregierung. Der Grund: Die Gymnasien bekommen zum neuen Schuljahr kaum neue Lehrerstellen. Bewerberinnen und Bewerber bleiben außen vor – und das sorgt für Frust, Kritik und Proteste.

G9 bringt zunächst weniger Stunden – und damit weniger Bedarf

Der Umstieg auf G9 bedeutet, dass die Lehrpläne künftig auf neun statt acht Jahre verteilt werden. Besonders in den Jahrgangsstufen 5 und 6, die ab dem kommenden Schuljahr als erste den neuen Bildungsgang durchlaufen, reduziert sich deshalb der Stundenumfang. Die Folge: Der akute Bedarf an neuen Lehrkräften sinkt.

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Laut Kultusministerium müssen zum Schuljahr 2025/26 nur rund 360 neue Stellen an den Gymnasien besetzt werden – bei etwa 1.500 Bewerberinnen und Bewerbern. Ein großer Teil der angehenden Lehrkräfte geht also leer aus. Das Ministerium schlägt stattdessen Umwege vor: Wer kein reguläres Stellenangebot an einem Gymnasium bekommt, könne übergangsweise an einer anderen Schulart unterrichten – etwa an Gemeinschaftsschulen oder beruflichen Schulen. Nach drei Jahren sei dann eine Rückkehr ans Gymnasium möglich.

Philologenverband: „Rückkehrgarantie ist eine Mogelpackung“

Doch genau diese „Rückkehrgarantie“ bringt weitere Kritik ins Rollen. Der Philologenverband Baden-Württemberg (PhV BW) wirft der Landesregierung vor, die Perspektiven junger Gymnasiallehrkräfte zu verschleiern. In einer Pressemitteilung mit dem Titel „Trügerische Rückkehrgarantie – eine Mogelpackung?!“ heißt es: „Die sogenannte Rückkehrgarantie ist in Wahrheit eine Verschiebegarantie – das Kultusministerium verlagert das Problem um drei Jahre in die Zukunft, statt es heute zu lösen“, kritisiert die Landesvorsitzende Martina Scherer.

Zwar werde den Absolventen formal eine Rückkehr ins „gymnasiale Lehramt“ zugesichert – jedoch nicht zwingend an ein allgemeinbildendes Gymnasium, was für viele das eigentliche Ziel sei. Die befristete Zuweisung an andere Schularten, die teils gänzlich andere pädagogische Konzepte verfolgen, sei keine echte Lösung.

Martina Scherer warnt: „Wenn dann in drei Jahren Rückkehrer auf die wenigen Stellen drängen, geraten auch künftige Absolventen unter Druck. Das ist keine nachhaltige Strategie – sondern schlicht ein absehbarer Verdrängungswettbewerb auf dem Rücken der Referendarinnen und Referendare!“

Der Verband fordert daher unter anderem:

CDU greift Kultusministerin an (“fahrlässsig”) – Streit in der Koalition

Auch aus den eigenen Reihen der Landesregierung hagelt es Kritik. Der bildungspolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Andreas Sturm, kritisiert das Vorgehen scharf: „Wer heute spart, riskiert morgen einen Zusammenbruch der Unterrichtsversorgung. Das ist nicht vorausschauend – das ist fahrlässig.“

Die CDU fordert einen Kurswechsel von Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne). Sie warnt, dass gut ausgebildete Lehrkräfte, die jetzt nicht eingestellt werden, dem System langfristig verloren gehen könnten. Sturm verweist auf die Gefahr der Abwanderung: „Wenn wir jetzt keine Perspektiven bieten, wandern die Leute ab – nach Bayern, nach Hessen oder ganz raus aus dem Beruf. Dann wird es richtig teuer.“

Darüber hinaus schlägt Sturm vor, die überschüssigen Gymnasiallehrkräfte flexibel dort einzusetzen, wo der Bedarf groß sei – etwa in Vorbereitungsklassen für neu zugewanderte Schülerinnen und Schüler ohne ausreichende Deutschkenntnisse. Dort werde dringend pädagogisches Personal gebraucht. Die CDU will sich deshalb noch vor der Sommerpause mit Ministerin Schopper zusammensetzen, um über kurzfristige Maßnahmen zu beraten.

Kretschmann wiegelt ab: „Andere Schularten sind kein Makel“

Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) verteidigt die Haltung seiner Regierung. Man könne nicht auf Vorrat einstellen, wenn gleichzeitig in anderen Schularten dringend Personal gebraucht werde – und die Haushaltslage angespannt sei (News4teachers berichtete). Er sieht auch keinen Nachteil darin, wenn angehende Gymnasiallehrkräfte zunächst an anderen Schulen unterrichten: „Ich weiß nicht, was schlimm daran sein sollte, mal zeitweise an einer anderen Schulart zu unterrichten. Ganz im Gegenteil: Es kommt einem nachher sehr zugute, wenn man Erfahrungen gemacht hat auch mit Schülern anderer Schulen.“

Die Philologen vermag diese Einschätzung nicht zu beruhigen. „Das Land investiert in eine hochwertige Ausbildung – und lässt die Absolventinnen und Absolventen danach im Regen stehen. Diese Personalpolitik gefährdet auf Dauer das gymnasiale Bildungsniveau“, so Landeschefin Scherer. News4teachers / mit Material der dpa

Lehrkräfte in der Warteschlange – Umstellung auf G9 sorgt für Lehrerüberschuss

 

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