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Reform der Schulstruktur: Abiturquote gesteigert – soziale Kluft erhalten

BERLIN. Die Berliner Schulstrukturreform von 2010/2011 sollte zwei Ziele erreichen: mehr Abiturientinnen und Abiturienten – und weniger soziale Ungleichheit. Eine aktuelle Studie des DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation sowie der TU Dortmund zeigt nun: Während das erste Ziel erreicht wurde, ist das zweite in weiter Ferne.

Naja. Illustration: Shutterstock

Berlin hat sein Schulsystem vor rund 15 Jahren grundlegend umgebaut: Mit der Reform von 2010/2011 wurden Haupt-, Real- und Gesamtschulen zur neuen Schulform der Integrierten Sekundarschule (ISS) zusammengeführt. Neben den weiterhin bestehenden Gymnasien sollten die ISS für mehr Durchlässigkeit sorgen – und mehr Jugendlichen den Weg zum Abitur öffnen. Eine aktuelle Studie des DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation und der TU Dortmund zeigt nun: Die Abiturquote ist tatsächlich deutlich gestiegen. Doch das Kernziel, soziale Ungleichheiten abzubauen, wurde bislang verfehlt.

Abiturquote steigt vor allem an den ISS

„Der Anteil der Abiturientinnen ist bei den untersuchten Schülerinnen insgesamt merklich angestiegen – von 34,8 auf 42,9 Prozent“, erklärt Dr. Anna Bachsleitner, Erstautorin der Analyse, die in der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie erschienen ist. Besonders auffällig sei der Zuwachs an den Integrierten Sekundarschulen: Dort kletterte die Abiturquote von 11,4 auf 19,2 Prozent.

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Die Forschenden begleiteten zwei Schülerkohorten – eine vor und eine nach Einführung der Reform – über mehrere Jahre hinweg. Damit lässt sich der Effekt der veränderten Schulstruktur unmittelbar vergleichen.

Soziale Unterschiede bleiben stabil

Doch bei genauerem Blick auf die soziale Herkunft zeigt sich ein ernüchterndes Bild: Die Ungleichheit beim Abiturerwerb hat sich nicht verringert. „Wenn man die Zahlen nach sozialer Herkunft aufschlüsselt, haben sich die Ungleichheiten im Abiturerwerb allerdings nicht signifikant verändert“, so Bachsleitner.

Besonders stark profitierten von den neuen Möglichkeiten Jugendliche aus Akademikerfamilien. Ihre Abiturquote an den ISS stieg von 27,4 auf 45 Prozent. Zwar legten auch Jugendliche aus nicht-akademischen Familien zu – von 9,4 auf 16,1 Prozent –, doch der Abstand blieb bestehen.

Ein Blick auf die Chancenverhältnisse unterstreicht die Stagnation: Vor der Reform hatten Kinder mit zwei akademischen Elternteilen eine 4,54-mal höhere Chance auf das Abitur als Kinder ohne akademisch gebildete Eltern. Nach der Reform lag der Wert bei nahezu identischen 4,56.

Erklärung: Statuserhalt statt Aufstieg

Das Forschungsteam führt die Entwicklung unter anderem auf das sogenannte Statuserhalt-Motiv zurück. „Dahinter steht die Annahme, dass Schüler*innen aus privilegierten Familien stärker die neuen Möglichkeiten an den ISS nutzen, weil sie den gleichen sozialen Status wie ihre Eltern erreichen wollen“, erläutert Bachsleitner.

Für Kinder ohne akademische Eltern reiche die bloße Reform offenbar nicht aus. Notwendig seien gezielte Unterstützungsangebote, damit diese Schüler*innen die Chancen der durchlässigeren Schulstruktur tatsächlich nutzen können.

Grenzen der Studie und Ausblick

Die Forschenden weisen darauf hin, dass die erste Reformkohorte bereits zwei Jahre nach Einführung des neuen Systems untersucht wurde. Möglicherweise brauche es mehr Zeit, bis sich nachhaltige Effekte zeigen – etwa, wenn Schulen, Eltern und Schüler mehr Erfahrung mit der neuen Struktur gesammelt haben.

Zudem seien die Ergebnisse nicht ohne Weiteres auf andere Bundesländer übertragbar, betonen die Autor*innen. Berlin sei mit seiner besonderen Schullandschaft und hohen sozialen Heterogenität ein Sonderfall. Dr. Anna Bachsleitner zieht ein gemischtes Fazit: „Die Abiturquote ist in allen sozialen Gruppen gestiegen – ein Teilziel der Reform wurde also erreicht. Aber die soziale Schere im Bildungserfolg ist nicht kleiner geworden.“ News4teachers 

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