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“Will unterrichten, nicht verwalten”: Umfrage – Lehrkräfte engagiert, aber strukturell überlastet

STUTTGART. Gymnasiallehrkräfte sind hoch motiviert, fühlen sich aber von Politik und Verwaltung massiv im Stich gelassen. Das ist das alarmierende Ergebnis einer großen Umfrage des Philologenverbands Baden-Württemberg (PhV BW), an der von Mai bis Juli knapp 3.600 Lehrkräfte teilgenommen haben. Die Rückmeldungen zeigen: Der Beruf wird als sinnvoll erlebt, doch Überlastung, mangelnde Wertschätzung und politische Mutlosigkeit treiben viele an den Rand der Resignation.

Überlastet (Symbolfoto.) Foto: Shutterstock

„Unsere Lehrkräfte wollen und müssen gehört werden – und sie erwarten völlig zu Recht, dass Politik und Dienstherr endlich ernsthaft zuhören. Wer fast 3.600 fundierte Rückmeldungen aus dem gymnasialen Schulalltag erhält, darf sich der Verantwortung für notwendige Schlussfolgerungen und Konsequenzen nicht entziehen“, erklärte die Landesvorsitzende Martina Scherer.

Zufriedenheit trotz Überlastung – viele denken an Aufgabe des Berufs

Laut Umfrage empfinden 86 Prozent ihre Arbeit als sinnvoll und erfüllend, 81 Prozent erleben sich als selbstwirksam. Doch 84 Prozent fühlen sich überlastet. „Unsere Lehrkräfte empfinden ihre Arbeit als sinnvoll, wirksam und identitätsstiftend – und das trotz eklatanter Überlastung. Dieses Berufsethos verdient Respekt, politische Unterstützung und Rückendeckung – nicht strukturelle Missachtung“, betonte Scherer.

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Die Zahlen zur Berufszufriedenheit sind besorgniserregend: Nur 34 Prozent haben noch nie daran gedacht, den Beruf aufzugeben, zwei Drittel dagegen schon. Über ein Drittel (36 Prozent) würde den Beruf nicht noch einmal ergreifen. Angesichts des ab 2032 erwarteten gravierenden Lehrkräftemangels durch Pensionierungen und den Aufwuchs von G9 warnt der Verband vor dramatischen Folgen.

„Wer Lehrkräfte derart mit Vorschriften, Konferenzen und Bürokratie überzieht, höhlt den pädagogischen Kern des Berufs aus“

Besonders stark belastend empfinden Lehrkräfte nicht-pädagogische Zusatzaufgaben, zu große Klassen, zeitintensive Korrekturen und zu viele Konferenzen. In den Freitextantworten wird die Frustration deutlich: „Ich will unterrichten, nicht verwalten“, „Man kommt kaum noch zum Atmen“, „Was wir leisten, sieht niemand“. Scherer: „Wer Lehrkräfte derart mit Vorschriften, Konferenzen und Bürokratie überzieht, höhlt den pädagogischen Kern des Berufs aus. Unsere Kolleginnen und Kollegen wollen unterrichten – nicht verwalten.“

Über die Hälfte der Befragten (53 Prozent) sieht die Fürsorgepflicht des Landes schlecht oder gar nicht erfüllt. Nur sieben Prozent fühlen sich von der Landespolitik ernst genommen. „Uns hört niemand zu“, heißt es in einer typischen Rückmeldung. Eine andere spricht von einem „ideenlosen, mutlosen, ahnungslosen Umgang der Politik mit dem Thema Bildung“.

„Wenn sich drei Viertel der Lehrkräfte von der Landespolitik überhaupt nicht ernst genommen fühlen, ist das mehr als ein Stimmungsbild – es ist ein klares Misstrauensvotum gegen eine Bildungspolitik, die Lehrkräfte zu oft ignoriert und übergeht“, erklärte Scherer.

Auch beim Digitalen Arbeitsplatz (DAP) für Lehrkräfte zeigt die Umfrage deutliche Defizite: 81 Prozent kennen oder nutzen ihn nicht. Wer ihn nutzt, ist überwiegend unzufrieden. Kritikpunkte sind technische Probleme, komplizierte Zwei-Faktoren-Authentifizierung, geringer Speicherplatz und fehlende Anbindung an gängige Mailprogramme. „Eine Digitalisierung, die zusätzlichen Aufwand schafft, ist keine zukunftsweisende Reform, sondern einfach nur eine Zumutung. Wir brauchen durchdachte, leicht benutzbare und professionell betreute Systeme – nicht bloß gut gemeinte Pilotversuche“, forderte Scherer.

Forderung nach Arbeitszeiterfassung

68 Prozent der Lehrkräfte sprechen sich für eine systematische Arbeitszeiterfassung aus, um ihre tatsächliche Belastung sichtbar zu machen. „Eine systematische Erfassung der Arbeitszeit würde endlich Transparenz schaffen – sowohl gegenüber der Gesellschaft als auch gegenüber der Politik. Sie könnte deutlich machen, wie viel Zeit Lehrkräfte tatsächlich für Korrekturen, Elternarbeit oder außerunterrichtliche Aufgaben aufwenden“, heißt es in einer Stellungnahme.

Die Umfrage zeigt, dass insbesondere Schulleitungen überfordert sind – durch Elternarbeit, Personalmangel, Bürokratie und mangelhafte Digitalisierung. „Unsere Schulleitungen stehen unter massivem Druck – sie übernehmen sehr viel Verantwortung bei gleichzeitigem Ressourcenmangel und wachsender Bürokratie. Ohne gezielte Entlastung und Wertschätzung ist gesundes Führungshandeln bald nicht mehr möglich“, warnte Scherer.

Maßnahmen für mehr Attraktivität des Berufs

Auf Basis der Umfrage präsentiert der Verband ein 12-Punkte-Programm. Die zentralen Forderungen: kleinere Klassen (80 Prozent Zustimmung), mehr Wertschätzung durch Politik und Gesellschaft (79 Prozent), zusätzliche Anrechnungsstunden für besondere Aufgaben (77 Prozent), eine Reduzierung der Unterrichtsverpflichtung (62 Prozent) und mehr Beförderungsmöglichkeiten (56 Prozent).

„Es handelt sich nicht um Klagen auf hohem Niveau; es sind vielmehr realitätsnahe, oft erschöpfte Stimmen aus dem Inneren des Schulsystems, die bisher von Politik und Verwaltung nicht gehört werden“, fasste Scherer zusammen. „Die Attraktivität des Lehrberufs muss systematisch, klug und planvoll verbessert werden – sonst steuern wir in eine Katastrophe.“ News4teachers 

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