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Der G8/G9-Streit: Deutschland driftet in der Bildung immer weiter auseinander

Ein Kommentar von ANDREJ PRIBOSCHEK.

Der Bildungsjournalist Andrej Priboschek. Foto. Alex Büttner

DÜSSELDORF. Viele (West-)Bundesländer wackeln. Einige, darunter Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg, halten weitgehend an G8 fest. Noch, und das ist gut so. Bildungsreformen benötigen Sorgfalt und damit Zeit bei der Umsetzung – und eine breite gesellschaftliche Debatte. Die hat schon bei der Einführung von G8 gefehlt (weshalb sich niemand mehr so recht daran erinnern mag, warum die Schulzeit am Gymnasium überhaupt verkürzt wurde), und sie ist bei der schnellen Rolle rückwärts á la Niedersachsen ebenfalls ausgefallen (weshalb sich in einigen Jahren dort wohl niemand mehr daran erinnern wird, warum dieses G9 wieder eingeführt wurde). So weit, so gut.

Im Ergebnis, und das ist schlecht, driftet Deutschland in Sachen Schulstruktur immer weiter auseinander. Nicht nur in Sachen G8/G9 gibt es künftig, je nach Bundesland völlig unterschiedliche Lösungen – ein achtjähriges Gymnasium hier, Wahlmöglichkeiten dort, neun Jahre Gymnasium mancherorts und in Berlin (wo die Grundschule in der Regel sechs Jahre umfasst) nur sechs. Dazu kommen dann noch Initiativen wie die mittlerweile weitgehend gescheiterte von Schleswig-Holstein, im Alleingang die Noten in der Grundschule abzuschaffen (das ist jetzt ins Belieben der Schulen  gestellt).

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Stellen Sie sich doch mal einen Schüler vor, der während seiner Schullaufbahn dreimal das Bundesland wechselt. Er beginnt in Schleswig-Holstein, wo er in einer Grundschule ohne Noten lernt. Dann, Anfang des 4. Schuljahres, zieht der Junge mit seinen Eltern nach Bayern um – wo allein der Notenschnitt darüber entscheidet, welche Schulform er im Anschluss besuchen darf. Anfang der 6. Klasse geht die Reise nach Berlin. Und der Schüler, der in Bayern seit mehr als einem Jahr eine weiterführende Schule besucht hat, findet sich auf der Grundschule wieder, die ja in Berlin sechs Schuljahre umfasst. Vier Jahre später, der Schüler ist mittlerweile 15 und auf dem Gymnasium, wechselt er nach Niedersachsen und hat dort (nach Wiedereinführung von G9) noch volle drei Schuljahre bis zum Abitur vor sich. In Berlin wären’s nur zwei gewesen.

Eine absurde Geschichte? Keine abwegige. Unabhängig davon, ob es sinnvoll ist, G8 oder die Noten in der Grundschule abzuschaffen: Die landespolitischen Alleingänge sorgen mit dafür, dass das Chaos in der Schullandschaft immer größer wird. Wer ermessen will, wie groß es bereits jetzt ist, sollte sich einmal den Spaß erlauben, einem unkundigen Ausländer das deutsche Schulsystem erklären zu wollen. Zum Scheitern verurteilt.

Warum eigentlich ist es offenbar so schwer, dass sich Vertreter der Regierungsparteien in den Ländern mal zu einem Gipfel treffen, um wenigstens die groben Strukturen festzuzurren? In Nordrhein-Westfalen hat es einen solchen Schulfrieden gegeben – wieso  nicht bundesweit? Dabei wäre ein Kompromiss so leicht zu finden: auf der einen Seite das Gymnasium mit einem achtjährigen Bildungsgang zum Abitur (für die fixen und besonders leistungswilligen Schüler), auf der anderen Seite eine integrierte Schulform, die alle Wege offenhält – einschließlich des Abiturs nach neun Jahren. Damit müsste doch jeder leben können.

Zum Bericht: Überblick: Das große G8/G9-Durcheinander in Deutschland – was gilt jetzt wo?

 

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