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Jedes Kind soll einen Lehrer als persönlichen „Lerncoach“ bekommen: Fleischmann fordert ein Gymnasium, „das sich den Schülern anpasst“

MÜNCHEN. Ein flexibles, in Modulen strukturiertes System, in dem jeder Schüler seine Lernzeit selbst bestimmen und nach der Grunddschulzeit in acht oder in neun Jahren zum Abitur kommen kann – so sollte dem Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV) zufolge das Gymnasium der Zukunft aussehen. BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann stellte es nun auf einer Pressekonferenz in München vor. Das Modell ähnelt stark der von der nordrhein-westfälischen Schulministerin Sylvia Löhrmann (Grüne) im G8/G9-Streit ins Gespräch gebrachten individuellen Schulzeit. Die GEW spricht sich hingegen für ein „neues“ G9 aus, das ohne weitgehende Strukturveränderungen auskommt.

Jedes Kind soll einen Lehrer als persönlichen „Lerncoach“ bekommen: Fleischmann fordert ein Gymnasium, „das sich den Schülern anpasst“

„Jedes Gymnasium kann ein solches Modulsystem nach der sechsten Jahrgangsstufe einführen“, erklärte BLLV-Chefin Fleischmann. „Es gibt dann (wie bei der ebenfalls diskutierten Wahlfreiheit für die Schulen, d. Red.) keine Gymnasien erster und zweiter Klasse und keine Konkurrenz untereinander.“ Ein solches System sei auch leichter zu organisieren als eine pädagogisch wenig ergiebige ausgedehnte Mittelstufe mit ihren starren Zügen. Die Diskussion um ein acht- oder neunjähriges Gymnasium könne so einen Weg aus der Sackgasse finden, in die sie geraten ist. Der Schulfriede bleibe gewahrt. Für den BLLV sei es letztlich unerheblich, ob das Gymnasium acht, neun oder zehn Jahre dauere, betonte Fleischmann. „Uns kommt es auf die Pädagogik an und darauf, die Situation für Schüler und Lehrkräfte spürbar zu verbessern.“

„Wir sind ganz beim Kultusminister, wenn er immer wieder betont, dass Schüler individuelle Lernzeit benötigen“, sagte die BLLV-Präsidentin mit Blick auf den bayerischen Amtsinhaber Ludwig Spaenle (CSU). Allerdings seien den klugen Worten noch keine Taten gefolgt. Die Neuauflage des Gymnasiums biete nun die Chance, damit ernst zu machen.

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Keine zusätzlichen Inhalte

Das Modulsystem basiere auf zwei Voraussetzungen: Erstens: „Der Lehrplan darf nicht wieder aufgebläht und mit zusätzlichen Inhalten überfrachtet werden.“ Zweitens: „Wir denken das Gymnasium von der Schülerin, dem Schüler her – das heißt, wir bieten ein System an, das sich den jungen Leuten anpasst, nicht umgekehrt. Ein System also, das die unterschiedlichen Motivlagen der einzelnen Schülerinnen und Schüler berücksichtigt und flexibel auf mögliche Veränderungen reagieren kann. Das entspricht im Übrigen auch den Vorstellungen des BLLV zum Thema Individualisierung.“

Das Modell im Detail: Das Modulsystem ermöglicht es den Gymnasiasten, aus den Angeboten der Schule verschiedene Module auszuwählen. Dabei wird zwischen Fach- und Zusatzmodulen unterschieden. Zusatzmodule können Förder-, Plus-, Brücken- oder Projektmodule sein. Fachmodule dienen der Vermittlung der Lehrplaninhalte jeweils eines Schuljahres. Innerhalb eines Fachmoduls findet keine Leistungsdifferenzierung statt. Somit ist sichergestellt, dass mit einem erfolgreichen Abschluss der Fachmodule der zehnten Jahrgangsstufe die Oberstufenreife erreicht wird. Zusatzmodule dienen der Individualisierung. Mit den Plusmodulen können individuelle Stärken ausgebaut werden. Fördermodule gleichen im Sinne einer Intensivierung individuelle Schwächen aus. Brückenmodule können gewählt werden, wenn ein zusätzliches Schuljahr einplant wird. Die Projektmodule sollen Möglichkeiten für eigenverantwortliches Lernen eröffnen – dazu sollen auch eigene Lernwerkstätten angeboten werden.

Unvermeidliche Freistunden

„Die Module können über ein halbes oder ganzes Schuljahr laufen oder auch kürzere Zeitspannen umfassen“, erklärte Fleischmann. Je nach Wahlverhalten könnten die Schülerinnen und Schüler die Jahrgangsstufen sieben mit zehn in vier, fünf oder maximal sechs Jahren durchlaufen. „Die zusätzliche Zeit kann zu einer Entzerrung des individuellen Stundenpensums, aber auch zur Vertiefung, Schwerpunktsetzung oder Förderung genutzt werden.“ Zudem entfalle das pauschale Wiederholen aller Fächer einer Jahrgangsstufe beim Verfehlen des Klassenziels in nur zwei Fächern. Es müssten dann lediglich nur die nicht erfolgreich abgeschlossenen Module wiederholt werden. „Wir stellen uns auch vor, dass die Schülerinnen und Schüler die bei der Einführung des Modulsystems unvermeidlichen Freistunden im Sinne des eigenverantwortlichen Lernens in Lernwerkstätten, Lernateliers oder Fachsprechstunden nutzen können.“

Mit Eintritt in die siebte Jahrgangsstufe bis zum Abschluss des Modulsystems soll zudem jedem Schüler eine Lehrkraft als Coach zugeordnet werden. „Wir wollen den jungen Menschen enge und dauerhafte persönliche Beziehungen und eine erheblich bessere Betreuung auch in pädagogischen Fragen ermöglichen“, betonte Fleischmann. Vorgesehen ist zudem im Modulsystem der Unterricht in Doppelstunden. Die BLLV-Präsidentin: „Im Modulsystem überwiegen außerdem die Vorteile des Lehrerraumprinzips, das die Möglichkeit einer förderlichen Lernumgebung eröffnet und mehr Ruhe in den oft zu eng getakteten und hektischen Schultag bringt.“

GEW für „neues“ altes G9

Die GEW hingegen orientiert sich bei ihrem Modell eines „neuen“ G9-Gymnasiums, das sie ebenfalls jetzt vorstellte, strukturell stark am alten: Nach der 10. Klasse soll zunächst von allen Schülern der Realschulabschluss gemacht werden, um dann in der Regel über drei Jahre zum Abitur zu kommen. Die neue Qualifikationsphase kann weiterhin aus zwei Schuljahren bestehen. Ein zusätzliches Jahr vor der Qualifikationsphase soll aber individueller genutzt werden.

Heißt konkret: Die Mehrzahl der Schüler belegt nach der 10. Klasse ein 11. Schuljahr, das das neue G9 ausmachen wird: Ein Jahr zur Vertiefung des Stoffs und zur Vorbereitung auf die Qualifikationsphase. Hier können die Kompetenzen erlangt werden, für deren Durchdringung ein älterer Jugendlicher erst jetzt die notwendige Reife hat: Historische Ereignisse, die zum Beispiel in der 8. und 9. Klasse gelernt wurden, können jetzt in einen größeren Zusammenhang gebracht und in die aktuelle politische Lage eingeordnet werden. „Das neue G9 sorgt für die Hochschulreife, die die Universität verlangt“, meinte der bayerische GEW-Landesvorsitzende Andreas Hofmann. Weiterer Vorteil des Modells aus seiner Sicht: Die  Schulen vor Ort könnten es ohne große Strukturveränderungen umsetzen. Agentur für Bildungsjournalismus

Zum Bericht: Ist das die Lösung im G8/G9-Streit? Alsdorfer Gymnasium geht neuen Weg: Lernen in eigenem Tempo – ein Ortsbesuch

 

 

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