HANNOVER. Der Lehrermangel in Deutschlands Schulen, vor allem in den Grundschulen, wird immer dramatischer: Mit der Ankündigung, Anträge auf Teilzeit und Vorruhestand zunächst abzulehnen, sorgte das bayerische Kultusministerium für Schlagzeilen. In Baden-Württemberg hieß es, Lehrkräfte müssten regional umverteilt werden. Die neueste Spitze kommt aus Niedersachsen: Dort sollen Lehrkräfte aus den Gymnasien an den Grundschulen aushelfen – per Zwangs-Abordnung.
Während die Einstellung von Lehrern bei Gymnasien und teilweise auch Gesamtschulen in diesem Schuljahr für Niedersachsen unproblematisch sei, so erklärt die GEW, werde die Versorgung an Grund-, Haupt- und Realschulen schwieriger. Auf Weisung des Landes müssten daher nun Gymnasiallehrer aushelfen. Schulleiter der Gymnasien seien angewiesen worden, eine bestimmte Anzahl von Lehrerstunden anderen Schulformen abzugeben, vor allem Grundschulen, sagte der Landesvorsitzende des Philologenverbandes, Horst Audritz, der «Hannoverschen Allgemeinen Zeitung». Einige Lehrer sollen nach der Rückkehr aus dem Urlaub via E-Mail von einer befristeten Versetzung erfahren haben. Viele seien daher sauer.
Der Verband der Elternräte der Gymnasien Niedersachsens reagierte ebenfalls kritisch. Schon Anfang 2016 habe die Landesregierung auf freiwilliger Basis versucht, Gymnasiallehrer an andere Schulformen abzuordnen, um dort Löcher in der Unterrichtsversorgung zu füllen. «Damit erklärt die Ministerin quasi das Scheitern von vier Jahren Bildungspolitik in ihrem Kerngeschäft, die Unterrichtsversorgung landesweit für alle Schulformen zu sichern», sagte der Vorsitzende Hartwig Jeschke. Im letzten Schuljahr seien an den Gymnasien im Schnitt maximal 97 Prozent der im Stundenplan ausgewiesenen Unterrichtsstunden erteilt worden. Nun drohe in weiterer Rückgang der tatsächlichen Unterrichtsversorgung auf 95 Prozent oder weniger.
Grundschule hat Vorrang
Ein Sprecher des Kultusministeriums bestätigte die Abordnungen. «Eine auskömmliche Unterrichtsversorgung und die Sicherung des Pflichtunterrichts haben für die Landesregierung höchste Priorität», heißt es. Die Grundschule habe dabei Vorrang, denn hier gebe es den Anspruch auf eine verlässliche Betreuung bis 13.00 Uhr. Die GEW forderte in dem Zusammenhang, dass die Einstellung von Quereinsteigern nach wie vor nötig sei. Seit den vergangenen zehn Jahren habe sich bei Lehrerstellen ein Engpass abgezeichnet, ohne dass die Regierung reagiert habe. Die vor allem durch Pensionierungen entstandene Engpass dürfte noch die kommenden zwei Jahre anhalten.
Bei 40 Prozent der Einstellungen kämen die Kandidaten nicht aus Niedersachsen, sondern anderen Bundesländern. Die Kandidaten würden angesichts des Mangels zudem wählerischer, so dass der Lehrerberuf attraktiver werden müsse. Dazu gehöre eine generelle Einstufung in die Tarifklasse A13. Die GEW warnte eindringlich vor «statistischen Taschenspielertricks», mit denen schulintern Löcher beim Unterricht gestoppt würden und forderte auf der Grundlage einer Arbeitszeit- und Belastungsstudie der Universität Göttingen bis zum August 2018 eine neue Arbeitszeitverordnung. Sie soll neben der Regelstundenzahl der Schulformen auch Anrechnungsstunden für besondere Belastungen und Ermäßigungen für Teilzeitkräfte und Ältere regeln. dpa
Schüler-Boom einerseits, Lehrermangel andererseits: Meidinger fordert “Masterplan” der Länder
HANNOVER. Der GEW-Landesvorsitzende Eberhard Brandt und seine Stellvertreterin Laura Pooth nahmen in Hannover «massive Auseinandersetzungen in der Schulpolitik» an – nahmen dabei aber nicht die rot-grüne Landesregierung, sondern den CDU-Spitzenkandidat Bernd Althusmann in die Kritik. Sie forderten ihn auf, missverständliche Äußerungen zur Arbeitsstundenzeit der Lehrer klarzustellen.
Die Christdemokraten streben im Falle eines Siegs bei der Landtagswahl im Januar eine unabhängige Arbeitszeituntersuchung an – wie sie der Philologenverband seit langem fordert. Für Pooth sei das eine „Provokation auf ganzer Linie“, so berichtet die „Neue Osnabrücker Zeitung“, da die GEW selbst vor einem Jahr eine eigene Arbeitszeitstudie in Auftrag gegeben hatte. Deren Ergebnis war eindeutig: Niedersachsens Lehrkräfte arbeiten mehrheitlich deutlich mehr als die geforderten 40Stunden in der Woche.
Dass die CDU diese Ergebnisse nun nicht anerkenne, sei „an Dreistigkeit und Ignoranz“ kaum zu überbieten, schimpfte Pooth. Mit der amtierenden Kultusministerin Frauke Heiligenstadt (SPD) war die GEW hingegen laut „Osnabrücker Zeitung“ weniger streng: Diese habe die Studienmacher sogar in die aktuelle Kommission zur Lehrerarbeitszeit aufgenommen. Gewerkschaftschef Brandt erklärte den Umgang mit der GEW-Studie zur „Schlüsselfrage“ für den Landtagswahlkampf. Kandidaten, die die Studie ignorierten oder ablehnten, dürften bei Wahlkampfveranstaltungen „lebhafte Auftritte von Lehrern erleben“. 2018 müsse es zu einer Entlastung bei den Pflichtstunden kommen. N4t / mit Material der dpa
