Das Land Berlin sucht händeringend Lehrkräfte insbesondere für seine Grundschulen – und warb dafür bereits 2016 auch in Österreich. Mit Sprüchen wie “Trend statt Tracht”, “Kiez statt Kaff”, “Piefkes? Wir sind Berlin!” oder “Berliner Schnauze statt Wiener Schmäh” warf Berlin seinen Metropolenstatus in Anzeigen in die Waagschale – und das Gehalt: „Kein Schmarrn. Mit 4450 Euro starten“, so lautet der Text für eine der Anzeigen. Ein starkes Argument: Nach OECD-Angaben liegt das Jahreseinkommen der österreichischen Grundschullehrer in den ersten Jahren bei rund 33.000 – und damit rund 20.000 Euro unter dem, was Berlin seinerzeit zahlte. Zwar müssen Grundschullehrer in Österreich nur 22 Wochenstunden unterrichten – gegenüber 28 in Berlin. Aber die Bundeshauptstadt hat mittlerweile ja sogar noch aufgestockt: Grundschullehrkräfte werden dort mittlerweile nach A13/E13 bezahlt, bekommen also brutto rund 300 Euro monatlich mehr.
Tatsächlich ließen sich Dutzende von österreichischen Pädagoginnen und Pädagogen auf das Abenteuer Berliner Schuldienst ein. Jetzt geht eine Grundschulleiterin den umgekehrten Weg – trotz des deutlich geringeren Gehalts. Sie hat gekündigt, weil sie ihre Arbeit, die Leitung einer Brennpunktschule, für nicht mehr zumutbar hält. Ein Paukenschlag, der in ganz Deutschland zu hören ist.
Denn es gibt dazu eine Vorgeschichte: Die Spreewald-Grundschule in Berlin-Schöneberg, um die es hier geht, beschäftigt seit dem Frühjahr zeitweilig einen privaten Sicherheitsdienst für die Pausenaufsicht. Das Geld für die Notmaßnahme kommt aus dem Topf, den der Senat für Gewaltprävention an Brennpunktschulen bereithalte. Zunächst hieß es, es handele sich dabei auch um eine Präventionsmaßnahme. Wie Medien dann aber berichteten, steckt doch deutlich mehr dahinter: So hat die Schulleitung gleich mehrfach Hilferufe an die Schulaufsicht, an den Bezirk und ans Jugendamt gerichtet, weil sie der Gewalt auf dem Schulhof nicht mehr Herr wurde. Die Situation erinnere an die Situation der Rütli-Schule vor zwölf Jahren, die damals bundesweit Schlagzeilen machte, als das Kollegium vor brutalen Schülern kapituliert hatte, so kommentierte der „Tagesspiegel“. Von rund 300 Mädchen und Jungen der Grundschule haben 99 Prozent einen Migrationshintergrund.
Und jetzt wirft Doris Unzeitig, die Leiterin, hin. „Meine Kräfte reichen nicht aus, um eine nachhaltige Änderung der Arbeitsbedingungen der Lehrer und der Lernbedingungen der Schüler zu bewirken“, so begründete sie den Schritt gegenüber der Zeitung.
Bittere Anklage
In der “Bild”-Zeitung hat Unzeitig eine Erklärung veröffentlicht, die sich wie eine bittere Anklage gegen die Bildungsverwaltung liest. „Als ich vor knapp fünf Jahren die Leitung der Spreewald-Grundschule übernahm, war ich voller Ideen, voller Energie. Ich wollte alles besser machen – für die Kinder, denn sie haben es verdient“, so schreibt Unzeitig. „Die mittlerweile vom Senat bereitgestellten Bonus-Mittel machten es möglich, eine auf Dauer angelegte Kooperation mit der Uni Potsdam einzugehen und ein auf die Schule zugeschnittenes Sprachförderkonzept gemeinsam mit den Kollegen/innen zu entwickeln und umzusetzen. So gelang es, trotz hoher Zahl von Kindern mit Migrationshintergrund die Vera-Ergebnisse zu verbessern und die Zahl der Gymnasialempfehlungen zu erhöhen.“
Dann aber seien Probleme aufgetreten, die mit der pädagogischen Arbeit gar nichts zu tun hatten – jahrelang sei die die Schule ungesichert vor unautorisierten Besuchern gewesen, „weil die einmal für die Kontrolle der Haupteingangstür eingerichtete Gegensprechanlage nicht funktionierte und durch den Träger nicht repariert wurde“. Die Folge: „Immer wieder kamen schulfremde Personen ins Gebäude, rissen die Tür im Unterricht auf, wollten ein Kind besuchen – oder auch Ärger machen. Der ungehinderte Zugang in unser Schulgebäude führte bisweilen zur Auseinandersetzung zwischen verfeindeten Familienangehörigen unserer Schüler.“
Die Gewalt sei zunehmend eskaliert und habe auch das Verhalten der Schüler beeinflusst. „Wir hatten mehr als 30 Gewaltvorfälle, einige Mitarbeiter trauten sich kaum mehr in die Schule“, so berichtet Unzeitig. Der Wachdienst habe zu einer Beruhigung der Lage beigetragen – bis er wieder abgezogen werden musste, weil die Bezirksverwaltung ihn für unnötig hielt. Sofort habe es wieder mehr Aggressionen in der Schule gegeben. Jetzt – nach den Sommerferien – habe sich auch noch die personelle Situation im Kollegium zugespitzt: „Wir bräuchten dringend hochqualifizierte Pädagogen. Doch viele neue Lehrkräfte sind nicht für die Grundschule ausgebildet. In diesem Jahr konnten trotz der Quereinsteiger fünf Stellen nicht besetzt werden. Das wurde mir von der Senatsverwaltung zum Vorwurf gemacht, weil ich mich weigerte, Leute aufzunehmen, die über keine einschlägige Fachausbildung als Grundschullehrer verfügten“, erklärt Unzeitig. „Die Bildungsverwaltung riet mir, doch pädagogische Unterrichtshilfen einzustellen. Doch das hilft in unserer Schule nicht.“
Das Fass zum Überlaufen brachte nun offenbar das Problem, dass sich der unbewachte Schulhof über die Sommerferien in ein Obdachlosenlager verwandelt hat. „Es liegen Matratzen auf dem Schulhof, dort schlafen Halbnackte. Überall Müll und Dreck. Unser Hausmeister wollte einen Drogensüchtigen vertreiben. Der entgegnete nur: ‚Ich setz mir noch den Druck, dann geh ich.‘ Wie soll ich das den Kindern erklären? Das vertrage ich ja selbst kaum, meine Kollegen auch nicht.“ Weiter berichtet Unzeitig: „Ich informierte das Bezirksamt, bat um Hilfe. Das Ordnungsamt vertritt die Auffassung, dass die Schulleitung als verantwortlicher Grundstückseigner die Aufgabe hätte, täglich Matratzen, Spritzen und Ähnliches zu entfernen. Das können wir aber nicht verlässlich. Und so können wir die Kinder auch nicht schützen.“
Jetzt geht Unzeitig, die vor fünf Jahren aus einer Dorfschule in Nussdorf am Attersee nach Berlin kam, zurück ins beschauliche Österreich. bibo / Agentur für Bildungsjournalismus
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