„Der ‚Fibelunterricht‘ führt bei Grundschülern zu deutlich besseren Rechtschreibleistungen als mit den Methoden ‚Lesen durch Schreiben‘ oder ‚Rechtschreibwerkstatt‘. Das haben Psychologen um Prof. Dr. Una Röhr-Sendlmeier von der Universität Bonn in einer groß angelegten Studie herausgefunden“, so heißt es in einer Pressemitteilung der Universität vom 10. September. Im Rahmen der Untersuchung seien die Leistungen von „über 3.000 Grundschulkindern in NRW“ verglichen worden.
Weiter heißt es: „Die Wissenschaftler (…) testeten die Erstklässler kurz nach der Einschulung auf ihre Vorkenntnisse und nachfolgend an fünf weiteren Terminen bis zum Ende des dritten Schuljahres mit der Hamburger Schreib-Probe. Sie erfasst als Standardverfahren die Rechtschreibleistungen von Schülern in Form eines Diktats. ‚Die Fibelgruppe hat sich gegenüber den beiden anderen Didaktikgruppen als überlegen erwiesen. Zu allen fünf Messzeitpunkten haben die Fibelkinder bessere Rechtschreibleistungen erbracht‘, fasst der Doktorand Tobias Kuhl die Ergebnisse zusammen. So machten Kinder, die mit ‚Lesen durch Schreiben‘ unterrichtet wurden, am Ende der vierten Klasse im Schnitt 55 Prozent mehr Rechtschreibfehler als Fibelkinder. In der ‚Rechtschreibwerkstatt‘ unterliefen den Schülern sogar 105 Prozent mehr Rechtschreibfehler als Fibelkindern.“
Das Problem: In der Grundschulpraxis lassen sich die Methoden meist gar nicht sauber trennen – in der Regel nutzen Lehrer Mischformen, um Kinder an das Schreiben heranzuführen. Wie die Wissenschaftler zu ihrer Zuordnung kamen, wissen allerdings auch Forscherkollegen nicht. Die Arbeit ist, bis auf die genannten Ergebnisse, offenbar noch immer unter Verschluss. „Die Studie ist nicht veröffentlicht, weder in einer anerkannten Fachzeitschrift mit Peer-Review noch als Dissertation oder in einem Fachbuch, Sie geben aber eine Pressemitteilung zu den Ergebnissen heraus – ein aus wissenschaftlicher Sicht höchst fragwürdiges Vorgehen“, so schreibt Wolfgang Tofing, Geschäftsführer der Graf Orthos Rechtschreibwerkstatt in einem Brief an Röhr-Sendlmeier, der News4teachers vorliegt. Er äußert darin auch Zweifel an der Größe der Stichprobe. „Es ist unredlich, wenn einfach sogenannte Ergebnisse einer ‚systematischen Untersuchung‘ an ‚über 3000 Grundschulkindern aus NRW‘ kolportiert werden, zugleich aber nur von 237 Kindern vollständige Ergebnisse vorliegen.“
Fragen bleiben offen
Entscheidende Fragen sieht Tofing bislang durch die Studienautoren nicht beantwortet: „Wie wurden einzelne Methoden definiert? Wie wurde sichergestellt und auch dokumentiert, dass alle Methoden konzeptgetreu unterrichtet wurden? Welche Materialien kamen in den einzelnen Lerngruppen tatsächlich zum Einsatz, sowohl konzepteigene als auch zusätzliche/fremde Materialien? Hatten alle Lerngruppen die gleiche wöchentliche Lern- und Übungszeit für die Rechtschreibung zur Verfügung? Wie wurde dies erfasst? Wie wurde die Hamburger Schreibprobe in den einzelnen Lerngruppen vorbereitet und durchgeführt? Wie wurde sichergestellt, dass die Bedingungen für alle Lerngruppen und alle Probanden gleich waren?“
Weiter heißt es: „Es ist bei Ihnen wiederholt vom ‚systematischen Fibelansatz‘ die Rede, der in den Schulen zum Einsatz komme. Nur gibt es diesen überhaupt nicht. Sie thematisieren nicht, dass in den Schulen eine Vielzahl von Fibeln und Fibellehrgängen mit den unterschiedlichsten Zusatzmaterialien verwendet werden. Welche Fibel genau in der Studie untersucht wurde oder ob es gar mehrere verschiedene waren, legen Sie nicht offen. Kein Wort darüber, dass Fibelunterricht ohne den Einsatz von Zusatzmaterialien kaum Differenzierungsmöglichkeiten in den immer heterogener zusammengesetzten Lerngruppen bietet. Vielmehr legen Sie den Schluss nahe, dass, wenn man Rechtschreibwerkstatt und Lesen durch Schreiben eliminiert, mit der Rechtschreibkompetenz in Deutschland wieder alles in Ordnung ist. Sie unterschlagen dabei, dass es gar keine Rückkehr zur Fibel geben kann, denn ‚die Fibel‘ war nie weg und hat einen Marktanteil von über 90 Prozent.“ Deshalb könne der Rückgang von Rechtschreibkompetenzen von Viertklässlern in Deutschland, wie ihn etwa unlängst der IQB-Bildungstrend festgestellt hat, kaum auf andere Methoden zurückgeführt werden.
Trotzdem hatte die Veröffentlichung der Pressemitteilung unmittelbare bildungspolitische Folgen – zulasten von “Lesen durch Schreiben” und der “Rechtschreibwerkstatt”. Am 25. September, also nur zwei Wochen später, trat die Brandenburgische Bildungsministerin Britta Ernst (SPD) vor die Presse und verkündete: Alle Brandenburger Grundschüler lernen vom kommenden Schuljahr an wieder allein nach der Fibel-Methode lesen und schreiben. Andere Methoden würden den Lehrerinnen und Lehrern in Bandenburg ab sofort verboten. Das Ministerium werde die Umsetzung kontrollieren, kündigte Ernst an (News4teachers berichtete). Eine seriöse Sichtung der Studienergebnisse kann es durch ihr Haus kaum gegeben haben.
In Nordrhein-Westfalen hingegen ließ sich Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) die Studienergebnisse durch die Autoren vorstellen. Konsequenzen? Keine. Das NRW-Schulministerium halte an der Methodenfreiheit der Grundschullehrer grundsätzlich fest, hieß es in Düsseldorf. bibo / Agentur für Bildungsjournalismus
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