„Für Schülerinnen und Schüler ist es absolut notwendig, sowohl eine Handschrift zu erlernen als auch über Tippfähigkeiten am Tablet, Laptop bzw. Computer zu verfügen. Eine Handschrift muss gelehrt und moderne Medien dürfen nicht ignoriert werden. Diese Fähigkeiten sollten nicht gegeneinander ausgespielt werden, beide Fähigkeiten muss die Schule fördern“, sagt Anne Deimel. Eltern seien als Vorbilder gefragt, die Handschrift im Alltag anzuwenden und sie mit ihren Kindern zu trainieren. Die VBE-Expertin: „Einkaufszettel, Notizen und kleine persönliche Briefe sind gute Möglichkeiten, gemeinsam mit den Kindern, die Handschrift zu üben.“
Der Hessische Philologenverband schlägt in die gleiche Kerbe. Mit Sorge werde beobachtet, „dass in den Schulen das Schreiben mit der Hand an Bedeutung verliert. Der Trend weg vom Schreibblock, hin zur Computertastatur und zum Display kann nicht unhinterfragt bleiben. Das flüssige Schreiben auf der Computertastatur zu bevorzugen und damit die schreibmotorischen Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler verkümmern zu lassen, ist didaktisch fahrlässig“, so heißt es. Im Bildungsprozess dürfe es aber kein Entweder-oder geben. Vielmehr müsse das Handschreiben sinnvoll in den digitalen Zusammenhang einbezogen werden, das Blatt Papier und der Füller sollten im Leben von Schülerinnen und Schülern genauso eine Rolle spielen wie die Tastatur digitaler Geräte.
Es gebe einen Zusammenhang von Schreiben und Denken. Im Handschreiben spiegelt sich immer auch der Schreibende mit seinen Gedanken, mit seiner Persönlichkeit. „Die Konzentration auf gutes Schreiben erhöht die Chancen auf klares Denken und gibt Sicherheit in der Rechtschreibung sowie im sprachlichen Ausdruck“, sagt Reinhard Schwab, Vorsitzender des Pädagogischen Ausschusses der Philologen in Hessen. Studien hätten ergeben, dass eine Verbundschrift das Aneignen und Merken von Texten begünstigt. Grundsätzlich ist beobachtbar, dass gute Schreiber oft auch beim Lernen Vorteile haben. Schlampiges Schreiben und Nichtbeachtung der Rechtschreibung gingen nicht selten Hand in Hand. Schreiben lebte von der Haltung in Körper und Kopf. Friedrich Nietzsche sei zuzustimmen: „Unser Schreibzeug arbeitet mit an unseren Gedanken.“
Die Ergonomie-Expertin und Geschäftsführerin des Schreibmotorik Instituts, Dr. Marianela Diaz Meyer, bestätigt das. „Es gibt mehrere wissenschaftliche Studien, die ganz eindeutig belegen, dass das Tippen am Computer das Schreiben von Hand beim Lernen nicht ersetzen kann“, sagt sie. „Von Hand zu schreiben bedeutet, dass wir charakteristische Buchstabenformen schreiben. Der damit verbundene Bewegungsablauf wird im Gehirn verarbeitet, was wiederum das Schreiben- und Lesenlernen unterstützt. Schreibanfänger können etwa Buchstaben, die sie mit der Hand zu schreiben gelernt haben, besser erkennen. Beim Tippen handelt es sich dagegen immer um die gleiche Bewegung, egal ob ich ein A, ein S oder ein B drücke.“
Viel mehr als die Schrift
„Wer im Unterricht kritzelt, kann sich besser konzentrieren“, betont auch BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann. Handgeschriebenes lasse sich zudem besser merken und das Gelernte bleibe auch länger im Gedächtnis. Beim Schreiben seien Hirnareale aktiv, die wiederum mit Muskeln und Gelenken zusammenarbeiteten. Handschreiben umfasse viel mehr als die Schrift. Entscheidend seien auch die Bewegungen, die zur Schrift führten, die sogenannte Schreibmotorik. Fleischmanns Fazit: Handschreiben mache schlau. Deshalb müsse alles dafür getan werden, dass die Handschrift nicht verschwinde.
Die Sorge sei begründet. Viele Schülerinnen und Schüler lernten nur noch die Druckschrift und keine Schreibschrift mehr, außerdem würden immer mehr Tablets im Unterricht eingesetzt. „In Bayern steuern wir dem entgegen, indem im Grundschullehrplan der Prozess zum Erwerb der Handschrift fest implementiert ist – dafür hat sich der BLLV bei der Einführung des neuen Lehrplans stark gemacht und sich auch durchgesetzt“, erklärt Fleischmann.
Auch die hessischen Philologen plädieren für eine gründliche Unterweisung von Grundschülern in einer verbundenen Handschrift:„Grundschulkinder sollten nicht als ‚Druckschrift-Schreiber‘ in die weiterführenden Schulen eintreten. Dort geht es dann um die individuelle Weiterentwicklung des Handschriftlichen, nicht um eine stark reglementierte Schrift. Grundsätzlich sollte bedacht werden, dass es sich bei der Handschrift um einen äußerst bedeutsamen Ausdruck einer Person handelt. Schreiben ist – wie das Lesen auch – eine Kulturtechnik, zu deren Entwicklung man in Schule keine didaktischen Mühen scheuen sollte.“ Agentur für Bildungsjournalismus
Hintergrund zum Tag der Handschrift, der auf den National Handwriting Day in den USA zurückgeht: Der 23. Januar ist der Geburtstag von John Hancock (1737 –1793), dem Erstunterzeichner der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung. Seine handschriftliche Signatur auf dem Dokument ist aufgrund ihrer Größe besonders markant.
Tag der Handschrift: Das Schreibmotorik Institut startet ein Projekt für Schulen