Laut NRW-Schulministerium gab es im Schuljahr 2017/18 insgesamt 143.045 Schülerinnen und Schüler mit Förderbedarf. Dies entspricht einem Anteil von 5,72 – rund 25 Prozent mehr als 2008/2009, dem letzten Schuljahr vor Inkrafttreten der Behindertenrechtskonvention in Deutschland. Die sogenannte Exklusionsquote dagegen, welche den Anteil der Schülerinnen und Schüler außerhalb des allgemeinen Schulsystems erfasst, betrug im Schuljahr 2016/2017 4,6 Prozent – sie ist im gleichen Zeitraum nur um etwa zehn Prozent gesunken.
Heißt: Fortschritte beim gemeinsamen Unterricht sind kaum erkennbar. „Die Förderung von Schülerinnen und Schülern mit Förderbedarf findet fast unvermindert in Sondereinrichtungen statt“, so bilanziert eine aktuelle Studie des Instituts für Menschenrechte. Dessen Gutachten sind relevant: Das Institut für Menschenrechte beobachtet als unabhängige Monitoring-Stelle die Entwicklung der Inklusion in Deutschland und berichtet den Vereinten Nationen darüber.
“Unzureichende Antwort”
Das Maßnahmenpaket, das Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) im vergangenen Jahr vorstellte (News4teachers berichtete), sei eine „unzureichende Antwort auf die menschenrechtlichen Anforderungen an eine qualitativ hochwertige schulische Inklusion“, heißt es in dem Papier. „So bestehen weiterhin große Herausforderungen bei der Gestaltung eines inklusiven Schulsystems.” Die Monitoring-Stelle empfiehlt der Landesregierung deshalb, “ihre Politik an einem menschenrechtlichen Verständnis von Inklusion auszurichten.” Fast zehn Jahre nach Inkrafttreten der Behindertenrechtskonvention sollte sie endlich “ein inklusives System ohne Sonderstrukturen wie Sonder- und Förderschulen politisch in Angriff nehmen und mit entsprechenden Maßnahmen unterlegen“.
Konkret empfehlen die Gutachter:
- die personellen und finanziellen Ressourcen umzuschichten – durch schrittweise Schließung der Förderschulen,
- die Lehrerinnen bei der Entwicklung von schulischen Inklusionskonzepten nicht länger alleinzulassen,
- die Lehrkräfte im Rahmen einer Fortbildungsoffensive zu qualifizieren,
- zunehmend auch Lehrerinnen und Lehrer mit Behinderungen in den Schuldienst einzustellen,
- das Lehramtsstudium stärker auf das Thema Inklusion auszurichten und
- mit Informationskampagnen die Bereitschaft zur Veränderung unterstützen.
Der Verband der Gesamtschulen wehrt sich unterdessen dagegen, dass Gesamtschulen sowie Haupt- und Realschulen die „ganze Last“ der Inklusion zu stemmen hätten, wie die „Westdeutsche Allgemeine Zeitung” berichtet. Zuletzt hatten sich laut Bericht allein in Essen vier Gymnasien aus der Inklusion zurückgezogen. Zum Maßnahmenpaket von Schulministerin Gebauer gehört es, Gymnasien freizustellen, ob sie „zieldifferenzierten“ Unterricht für behinderte Kinder anbieten. Die Regel solle „zielgleicher“ Unterricht sein, so Gebauer, der zum Schulabschluss führt.
Auch der VBE sieht diesen Punkt kritisch. „Ziel muss es sein, allen Kindern wohnortnah die bestmögliche Bildung zu ermöglichen. Deshalb sind ausdrücklich alle Schulformen gefordert, die UN-Behindertenrechtskonvention umzusetzen“, erklärte Landesvorsitzender Stefan Behlau. Er erneuerte seine Forderung, endlich vernünftige Bedingungen für eine inklusive Beschulung zu schaffen. Behlau: „Nach einem Jahrzehnt müsste eine Doppelbesetzung aus Lehrkraft und Sonderpädagoge längst Standard sein. Doch wir vermissen einen angemessenen Personalschlüssel.“ Darüber hinaus seien immer noch viele Schulgebäude nicht barrierefrei. „Offenbar liegt noch ein langer Weg vor uns“, so Behlau.
Kritik an der Expertise des Instituts für Menschenrechte übt ein Elternbündnis, dem vor allem die Elternverbände der Regelschulen angehören – und das vom Philologenverband unterstützt wird. Dieses Bündnis sieht die Inklusion an Regelschulen bereits als „gescheitert“ an und fordert als Konsequenz daraus, die Förderschulen zu stärken. Sie zu schließen, wie es langfristig vom Institut gefordert wird, „würde das heute erreichte Qualitätsniveau der Förderung von Kindern mit Beeinträchtigungen und deren Chancen in die Gesellschaft inkludiert zu werden, drastisch verringern“. Agentur für Bildungsjournalismus
Hier geht es zur Analyse des Instituts für Menschenrechte.
Der Beitrag wird auch auf der Facebook-Seite von News4teachers diskutiert.
