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Zu spät? Umfragen zeigen seit Jahren ein Demokratie-Defizit in Sachsen – jetzt will der Freistaat politische Bildung an Schulen stärken

DRESDEN. Nach besorgniserregenden Umfragen zur Haltung der Bürger in Sachsen zur Demokratie nimmt sich das Kultusministerium (endlich) der politischen Bildung in Schulen an: Grund- und Oberschüler sowie Gymnasiasten erhalten künftig mehr Bildung zu Politik und Medien. Sie sollen lernen, wie Demokratie funktioniert, was Nachhaltigkeit bedeutet und wie man mit Medien umgeht.

Seit fast fünf Jahren demonstriert “Pegida” allwöchentlich in Dresden gegen eine von ihr behauptete Islamisierung und Überfremdung Deutschlands – zuletzt allerdings mit abnehmender Beteitligung. Foto: Kalispera Dell / Wikimedia Commons (CC BY 3.0)

An Grund-, Ober- und Förderschulen sowie an Gymnasien in Sachsen nehmen Politische Bildung, Medienkompetenz sowie Umwelt- und Klimaschutz künftig mehr Raum ein. Dafür wurden seit September 2018 über 90 Fachlehrpläne teils mit wissenschaftlicher Expertise überarbeitet oder neu geschrieben. «Der Umgang mit Pluralität und Digitalisierung in der Gesellschaft, die Reaktion auf klimatische Veränderungen und die Verfügbarkeit natürlicher Ressourcen sind zukunftsentscheidende Fragen und müssen im Unterricht umfassend behandelt werden», sagte Kultusminister Christian Piwarz (CDU) bei der Vorstellung am Mittwoch in Dresden. «Es ist keine Revolution, aber eine wichtige Evolution, um sie auf einen neuen Stand zu bringen.»

Haben die Schulen bei der politischen Bildung versagt?

Hintergrund sind Studien zur politischen Einstellung von Bürgern in Sachsen. „Auffallend sind das recht geringe Vertrauen in die Funktionsweise der Demokratie und deren Institutionen“, so stellte der „Sachsen-Monitor“ bereits 2016 fest. „Den Parteien, Regierungen und Parlamenten – mit Ausnahme der kommunalen Ebene – vertraut nur eine Minderheit.“ Eine Mehrheit ist hingegen der Meinung, Deutschland brauche eine starke Partei, die die „Volksgemeinschaft“ insgesamt verkörpert. Zudem sehen 46 Prozent die DDR nicht als Unrechtstaat. Und: „Ressentiments gegen Personen aufgrund ihrer Gruppenzugehörigkeit sind in Teilen der sächsischen Bevölkerung verbreitet. So ist eine Mehrheit (58 Prozent) der Sachsen der Meinung, dass Deutschland in einem gefährlichen Maß ‚überfremdet‘ sei.“

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Auch im vergangenen Jahr ergaben sich beim “Sachsen-Monitor”, den die Landesregierung alljährlich erheben lässt, problematische Ergebnisse: Zugenommen hat die Ablehnung von Sinti und Roma, Muslimen und Juden. So hätten 57 Prozent (2017: 49) Probleme mit Sinti und Roma in ihrer Gegend und 41 Prozent (2017: 38) waren der Ansicht, dass Muslimen die Zuwanderung verboten werden sollte. Gut jeder Fünfte Bürger in Sachsen hat Vorurteile gegenüber Juden – und 16 Prozent sehen die Deutschen anderen Völkern von Natur aus als überlegen an.

Besonders besorgniserregend: Je jünger die Befragten sind, desto größer ist die Zustimmungsrate zu radikalen Positionen.

Künftig sollen schon Grundschüler den Umgang mit dem Internet lernen

In diesem Zusammenhang soll künftig auch der Umgang mit Informationen aus dem Internet eine stärkere Rolle im Unterricht spielen. «Insbesondere die Frage der Medienbildung, wie Informationen gesichtet, bewertet, kategorisiert, Meldungen und Meinungen verifiziert werden können, wird eine größere Rolle spielen», sagte Piwarz. Schon Grundschüler beschäftigen sich künftig mit dem Umgang mit digitalen Medien und mit Internetrecherche. In der 7. Klasse würden dann auch der verantwortungsvolle Umgang mit natürlichen Ressourcen und umweltbewusstes Handeln thematisiert. Politische Bildung gehört künftig schon ab dieser Stufe zu den Themen in Gemeinschaftskunde.

«In allen Fächern und Jahrgangsstufen geht es darum, demokratische Teilhabe und Diskurs zu erleben, zu lernen und damit selbstbewusst umzugehen», sagte Piwarz. Das bedeute auch, sich eine eigene Meinung zu bilden, sie zu vertreten, aber auch andere Positionen zu ertragen und zu diskutieren.

Für Oberschüler der 7. und 8. Klassen wird je eine Stunde Gemeinschaftskunde  / Rechtserziehung zur Pflicht, an Gymnasien das Fach Gemeinschaftskunde / Rechtserziehung / Wirtschaft bereits ab Klasse 7 unterrichtet. Die Lehrplanüberarbeitung erfolgte auch im Zuge einer Stundentafeländerung zugunsten der Fächer, in denen die Hauptthemen behandelt werden, sagte der Minister. Lehrer erhalten zudem mehr Freiheiten, was sie wie im Unterricht behandeln. «Damit hoffen wir auf eine Entlastung, auch bei den Schülern.» News4teachers, mit Material der dpa

Der Beitrag wird auch auf der Facebook-Seite von News4teachers diskutiert.

Rechtsextremismus in Sachsen: Sind die Schulen im Freistaat mit der politischen Bildung gescheitert?

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