Website-Icon News4teachers

Kein Deutsch, keine Einschulung? Bildungsministerin Prien nennt Vorschlag ihres Parteifreunds Linnemann „populistischen Unfug“

Anzeige

BERLIN. Der Vorstoß von Unionsfraktionsvize Carsten Linnemann, Kinder, die kein Deutsch sprechen, erst einmal nicht zur Grundschule zuzulassen, stößt auf scharfe Kritik. Auch aus der eigenen Partei: Die schleswig-holsteinische Bildungsministerin und stellvertretende Landesvorsitzende der CDU, Karin Prien, nannte die Initiative gar „populistischen Unfug“. Auch von Baden-Württembergs Kultusministerin Susanne Eisenmann, Spitzenkandidatin der CDU bei der nächsten Landtagswahl, kam Widerspruch. Linnemann selbst relativierte heute seine Aussagen – ein Stück weit jedenfalls.

Deutliche Worte: die schleswig-holsteinische Bildungsministerin Karin Prien (CDU). Foto: Frank Peter / Landesregierung

Linnemann hatte in der „Rheinischen Post“ mit Verweis auf „neue Parallelgesellschaften“ gesagt: „Um es auf den Punkt zu bringen: Ein Kind, das kaum Deutsch spricht und versteht, hat auf einer Grundschule noch nichts zu suchenl“ (News4teachers berichtete). Für betroffene Kinder schlug er eine Vorschulpflicht vor. Notfalls müsse eine Einschulung auch zurückgestellt werden. Erwähnt hatte er auch die Vorfälle in Freibädern, die Tat auf dem Frankfurter Bahnsteig und die Schwertattacke in Stuttgart. Das alles wühle die Menschen auf und befeuere die Sorge, dass neue Parallelgesellschaften entstehen könnten.

Unterstützung kam vom Vorsitzenden der Jungen Union, Tilman Kuban. Per Twitter befand er, dies sei ein richtiger Vorstoß. Wörtlich: „Wenn ein Kind in Deutschland eingeschult werden soll, muss es Deutsch können. Alles andere ist falsch verstandene Toleranz, die niemandem weiterhilft!“

Anzeige

Heute relativierte Linnemann allerdings seine Aussage gegenüber der dpa – er betonte: „Kinder, die kaum Deutsch sprechen, dürfen in der ersten Klasse nicht benachteiligt sein.“ Und weiter: “Deshalb müssen sie vor der Einschulung sprachlich fit gemacht werden. Also brauchen wir verpflichtende Sprachtests im Alter von vier und dann Vorschulpflicht für alle, die schlecht Deutsch sprechen.“ Wie so eine Vorschulpflicht ausgestaltet würde, das sei Ländersache. Das könne ein verpflichtendes letztes Kita-Jahr sein, Förderklassen oder auch eine klassische Vorschule. „Aber wir brauchen eine Debatte über das Thema in Deutschland“, sagte Linnemann. Den meisten Kindern würde ein Jahr Vorschule reichen, um fit für die Grundschule zu werden. „Und wenn es mal nicht reicht, dann sollte man besser die Vorschule noch mal verlängern, als das Kind in der ersten Klasse scheitern zu lassen. Das ist eine Ausweitung der Vorschulpflicht und kein Grundschulverbot.“

“Ein besseres Lernumfeld als die Grundschule gibt es doch gar nicht”

Von Linke-Chefin Katja Kipping kam trotzden harsche Kritik. Mit seinen Äußerungen zu Grundschulkindern gehe Linnemann auf „Stimmenfang im rechten Sumpf“. Kipping warf dem CDU-Politiker vor, das Thema mit Meldungen über Gewalttaten von Erwachsenen zu vermengen. „Ist ihm nicht bekannt, dass der Täter von Frankfurt, der offensichtlich eine psychotische Störung hatte, fließend deutsch spricht und als Schweizer praktisch den gleichen Migrationshintergrund hat wie Alice Weidel“, fragte Kipping.

Die SPD-Bildungspolitikerin Marja-Liisa Völlers sagte, die Aussagen Linnemanns seien „wirklich zum Fremdschämen und populistisches Getöse wie in Wahlkampfzeiten“ . Man könne Kinder nicht von der Grundschule ausschließen, nur weil sie schlecht Deutsch sprächen. Das schaffe Parallelgesellschaften und langfristige Integrationsprobleme, anstatt sie zu lösen. „Die Kinder sind genau richtig da, wo sie sind. Ein besseres Lernumfeld für alle Kinder als Schulunterricht mit Gleichaltrigen gibt es doch gar nicht.“

“Auf die Errungenschaft einer allgemeinen Schulpflicht hinweisen”

Auch die schleswig-holsteinische Bildungsministerin Karin Prien (CDU) wies den Vorstoß von Linnemann vehement zurück. Prien sprach gegenüber der «Süddeutschen Zeitung» von einem „völlig falschen Weg“. Diese Kinder gehörten vielmehr „im Rahmen der Regelbeschulung“ in Deutsch-als-Zweitsprache-Klassen. „Im Jahr 100 nach Einführung der Schulpflicht“, so erklärte sie mit Blick auf die Weimarer Verfassung von 1919, sollten gerade Christdemokraten „auf die soziale und gesellschaftliche Errungenschaft einer allgemeinen Schulpflicht hinweisen“, sagte Prien.

Prien kritisierte allerdings nicht nur Linnemann, sondern auch die Bundesregierung. „Der Bund hat massiv die Mittel zur Integration zurückgefahren, weil weniger Flüchtlinge nach Deutschland kommen“, sagte die Ministerin der Zeitung. Die Kinder seien „allerdings schon hier und es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe dafür zu sorgen, dass diese Kinder in den kommenden Jahren die deutsche Sprache beherrschen lerne“”. Sie sei deshalb dafür, „Kita und Vorschule zum Spracherwerb verpflichtend zu machen“. Hier sei „der Bundesgesetzgeber gefordert, die verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen zu schaffen“.

“Kinder brauchen ein Umfeld, das sie zum Lernen anregt”

Baden-Württembergs Kultusministerin Susanne Eisenmann reagierte zurückhaltend auf Linnemanns Vorstoß. „Ich teile die Einschätzung von Herrn Linnemann, dass Handlungsbedarf bei der sprachlichen Förderung besteht und dass wir möglichst früh damit beginnen müssen, Kinder zu fördern“, teilte die CDU-Politikerin am Dienstag mit. „Aber Ausgrenzung ist der falsche Weg. Kinder brauchen ein Umfeld, das sie motiviert und zum Lernen anregt.“

Das Land Baden-Württemberg setze deswegen auf die Integration der Kinder in der Grundschule. „Kinder lernen die Sprache besser, wenn sie Umgang mit anderen Kindern haben, die Deutsch beherrschen.“ Es sei aber notwendig, mit der sprachlichen Förderung der Kinder schon vor der Grundschule zu beginnen. Gemeinsam mit den Kommunen habe das Kultusministerium entsprechende Maßnahmen auf den Weg gebracht.

Der Verband Bildung und Erziehung (VBE) hatte gefordert, Kitas für die Sprachförderung besser auszustatten. News4teachers / mit Material der dpa

Persönliche Erklärungen

Die Präsidentin des baden-württembergischen Landtags, Muhterem Aras (Grüne), hat sich kritisch zu dem Vorstoß von Unionsfraktionsvize Carsten Linnemann geäußert – auch aus persönlichen Gründen. «Ich sprach kein Deutsch, als ich als 12-Jährige in die Hauptschule kam», kommentierte die Grünen-Politikerin mit türkischen Wurzeln Linnemanns Vorschlag auf Twitter. «Als meine Nebensitzerin in der 1. Stunde sah, dass ich die Matheaufgabe gelöst hatte, durfte ich sie an der Tafel vorrechnen. Später habe ich ein Steuerbüro aufgebaut und wurde Präsidentin.»

Die Mainzer SPD-Politikerin Tatiana Herda Muñoz schrieb auf Twitter: «Als ich mit 11 nach D kam konnte ich kein Deutsch. Ich bin in die 5te ins Gymnasium. Hab dann die Abi-Abschlussrede gehalten.» Kinder ohne Deutschkenntnisse nicht auf die Grundschule zu lassen, sei «absoluter Unfug».

Der Beitrag wird auch auf der Facebook-Seite von News4teachers diskutiert.

Eine Leserin schreibt auf dem Facebook-Auftritt von News4teachers:

Angeblich wegen Lehrermangel: AfD will Flüchtlingskinder aus Regelschulen herausnehmen

Anzeige
Die mobile Version verlassen