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Große Mehrheit der Bürger steht zum Gymnasium – ebenso große Mehrheit lehnt Inklusion geistig behinderter Schüler ab

FRANKFURT/MAIN. Die Bürger in Deutschland halten mit großer Mehrheit am Gymnasium fest – und lehnen andererseits ebenfalls mit großer Mehrheit die Inklusion von geistig behinderten Schülern in Regelschulen ab. Das sind Ergebnisse einer Allensbach-Umfrage im Auftrag der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, über die das Blatt berichtet. Der Philologenverband sieht durch die Umfrageergebnisse seine Position für ein gegliedertes Schulsystem gestärkt – eine Landesvorsitzende fordert sogar, „den durch die Schaffung von unnötigen Überkapazitäten angefachten Konkurrenzkampf zwischen den Schulen zu beenden“. Soll offenbar heißen: Gesamtschulen abschaffen.

Lässt sich nach der vierten Klasse über die spätere Studierfähigkeit eines Kindes urteilen? Foto: Shutterstock

In der aktuellen Studie des Allensbacher Instituts im Auftrag der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (FAZ) wurden Bürger laut einem FAZ-Bericht zum Schulsystem befragt. Ihnen wurde die Frage gestellt: „Was finden Sie grundsätzlich besser: Wenn es nach der Grundschule eine Gemeinschaftsschule für alle Schüler gibt, in der die Schüler unabhängig von ihrem Leistungsniveau gemeinsam unterrichtet werden, oder wenn es nach der Grundschule ein mehrgliedriges Schulsystem gibt, zum Beispiel mit Gymnasium einerseits und einer Mischform aus Haupt- und Realschule andererseits?” 65 Prozent der Befragten sprachen sich laut einem Bericht in der FAZ für das mehrgliedrige Schulsystem aus, Befragte mit Kindern im schulpflichtigen Alter sogar zu 73 Prozent.

Dabei gebe es kaum Unterschiede zwischen den gesellschaftlichen Gruppen. Anders als oft angenommen werde, gehe die Ablehnung der Gemeinschaftsschule durch fast alle sozialen Schichten: Alle Altersgruppen, Frauen wie Männer, West- und Ostdeutsche, Menschen mit unterschiedlicher Schulbildung und verschiedenen Einkommen, hätten sich mit großen Mehrheiten zugunsten des gegliederten Schulsystems ausgesprochen.

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Benötigen Schüler mit geistiger Behinderung “eine spezielle Förderung”?

Die Inklusion hingegen wird von einer Bevölkerungsmehrheit offenbar kritisch gesehen. Den Befragten wurden zwei Argumente schriftlich zur Auswahl vorgelegt. Das erste lautete: „Ich bin dafür, dass Kinder mit geistiger Behinderung in regulären Schulen unterrichtet werden. Denn davon profitieren alle Schüler: Schüler mit und ohne geistige Behinderung lernen, tolerant und normal miteinander umzugehen, und beim gemeinsamen Lernen profitieren die behinderten Schüler von den anderen.“ Die Gegenposition lautete: „Schüler mit geistiger Behinderung benötigen in der Regel eine spezielle Förderung und können nicht einfach zusammen mit anderen Schülern an regulären Schulen unterrichtet werden. Wenn Schüler mit geistiger Behinderung spezielle Förderschulen besuchen, entstehen für alle Schüler bessere Lernerfolge.“ Lediglich 21 Prozent der Befragten schlossen sich laut Bericht dem ersten, 63 Prozent dagegen dem zweiten Argument an, auch hier hätten Eltern von schulpflichtigen Kindern nicht anders geurteilt als die übrige Bevölkerung.

Die organisierten Gymnasiallehrer sehen darin eine Bestätigung ihrer Haltung. „Dies deckt sich mit der Position des Deutschen Philologenverbandes, der stets für ein mehrgliedriges Schulsystem eingetreten ist, in dem sich jeder Schüler nach seinen Fähigkeiten und seinen Leistungen entwickeln kann“, sagt Philologen-Bundesvorsitzende Susanne Lin-Klitzing. Offenbar mit Blick auf Sachsen, wo aktuell eine auch von der GEW befeuerten Debatte um die Einführung einer integrierten Schulform neben dem gegliederten System ausgebrochen ist, fordert sie: „„Damit zeigt sich deutlich, dass die Einführung der Gemeinschaftsschulen in den Bundesländern keinen Rückhalt in der Bevölkerung hat, sondern mehrheitlich auf Ablehnung stößt. Es ist an der Zeit, den Willen der Bevölkerung für ein mehrgliedriges Schulsystem angemessen umzusetzen und nicht länger Einheitsschul-Utopien auszuleben.“

Philologen: Kindern alle Schulabschlüsse offenhalten ist “Augenwischerei”

Die rheinland-pfälzische Landesvorsitzende, Cornelia Schwartz, fordert augenscheinlich sogar die Auflösung der bestehenden Gesamtschulen. Sie sagt wörtlich: „Wenn fast drei Viertel der Eltern von schulpflichtigen Kindern für das Nebeneinander von Gymnasien und solchen Schulen, die reale Bildung vermitteln, plädieren und wenn ebenfalls ein überwältigender Teil der Bevölkerung den Erhalt des weltweit geschätzten und erfolgreichen Förderschulsystems wünscht, dann ist die Zeit gekommen, sich von ideologischen Verblendungen zu lösen und sich der Realität zu stellen. Konkret muss die Landesregierung den durch die Schaffung von unnötigen Überkapazitäten angefachten Konkurrenzkampf zwischen den Schulen beenden und die dadurch freiwerdenden Ressourcen für eine ausreichende Lehrkräfteversorgung und kleinere Klassen verwenden.“

„Diese Befragung zeigt einmal mehr, dass das gegliederte Schulsystem von den Bürgen getragen wird und eine hohe Akzeptanz genießt, was auch der weiterhin steigende Zuspruch zu den Gymnasien untermauert“, erklärt Host Audritz, Vorsitzender des Philologenverbandes Niedersachsen. „Wir sehen uns in unserer jahrelangen Forderung nach einem Zwei-Säulen-Modell mit einem wissenschaftspropädeutisch (studiumorientiert) ausgerichteten Gymnasium und einer berufspropädeutisch (berufliche Ausbildung) ausgerichteten Säule, die vor allem Hauptschule und Realschule auffängt, vollumfänglich bestätigt. Wer angesichts dieser Zahlen noch immer die Einheitsschule propagiert, handelt klar gegen den Bürgerwillen“, so Audritz.

“Image von Haupt- und Realschulen hat durch Gesamtschulen Schaden genommen”

Jedem so lange wie möglich einen Abschluss offenhalten zu wollen, sei Augenwischerei. „Wichtig ist eine frühzeitige Orientierung, verbunden mit einer relativen vertikalen Durchlässigkeit des Systems, wenn entsprechende Leistungsanforderungen für Abschlüsse erfüllt werden“, betont der Vorsitzende. Der fehlgehende Eindruck, es müsse jeder Abitur machen, sei fatal. So habe in den letzten Jahren das Image von Haupt- und Realschulen unter anderem dadurch Schaden genommen, dass politisch allzu stark auf die Gesamtschulen als Königsweg für alle Kinder gedeutet wurde. „Alle über einen Kamm zu scheren, das ist ungerecht und schadet am meisten unseren Kindern. Wenn wir, wie es gesellschaftlich Konsens ist, wieder verstärkt die Stärken des Einzelnen betrachten und ihn entsprechend fördern, kommen wir einer gerechten Schulbildung ganz sicher näher als mit Gleichmacherei“, meint Audritz. Agentur für Bildungsjournalismus

„Kampf gegen Gleichmacherei“: Der Volksantrag zur Einführung der Gemeinschaftsschule in Sachsen wird zum bundesweiten Politikum

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