STUTTGART. Mit scharfen Worten hat der Vorsitzende des Philologenverbands Baden-Württemberg, Ralf Scholl, die Aussagen von Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) zum Thema Rechtschreibung zurückgewiesen – und dabei den Grundschulen einen Seitenhieb versetzt: Die hätten mit der Methode “Schreiben wie Hören” dafür gesorgt, dass eine “ganze Generation von Kindern” mit Rechtsschreibproblemen aufwachse.
Kretschmann hatte die Ansicht vertreten, dass die Bedeutung, Rechtschreibung zu pauken, abnehme, «weil wir heute ja nur noch selten handschriftlich schreiben» (News4teachers berichtete). Außerdem gebe es «kluge Geräte», die Grammatik und Fehler korrigierten.«Ich glaube nicht, dass Rechtschreibung jetzt zu den großen, gravierenden Problemen der Bildungspolitik gehört», hatte er gesagt und Widerspruch von der CDU und deren Kultusministerin Susanne Eisenmann im eigenen Land geerntet.
Rechtschreibung kann uns nicht egal sein. Warum? Wir wollen Kinder nicht zu Abhängigen von der Technik, von der Autokorrektur machen. Eigenständiges, korrektes, flüssiges Schreiben ist die Basis! https://t.co/EUyUSvmNkh
— Susanne Lin-Klitzing (@LinSusanne) January 24, 2020
“Winfried Kretschmann sollte sich vor solchen Aussagen zuerst einmal gründlich informieren. Die Professoren der baden-württembergischen Hochschulen klagen lautstark über mangelhafte Rechtschreibung in den Semester- und Examensarbeiten Ihrer Studentinnen und Studenten”, sagt Scholl nun. Es sei dem Ministerpräsident natürlich unbenommen, zu jedem Thema seine persönliche Meinung zu äußern. “Wenn er aber keine Ahnung hat, sollte er im eigenen Interesse besser schweigen: ‘Si tacuisses, philosophus mansisses’ lernte man früher im Latein-Unterricht.”
Dem Ministerpräsidenten sei — nach eigenen Worten — in den 50-er und 60-er Jahren in der Schule eine fehlerfreie Rechtschreibung vermittelt. “Kein Wunder, dass er kein Problem sehen kann: Er ist ja nicht betroffen”, meint Scholl. Er betont: “Die Autokorrektur der Textprogramme ersetzt keineswegs eigene Rechtschreibkenntnisse: Wer öfter Texte liest, die – trotz automatischer Rechtschreibkorrektur – nur so vor Fehlern strotzen, weiß, dass es nicht so einfach funktioniert.”
“Mangelhafte Rechtschreibung ist auch heute noch eine soziale Hürde”
Weiter meint der Philologen-Landesvorsitzende (dessen Verband vor allem Gymnasiallehrer vertritt): “Und die lautstark geäußerte Meinung einzelner pubertärer Schüler: ‘Rechtschreibung muss ich doch nicht beherrschen, das korrigieren in Zukunft mein Computer und meine Sekretärin’, können sich eben nur die Erben von Familienbetrieben leisten. Für alle anderen gilt: Eine berufliche Position mit Sekretärin musst du erst einmal erreichen.” Fakt sei: “Mangelhafte Rechtschreibung ist aber auch heute eine harte soziale Hürde, die sich nur schwer aus dem Weg räumen lässt: Rechtschreibfehler in Bewerbungsschreiben verhindern sehr effektiv die Einladung zu Bewerbungsgesprächen”, so betont Scholl.
Die Stärkung des Deutsch-Unterrichts und der Rechtschreibung, nachdem in den letzten 25 Jahren in den Bildungsplänen immer weniger Wert auf Rechtschreibung gelegt wurde, sei überfällig und richtig. “Die fatale Methode ‘Schreiben nach Hören’ in der Grundschule hat ein übriges dazu getan, eine ganze Generation von Kindern mit massiven Rechtschreibproblemen aus der Schule ins Leben zu entlassen. Es ist gut, dass daraus mittlerweile Konsequenzen gezogen wurden”, meint Scholl mit Blick auf einen Erlass von Landeskultusministerin Susanne Eisenmann (CDU), mit dem die Methode nach einem Absturz Baden-Württembergs im IQB-Länderranking „Schreiben wie Hören“ verboten wurde. Dies hatte der Philologenverband zuvor gefordert (News4teachers berichtete).
“Fünf bis zehn Fehler pro Seite sind keine Seltenheit mehr”
“Die Professoren an den Hochschulen sind zunehmend fassungslos, wie katastrophal Rechtschreibung und Grammatik in den wissenschaftlichen Arbeiten ihrer Studenten, selbst in wichtigen Abschlussarbeiten, mittlerweile sind”, so sagt Scholl. “Fünf bis zehn Fehler pro Seite sind trotz Rechtschreib- und Grammatikprüfung im Textprogramm keine Seltenheit mehr.” Die Äußerungen des Ministerpräsidenten seien ein Bärendienst für alle Bemühungen, Baden-Württembergs Schüler wieder vom Mittelmaß an die deutsche und internationale Leistungsspitze zu bringen.
Auch Mecklenburg-Vorpommerns Bildungsministerin Bettina Martin (SPD) hatte Kretschmann widersprochen. «Ich wundere mich sehr über Winfried Kretschmanns Ansicht, dass Rechtschreibung heutzutage keine Rolle mehr spielen soll», sagte sie (News4teachers berichtete). Heute meldete sich die frisch ins Amt als KMK-Präsidentin eingeführte rheinland-pfälzische Bildungsministerin Stefanie Hubig (SPD) zu Wort. «Wir müssen in den Schulen dafür Sorge tragen, dass unsere Schülerinnen und Schüler richtig rechnen, lesen und schreiben lernen. Das ist die Grundlage für alles Weitere», betonte sie. «Dazu gehört vor allem auch die Rechtschreibung.» Digitale Endgeräte wie Handys und Tablets hätten viele Vorteile, so Hubig. «Aber wer sich in Sachen Rechtschreibung auf sie verlassen muss, ist schnell verlassen.» News4teachers / mit Material der dpa
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