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Fährt die Politik die Digitalisierung der Schulen vor die Wand? Es hakt bei der Lehrerausbildung, es hakt beim Digitalpakt

HANNOVER. Die Digitalisierung der Schulen läuft offenbar chaotisch an. In einem Brandbrief an den niedersächsischen Kultusminister Tonne beklagt der bak Lehrerbildung, dass bislang keinerlei Mittel dafür vorgesehen seien, künftige Lehrer auf den Einsatz von IT im Unterricht vorzubereiten. Nicht einmal die Anschaffung der Hardware scheint zu laufen, obwohl dafür doch eigens der „Digitalpakt“ zwischen Bund und Ländern geschlossen wurde. Wie der „Tagesspiegel“ berichtet, sind von den darin enthaltenen fünf Milliarden Euro bisher erst 20 Millionen bewilligt worden. In einigen Bundesländern sei noch kein einziges Vorhaben beauftragt worden.

Es hakt bei der Digitalisierung der Schulen in Deutschland. Illustration: Shutterstock

„Noch immer und mehr denn je bereitet das Thema ‚Digitalisierung‘ vielen Verantwortlichen in der Ausbildung unserer Lehrkräfte große Sorgen“, so schreibt Heinz Kaiser, Landessprecher des bak Lehrerbildung – in dem bundesweit Ausbilderinnen und Ausbilder von Referendaren zusammengeschlossen sind – , an Niedersachsens Kultusminister Grant Hendrik Tonne (SPD). „Zur Bewältigung der mit der Digitalisierung verbundenen Herausforderungen wird weit mehr benötigt als die flächendeckende Versorgung mit informationstechnischer Hard- und Software“, heißt es in dem Brief, der News4teachers vorliegt. Denn: „Digitale Lehr-Lernumgebungen entfalten nicht die mit ihnen intendierten Wirkungen, wenn Lehrer/-innen nicht über eine entsprechende Medienkompetenz verfügen.“

“Lehrer benötigen didaktische Konzepte”

Dass es unerlässlich ist, den Lehrernachwuchs auf eine der zentralen Zukunftsaufgaben – den Unterricht mit digitalen Medien – vorzubereiten, liegt auf der Hand. Es sei überhaupt nötig, massiv in den Kompetenzerwerb der Lehrkräfte zu investieren. Doch passiert sei hierbei nichts, moniert Kaiser. Mit dem Geld aus dem „Digitalpakt“ werde lediglich Hard- und Software angeschafft. Kaiser schreibt: „Die Digitalisierung von Lehren und Lernen lässt sich aber nicht einfach durch den Austausch von Analogem durch Digitales im Unterricht und in der Schule realisieren. Wir benötigen didaktische Konzepte, die die Potenziale der Digitalisierung für Lehr-Lern-Prozesse sinnvoll nutzen. Für die Gestaltung der Unterrichtsarbeit in der digitalen Welt bedeutet dies, Lernsituationen und Unterrichtssequenzen im Hinblick auf die veränderten Anforderungen zu entwickeln und umzusetzen sowie hierbei handlungsorientiert den Einsatz der Medien vorzunehmen.“

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Der Landessprecher des bak Lehrerbildung vergleicht die Situation mit der in den USA: Dort würden im Zusammenhang mit der Digitalisierung 30 Prozent der finanziellen Mittel für Beschaffung der Hard- und Software und 70 Prozent für die Qualifizierung des Lehrpersonals ausgegeben. „In Deutschland geschieht dies nachrangig oder wird den Lehrkräften selbst überlassen“, sagt Kaiser. Seine Forderung an Tonne: zunächst mal die Lehrerausbilder in Sachen Digitalisierung fortzubilden. „Der bak fordert die Bereitstellung entsprechender Ressourcen zur fachdidaktischen Fortbildung der Kolleginnen und Kollegen der Studienseminare in ihren jeweiligen beruflichen Fachrichtungen bzw. Unterrichtsfächern“, so heißt es in dem Schreiben.

Schulen sollen ein Medienkonzept entwickeln

Der „Tagesspiegel“ berichtet unterdessen, dass es sieben Monate, nachdem der „Digitalpakt“ in Kraft getreten ist, noch immer einige Länder gebe, in denen bislang kein einziger Antrag bewilligt worden sei. Angeführt werden Hessen, Schleswig-Holstein, Sachsen-Anhalt, Thüringen und das Saarland. Das liege zum einen daran, dass die Länder unterschiedlich schnell ihre jeweiligen Förderrichtlinien entwickelt hätten. Zum anderen hakt es bei den Schulen, die zunächst ein Medienkonzept einreichen müssen – eine zusätzliche Aufgabe, die in Zeiten von Lehrermangel, Inklusion und Integration für viele Kollegien offenbar schwierig ist, auch noch zu schultern.

In den Ländern, in denen erstes Geld geflossen sei, zeigten sich unterschiedliche Schwerpunkte. Schulen in Nordrhein-Westfalen zum Beispiel investierten zunächst vor allem in die Vernetzung des Schulgebäudes und die W-Lan-Netze. In Bremsen sei hingegen die Netz-Abdeckung bereits gut. Dort seien zunächst vor allem Präsentationsmedien – etwa interaktive Tafeln – und Arbeitsgeräte wie Tablets und Laptops geordert worden.

Von den fünf Milliarden Euro, die zur Verfügung stehen, sind dem Bericht zufolge allerdings bundesweit erst 20 Millionen Euro abgerufen worden. Es hakt also auch hier. News4teachers

Zur Person

Heinz Kaiser ist seit 2017 Landessprecher des Bundesarbeitskreises (bak) Lehrerbildung in Niedersachsen und seit 19 Jahren in der Lehrerausbildung tätig. Der Oldenburger ist Leiter des Studienseminars für das Lehramt an berufsbildenden Schulen. 

Er erklärt gegenüber News4teachers: „Nicht nur die Herausforderungen, die mit der Digitalisierung verbunden sind, verlangen nach neuen unterrichtlichen Konzepten, auch Fragen der Inklusion, Migration, die Einführung von Ganztagsschulen, veränderten Schulstrukturen, ein erweitertes Lernverständnis sowie fächerübergreifendes Lernen usw. sind neue Handlungsfelder, auf die Lehrkräfte vorbereitet werden müssen.“

Heinz Kaiser, niedersächsischer Landesvorsitzender des bak Lehrerbildung. Foto: bak Lehrerbildung

Weiter betont Kaiser: „Als besonders dramatisch ist in diesem Zusammenhang der von den Bildungspolitikern selbst verursachte Lehrermangel zu bezeichnen: aus bildungspolitischer Sicht ist das eine Bankrotterklärung, denn der Mangel war vorhersehbar. Statt Profis unterrichten nun Amateure in den Schulen, besonders dramatisch ist die Situation aktuell im Grundschulsektor. Warum hier nicht wie in anderen Bundesländern längst eine Besoldungsanpassung und ebenso eine Anpassung der Unterrichtsverpflichtung stattgefunden hat, bleibt ein Rätsel.“ Niedersachsen hat bislang auf eine finanzielle Gleichstellung der Grundschullehrer mit denen am Gymnasium verzichtet (News4teachers berichtete).

Überhaupt, so Kaiser, sei die Unterfinanzierung des Bildungssystems endlich zu korrigieren. Auch die seit 100 Jahren geltende Bemessungsgrundlage beziehungsweise Gestaltung der Arbeitszeit der Lehrkräfte über Deputatsstunden sei antiquiert und werde den Veränderungen am Arbeitsplatz Schule nicht mehr gerecht. Das Berufsbild, vormittags Unterricht zu erteilen und nachmittags am Schreibtisch Arbeiten zu korrigieren und den Unterricht vorzubereiten, sei nicht zukunftsfähig. Schon gar nicht im Zeitalter der Digitalisierung.

Der Beitrag wird auch auf der Facebook-Seite von News4teachers diskutiert.

Auf die Ausbildung der Lehrer kommt es an: bak Seminartag diskutiert über Chancen und Risiken der Digitalisierung von Schulen

 

 

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