Eine Analyse von News4teachers-Herausgeber Andrej Priboschek
DÜSSELDORF. Die FDP nervt. Ihr Chef Christian Lindner instrumentalisiert die Schul- und Kitapolitik im bevölkerungsreichsten Bundesland, um sich bundesweit als Exit-Stratege zu verkaufen. Nichts spricht gegen politische Debatten, wie sich am besten mit den Folgen der Corona-Pandemie umgehen lässt. Viel spricht allerdings dagegen, dass politisch Verantwortliche mit inszenierten Alleingängen die Unsicherheit der Bürger in diesen Tagen noch vergrößern.
Sie haben’s schon wieder getan. Die FDP hat in Gestalt ihres nordrhein-westfälischen Landesvorsitzenden Joachim Stamp mit einem Alleingang gedroht, sollte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) am kommenden Mittwoch mit den Ministerpräsidenten keine Kita-Öffnungen beschließen. „Ich möchte jetzt gerne unseren Weg gehen. Wir lassen uns nicht noch eine Woche vertrösten“, sagte NRW-Familienminister Joachim Stamp (FDP) im „Morning Briefing“-Podcast des Journalisten Gabor Steingart. Zwar sollten sich Erzieher und Tagespflegepersonal in der derzeitigen Situation sicher fühlen können – aber andererseits müssten auch die Kinder möglichst zügig zurück in die Betreuung. Exit auf Teufel komm raus.
“Die Länder brauchen ihre Freiheit”
„Wir haben als Familienminister klare Wege aufgezeigt. Es gibt ein Konzept der schrittweisen Öffnung“, sagte Stamp weiter. Dieses sehe vier Phasen vor – „von der Notbetreuung über die erweiterte Notbetreuung bis zum improvisierten Regelbetrieb und schließlich dem Regelbetrieb”. Man sei nun in der zweiten Phase so weit, einen improvisierten Regelbetrieb ins Auge fassen zu können. Zudem kritisierte Stamp die zentrale Entscheidung über länderspezifische Fragen unter Führung der Kanzlerin. „Die Länder brauchen ihre Freiheit, die Pandemie verläuft in den Ländern unterschiedlich.“
Zahlen allerdings, die belegen würden, dass Nordrhein-Westfalen tatsächlich „in der zweiten Phase so weit ist“, dass von weiteren Kita-Öffnungen keine neue Infektionswelle ausgeht, legte Stamp nicht vor. Kann er auch nicht: Die Notbetreuung wurde erst am 23. April ausgeweitet – und die Inkubationszeit bei einer Infektion mit dem Corona-Virus beträgt bis zu zwei Wochen. Vielleicht sollte die Landesregierung zunächst einmal die Wirkung ihrer ersten Lockerung betrachten, bevor sie weitere Schritte geht.
Am 6. Mai beraten Merkel und die Ministerpräsidenten der Bundesländer erneut über das weitere Vorgehen in der Corona-Pandemie. Die FDP, die in der Runde nicht vertreten ist, schießt seit Wochen quer. Bevorzugtes Spielfeld: die Schulen und Kitas in Nordrhein-Westfalen, wo die Liberalen mit Stamp und Schulministerin Yvonne Gebauer die zuständigen Minister stellen. Und das von den beiden angerichtete Durcheinander ist groß.
Ende der vergangenen Woche verkündigte Gebauer einige Stunden VOR dem telefonischen Bund-Länder-Gipfel die Öffnung der Grundschulen auch für die Klassen eins bis drei ab dem 11. Mai in einer Schulmail an alle 5.500 Schulen im Land. Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) pfiff sie nach dem Gipfel zurück und kassierte die Ankündigung wieder ein.
Ergebnis: „Die Irritationen in der Lehrerschaft sind inzwischen gewaltig“, so sagt Lehrerverbands-Präsident Andreas Bartsch. „Das Letzte, was die Schulen derzeit brauchen, ist eine irrlichternde Landesregierung“, meint die GEW-Landesvorsitzende Maike Finnern. „Ich möchte daran erinnern, dass eine Schulmail des Ministeriums für Schule und Bildung Erlasscharakter hat und rechtlich verbindlich für die Schulen ist“, ergänzt die Gewerkschafterin. Schulen müssten sich darauf verlassen, dass ihr Ministerium über diesen Weg sagt, was tatsächlich gilt. „Eine Zumutung“ sei das Hin und Her.
Gebauer zieht den Exit-Kurs der FDP durch
Das Spiel hatte Gebauer bereits zwei Wochen zuvor gespielt. Am Tag VOR der ersten Bund-Länder-Telko erklärte die FDP-Ministerin gegenüber herbeigerufenen Pressevertretern, es sei ihr „festes Ziel“, die Schulen in der Woche nach den Osterferien wieder zu öffnen. Und genau das wurde in Nordrhein-Westfalen umgesetzt – obwohl die Telko mit Merkel dann eigentlich ein ganz anderes Ergebnis brachte: Bund und Länder verständigten sich im Grundsatz auf einen schrittweisen Schulbeginn erst ab dem 4. Mai. Auch dass sich die Städte und Gemeinden in NRW von der hastigen Öffnung überrumpelt fühlten und eine Verschiebung um einige Tage forderten, focht die Schulministerin nicht an. Sie zog den Exit-Kurs der FDP durch (und Laschet zog da noch mit).
Ergebnis: „Es zeigt sich eindeutig, dass die Vorbereitungszeit nicht ausgereicht hat, um einen umfassenden und einheitlichen Infektionsschutz an allen Schulen im Land zu gewährleisten“, so erklärt Philologen-Landesvorsitzende Sabine Mistler.
Bei Gebauers Ankündigung seinerzeit mit am Tisch: der FDP-Landesvorsitzende und Familienminister Stamp. Auch er zeigte sich forsch und kündigte an, den Kita-Betrieb zumindest für die Vorschulkinder ab dem 27. April zu öffnen. Laschet schwiemelte den Vorstoß später als „ein Vorschlag von vielen“ weg, der derzeit keine Umsetzungschance habe. Das Hin und Her der Landesregierung auch in dieser Frage dürfte für viel Verwirrung bei Betroffenen gesorgt haben. Gleichwohl will Stamp sich offenbar nicht länger vom CDU-Ministerpräsidenten ausbremsen lassen – und prescht eben nun schon wieder vor.
Wo die Schul- und Kitapolitik für Nordrhein-Westfalen gemacht wird, konnten die Bürger in der ZDF-Sendung „Mabrit Illner“ erfahren. Dort saß der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner – und forderte weitere Lockerungen. Er sprach von „wir“, als er die Maßnahmen der NRW-Landesregierung erklärte, der er eigentlich nicht angehört. Das Signal allerdings war unüberhörbar: Die FDP-Bundeszentrale bestimmt den Kurs der bundesweit einzigen FDP-Schulministerin und des einzigen FDP-Familienministers.
“Der Bildungsförderalismus ist überfordert”
Das – fast – lustige daran: Lindner kritisiert das Chaos, das er selbst mitverursacht. „Die Corona-Krise zeigt: Der Bildungsföderalismus ist überfordert. Die Schulschließungen und -öffnungen sind unkoordiniert. Bei den Abschlussprüfungen gehen 16 Länder 16 unterschiedlichste Wege. Nicht einmal in Krisenzeiten können sich die Kultusminister auf ein gemeinsames Handeln einigen. Es braucht einen grundlegenden Systemwechsel“, so schreibt er in einem aktuellen Gastbeitrag für den „Tagesspiegel“ und meint mit „Systemwechsel“ eine stärkere Zuständigkeit des Bundes für die Bildungspolitik. Dass Lindner, vermutlich ohne es zu wollen, damit seinem eigenen Adlatus Stamp widerspricht, der mehr Eigenständigkeit für die Länder fordert (siehe oben), sei hier nur am Rande erwähnt. Es gilt für die FDP halt, wie’s gerade passt.
Ich möchte zu Lindners Statement ergänzen: Es braucht vielleicht einen Systemwechsel in der Bildungspolitik (das ist aber eine andere Debatte); es braucht hier und jetzt allerdings vor allem verantwortlich handelnde Minister in den Landesregierungen, die sich nicht von Profilneurotikern in den Parteizentralen treiben lassen. Wie sagte der FDP-Chef doch einst so schön? „Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren.“ Vielleicht sollte er sich selbst mal daran halten. Agentur für Bildungsjournalismus
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