Website-Icon News4teachers

Immer mehr Länder preschen bei Schulöffnungen vor – Lauterbach warnt: Normaler Unterricht fällt für mindestens ein Jahr aus

BERLIN. Obwohl eigentlich erst morgen auf dem Bund-Länder-Gipfel mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) über das Thema Schulöffnungen gesprochen werden soll, überbieten sich manche Landesregierungen bereits heute mit Öffnungsszenarien. Der gesundheitspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, der Epidemiologe Karl Lauterbach, bezieht dazu deutlich Stellung – und verweist auf aktuelle wissenschaftliche Studien, die in Schulöffnungen ein hohes Risiko sehen.

Ist selbst ein studierter Mediziner und Epidemiologe, der in Harvard promoviert hat: Karl Lauterbach. Foto: Von Martin Kraft – Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0

Der SPD-Gesundheitsexperte Prof. Karl Lauterbach, selbst Mediziner und Epidemiologe von Beruf, hat sich bei Twitter kritisch zur aktuellen Öffnungsrunde bei Kitas und Schulen geäußert. Mit Bezug auf jüngst veröffentliche Studien zur Rolle von Kindern in der Pandemie schrieb er: „Praktisch bedeuten die Kinderstudien folgendes: Regulärer Unterricht fällt für mindestens 1 Jahr aus. Das kann jetzt als epidemiologisch sicher gelten. Daran ändern weder Apps noch Masken etwas. Es ist die Übertragung durch Aerosole und Kontakte im Klassenraum.“

“Lehrer müssen im Sommer geschult werden”

Lauterbach regt an, die Diskussionen zu verschieben – und jetzt lieber daran zu gehen, das nächste Schuljahr zu organisieren. Noch immer gebe es Schulen, die glauben würden, im Herbst könne wieder wie vor der Krise unterrichtet werden und die sich nicht auf das Lehren und Lernen unter Corona-Bedingungen einstellten. „So verliert man wichtige Zeit.“ Spätestens die Sommerferien müssten genutzt werden, um Material für den Fernunterricht und die Technik vorzubereiten, schlägt der SPD-Politiker vor. Die jetzige Versorgung der Schüler sei katastrophal. “Für Kinder muss die Möglichkeit bestehen, miteinander über den Unterrichtsstoff zu sprechen und dem Lehrpersonal Fragen zu stellen.” Dazu seien Präsenzangebote und eine technische Vernetzung notwendig. “Lehrer müssen im Sommer geschult werden”, so meint der SPD-Bundestagsabgeordnete.

Anzeige

Lauterbach bezieht sich offenbar auf eine Studie von Charité-Wissenschaftlern um den Virologen Prof. Christian Drosten, nach der Kinder das Coronavirus vermutlich genauso wie Erwachsene verbreiten (News4teachers berichtet ausführlich darüber – und zwar hier). „Kinder könnten genauso infektiös sein wie Erwachsene“, so heißt es in der Arbeit. Und: „Was die unbegrenzte Wiedereröffnung von Schulen und Kindergärten angeht, müssen wir in der gegenwärtigen Situation, in der immer noch ein Großteil der Bevölkerung nicht immun ist und die Übertragung allein durch nicht-pharmakologische Maßnahmen niedrig gehalten werden muss, äußerste Vorsicht walten lassen.“

Schüler haben deutlich mehr Sozialkontakte als Erwachsene

Einer am Wochenende bekannt gewordenen internationalen Studie zufolge, die chinesische, italienische und US-amerikanische Wissenschaftler jetzt in der wissenschaftlichen Zeitschrift Science veröffentlicht haben, stecken sich zwar Klein- und Schulkinder bis 15 Jahre deutlich seltener mit dem neuen Sars-Virus an als ältere Menschen. Ihr Corona-Risiko beträgt demnach nur ein Drittel gegenüber dem von anderen Altersgruppen, wie die „Süddeutsche Zeitung“ berichtet. Andererseits zeigt die Studie auch: Schüler haben unter normalen Bedingungen bis zu zehnmal mehr Kontakte mit anderen Menschen als Erwachsene. Wenn Kinder also infiziert sind, stecken sie womöglich deutlich mehr Menschen an. Die Schlussfolgerung: Schulschließungen „haben einen großen Einfluss auf die Dynamik des Ausbruchs“.

Im Umkehrschluss: Schul- und Kitaöffnungen bergen ein Risiko. Doch immer mehr Bundesländer ficht das nicht an. Ungeachtet der Vereinbarung, über die Schulen erst morgen auf dem nächsten Bund-Länder-Gipfel zu beraten, gingen heute einige Kultusminister an die Öffentlichkeit.

Mehrere Länder legen Pläne für Schulöffnungen vor

Gleich mehrere Länder legten Pläne für den Neustart der Schulen vor. In Bayern sollen Mitte Juni alle Schüler wieder in die Schule gehen können – „wenn das Infektionsgeschehen es zulässt“, sagte Kultusminister Michael Piazolo (Freie Wähler). Es soll kleine Klassen mit höchstens 15 Schülern und eine Maskenpflicht auf dem Schulhof geben. In Hessen soll der Unterricht ab dem 18. Mai schrittweise für viele weitere Schüler beginnen. Bis Pfingsten sollen zudem 50 Prozent der Krippen- und Kindergartenkinder in Bayern wieder in die Kitas, in Mecklenburg-Vorpommern die Vorschulkinder schon ab dem 18. Mai.

„Jetzt ist der richtige Zeitpunkt für ein vorsichtiges Öffnen. Die Erfolge sind eindeutig“, sagte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU). Bayern ist von allen Bundesländern am schwersten von der Pandemie betroffen, zuletzt war die Zahl der Erkrankten aber stark zurückgegangen. Nun sei es daher entscheidend, aus der Krise herauszukommen, langsam und sicher – das bleibe das oberste Gebot, sagte Söder. „Wir machen keine plumpe Öffnung. Das was wir machen, ist ja ein Modell“, sagte der CSU-Chef. Der bayerische „Pfad der Vernunft“ könne auch für andere Länder eine Blaupause sein.

Kritik am unabgestimmten Vorpreschen

Doch in mehreren Ländern gibt es auch scharfe Kritik am unabgestimmten Vorpreschen. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) betonte: “Zusammenbleiben kann man nicht, wenn jeder schon vorher beschlossen hat, was er macht.” Auch Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) sieht die regionalen Lockerungen kritisch. Sie hinterließen vielleicht bei manchen den Eindruck, sorglose Begegnungen seien wieder möglich.

Auch Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus kritisierte, dass die Länder bislang zu uneinheitlich vorgingen. Er hoffe, dass die Konferenz von Merkel und den Ministerpräsidenten mehr Ordnung ins Verfahren bringe, sagte der CDU-Politiker. Linksfraktionschef Dietmar Bartsch warf der Bundesregierung vor, das Heft mehr und mehr aus der Hand zu geben. „Das alles ist ein Dominoeffekt, der jetzt in keiner Weise aufhaltbar ist“, sagte er. „Jeder muss dem anderen folgen oder ihn überbieten. Ich sehe das als hochproblematisch an.“ News4teachers / mit Material der dpa

Schulöffnungen – Philologen in Sorge: Reicht die Hygiene? Bleibt Zeit für Unterricht?

 

Die mobile Version verlassen