BERLIN. Der VBE hat einen Brief an die Präsidentin der Kultusministerkonferenz, die rheinland-pfälzische Bildungsministerin Stefanie Hubig (SPD) geschickt. Darin äußert der Verband sein Befremden darüber, dass die Kultusminister Entscheidungen zu Schulöffnungen über die Köpfe der Lehrer hinweg getroffen haben – und er stellt einen Forderungskatalog auf. „Dazu gehört auch das Eingeständnis, dass mittelfristig flächendeckend kein regulärer Schulbetrieb gewährleistet werden kann – und von der Politik auch nicht versprochen werden darf“, so heißt es in dem Papier.
„Ich bin kein Virologe“, sagt Udo Beckmann, Bundesvorsitzender des Lehrerverbands VBE – mit Blick auf aktuelle Warnungen des Corona-Experten Prof. Christian Drosten vor unreflektierten Schulöffnungen (News4teachers berichtet ausführlich über die Debatte – hier geht’s zum Bericht). „Doch ich schließe mich an, bei der Öffnung von Schulen mit Bedacht und Augenmaß vorzugehen, stets einen Plan B und C in der Tasche zu haben und den Gesundheitsschutz nicht zu vernachlässigen. Warum sollte, was für alle gilt, nicht für Lehrkräfte gelten? Wenn beim Einkaufen, auf dem Amt und im Plenarsaal Abstandsregeln gelten, müssen sie dies auch im Klassenzimmer.“ Beckmann: „Alles das mahnt einfach zur Vorsicht.“
Gutes Krisenmanagement bezieht die Lehrergewerkschaften mit ein
Irritiert zeigt sich der VBE-Chef darüber, dass die Lehrervertreter vor den jüngsten Beschlüssen der KMK nicht einmal angehört wurden. „Über den Kopf der Beschäftigten hinweg zu entscheiden ist unfair, verbaut Wege der konstruktiven Zusammenarbeit und ist wissenschaftlich bewiesen der falsche Weg“, meint VBE-Bundesvorsitzender Udo Beckmann – und beruft sich auf PISA-Koordinator Andreas Schleicher. Der Bildungsdirektor der OECD habe beim internationalen Bildungsgipfel ISTP im Juni herausgestellt, dass „diejenigen Bildungssysteme am besten mit der aktuellen Krise umgehen können, bei denen es eine enge Zusammenarbeit zwischen Gewerkschaften und Ministerien gibt“. Deshalb, so Beckmann, erwarte der VBE, „dass unsere Forderungen bei der Erarbeitung von Konzepten für den Schulbetrieb beachtet werden“.
Alle Schüler sollen nach den Sommerferien wieder wie gewohnt in die Schule gehen – auf die Abstandsregel soll dabei, wenn möglich, verzichtet werden. Darauf hatten sich die Kultusminister der Länder in einer Schaltkonferenz am Donnerstag verständigt.
“Hier muss die KMK endlich umdenken”
Bei der jüngsten Sitzung des Bundesvorstandes des VBE wurde hierzu ein Positionspapier einstimmig beschlossen, „das wir der Präsidentin der Kultusministerkonferenz, Dr. Stefanie Hubig, in der letzten Woche gesendet haben. Hierin kritisierten wir auch, dass es ein falsches Signal war, dass die KMK bei ihrer letzten Sitzung ‚Bildungsexpertinnen und -experten‘ eingeladen hat, aber nicht die demokratisch legitimierten Lehrkräftevertretungen.“ Beckmann: „Es braucht faire Beteiligungsprozesse, welche die Sicht der Praxis einbeziehen und ergebnisoffen sind. Ein fertiges Konzept zum Abnicken vorgelegt zu bekommen, hat mit Partizipation nichts zu tun! Hier muss die KMK und müssen einzelne Kultusministerien endlich umdenken.“ News4teachers
Das Positionspapier des VBE-Bundesvorstandes zu Konzepten für den Schulbetrieb enthält fünf Punkte, die zu beachten seien:
Transparente Pläne für unterschiedliche Szenarien
„Da nicht abzusehen ist, wie sich das Infektionsgeschehen weiter entwickeln wird, aber es gemeinsames Ziel aller Beteiligten sein muss, auf alle eintretenden Situationen möglichst umfassend vorbereitet zu sein, braucht es durch die Politik Planungen für unterschiedliche Szenarien. Diese müssen transparent und öffentlich kommuniziert werden, sodass bei jedem eintretenden Szenario allen klar ist, was zu tun ist und wer für wen Ansprechperson ist. Essenziell ist zudem, dass die Schulleitungen konkrete Rahmenanforderungen er-halten, an denen sie sich orientieren, innerhalb derer sie aber entsprechend der Situation vor Ort frei agieren können. Die Eigenverantwortung muss unterstützt werden, aber darf kein Mittel zum Abschieben von Verantwortung sein. Die Haftung für alle Lockerungsmaßnahmen trägt das Ministerium.“
Ressourcenorientierung statt Theorie
„Die Planungen müssen sich an den zur Verfügung stehenden Ressourcen orientieren. Dabei ist insbesondere auf Vorhaben zu verzichten, die weder personell noch durch die entsprechende Ausstattung in den Schulen unterlegt sind. Dazu gehört auch das Eingeständnis, dass mittelfristig flächendeckend kein regulärer Schulbetrieb gewährleistet werden kann – und von der Politik auch nicht versprochen werden darf.“
Mehr Zeit und Wertschätzung für neue Kompetenzen statt starrer Curricula
„Der aktuellen Situation angemessen braucht es Zeit: für die Aufarbeitung, für die Wiedereinführung von Strukturen, für das Einüben des Umgangs mit digitalen Endgeräten. Das muss Vorrang haben vor dem Abarbeiten starrer curricularer Anforderungen. Dafür braucht es entsprechende Vorgaben. Zudem ist wertzuschätzen, dass Schülerinnen und Schüler in der Krise Kompetenzen, wie zum Beispiel Eigenständigkeit und Resilienz, weiterentwickelt oder neu erworben haben.“
Arbeits- und Gesundheitsschutz im Fokus
“Es ist intensiv zwischen einem möglichst normalen Schulbetrieb und dem bestmöglichen Arbeits- und Gesundheitsschutz für alle an Schule Beteiligten abzuwägen. Jede Aufhebung von Schutzmaßnahmen an Schulen muss wohlüberlegt sein und gut begründet sowie ausführlich kommuniziert werden. Bei jeder Lockerung ist von der Politik zu erläutern, welche alternativen Schutzmaßnahmen getroffen werden. Neben der Frage nach den Ressourcen für die wirksame Einhaltung von Hygieneregeln, wie Desinfektionsmitteln oder Reinigungskräften, muss auch eine psychologische Betreuung der Lehrenden und Lernenden gewährleistet werden. Dies gelingt am besten in multiprofessionellen Teams. Insbesondere sind Schulgesundheitsfachkräfte flächendeckend bedarfsgerecht einzusetzen, die Lehrkräfte unterstützen und die Prävention befördern können.
Solange in der Gesellschaft eine Definition für Risikogruppen aufrechterhalten wird, muss dies auch für in Schule Beschäftigte gelten. Deshalb braucht es klare und nachvollziehbare Regelungen, wie sich Lehrkräfte, die Risikogruppen angehören, von der Pflicht, vor Ort zu unterrichten, entbinden lassen können. Dies ist keine Entscheidung, die der Schulleitung aufgebürdet werden darf. Auch für Schülerinnen und Schüler, die Risikogruppen angehören, braucht es klare Regelungen für die Befreiung vom Präsenzunterricht und Konzepte für die Unterstützung im Homelearning.“
Lernrückstände ausgleichen; Bildungsgerechtigkeit fördern
„Durch die unterschiedliche Förderung der Schülerinnen und Schüler zu Hause und ihre unterschiedlichen kognitiven Voraussetzungen ist es insbesondere in der Zeit der Schulschließungen zu teilweise gravierenden Lernunterschieden gekommen, die nun stärkenorientiert auszugleichen sind. In Anbetracht der herausfordernden Situation durch die steigende Heterogenität in den Lerngruppen brauchen wir zur Umsetzung der individuellen Förderung mehr Personal, zum Beispiel durch den bedarfsgerechten Einsatz multiprofessioneller Teams. Die Ausstattung mit digitalen Endgeräten und die Begleitung durch eine pädagogische Fachkraft sind für diese Kinder und Jugendlichen prioritär sicherzustellen. Rechtzeitig vor Schuljahresbeginn müssen die Prüfungsszenarien des Schuljahres 2020/2021 transparent geregelt werden – für Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler und deren Eltern. Hierfür sind auch die Prüfungsinhalte mit Blick auf entfallene gemeinsame Lernzeiten und -inhalte zu überprüfen und ggf. anzupassen.“
Der Beitrag wird auch auf der Facebook-Seite von News4teachers diskutiert.
