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Überstunden, Abordnungen, Fortbildungen in der Freizeit und Unterricht live im Netz: Was auf Lehrer zukommt

WIESBADEN. Kurz vor Beginn der Sommerferien hat der hessische Kultusminister Alexander Lorz (CDU) in einem Brief an alle Schulen des Landes Regelungen für den Unterricht im kommenden Schuljahr benannt – und damit jetzt massive Kritik des Philologenverbands auf sich gezogen. Die Philologen beklagen: Die Kollegien müssen die Krisenfolgen ausbaden. Tatsächlich drohen Überstunden, Fortbildungen nur noch außerhalb der Unterrichtszeit und Abordnungen aus den weiterführenden Schulen an die Grundschulen. Ein weiterer Punkt sorgt für Irritationen:  Schüler, die zu Hause bleiben müssen, sollen Unterricht live übers Internet mitverfolgen können.

Werden die Corona-Folgen auf die Kollegien abgewälzt? Foto: Shutterstock

„Eine Aufhebung der Präsenzpflicht ist nur in Ausnahmefällen auf der Grundlage eines ärztlichen Attestes im Sinne der Zweiten Verordnung zur Bekämpfung des Corona-Virus möglich“, so heißt es im Brief des Kultusministeriums. „Das ärztliche Attest muss die Bestätigung enthalten, dass im Falle einer Infektion mit dem Coronavirus SARS CoV-2 aufgrund der besonderen individuellen Disposition die Gefahr eines schweren Krankheitsverlaufs besteht. Diese Regelung gilt für Lehrkräfte, sozialpädagogische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie Schülerinnen und Schüler, bei denen im vorgenannten Sinne die Gefahr eines schweren Krankheitsverlaufs besteht oder die mit Personen mit einer solchen Gefährdung in einem Hausstand leben.“

Schüler sollen von zuhause aus in den Unterricht “zugeschaltet werden”

Weiter heißt es: „Für Schülerinnen und Schüler, die aus o.g. Gründen nicht am Unterricht in der Schule teilnehmen können, erfolgt – soweit erforderlich – eine Ausstattung mit Digitalgeräten, die es ihnen ermöglicht, durch entsprechende Zuschaltung von zuhause aus am Unterricht gemeinsam mit ihrem Klassen- bzw. Kursverband teilnehmen zu können. In diesem Fall gelten die Grundsätze der Leistungsbewertung gemäß § 73 des Hessischen Schulgesetzes.“ Und: „Die Nutzung aller gegenwärtig erhältlichen Videokonferenzsysteme ist übergangsweise an Schulen freigegeben.“

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Hier stelle sich zwangsläufig die Frage nach dem Datenschutz, so meint nun der Philologenverband – auch schon bei der „Zuschaltung von zuhause aus“. „Wie weit wird hier Unterricht geöffnet, in welchen Räumen und in welchen Köpfen kommen diese schulischen Bilder und Situationen an?“; so will der Verband wissen.

Auch die „Freigabe“ von Videokonferenzsystemen durch das Kultusministerium wirft Fragen auf: Der Datenschutzbeauftragte von Thüringen hatte angekündigt, gegen Lehrer aufgrund möglicher Datenschutzverstöße ermitteln zu wollen. Bis zu 1.000 Euro Geldstrafe drohen Lehrern im Freistaat (womöglich später dann auch in anderen Bundesländern), wenn ihnen Datenschutzverstöße in der Corona-Krise nachgewiesen werden. Heißt: Wenn sie nicht sichere Software oder Kommunikationskanäle genutzt haben sollten (News4teachers berichtete bereits ausführlich über den Vorstoß – hier). Schiebt hierbei also das hessische Ministerium die Verantwortung an die Schulen ab?

Mehrarbeit wird zu besonderen Belastungen in den Kollegien führen

Das gilt für den Philologenverband in jedem Fall bei dem durch Corona nochmal verschärften Lehrermangel. „Schulleitungen wird empfohlen, das Instrument der Flexibilisierung der wöchentlichen Pflichtstunden von Lehrkräften nach § 17 Abs. 4 der Dienstordnung für Lehrkräfte, Schulleiterinnen und Schulleiter und sozialpädagogische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie das Instrument der Mehrarbeit bei späterem zeitlichem Ausgleich nach § 61 Hessisches Beamtengesetz zur Sicherung des Präsenzunterrichtes zu nutzen“, so heißt es in dem Brief. Im Klartext: Überstunden – erlaubt sind zwei Pflichtstunden – sollen im Bedarfsfall angeordnet werden. Ein Ausgleich muss erst im darauffolgenden Schuljahr erfolgen.

„Dies wird – in der ohnehin angespannten Situation – zu besonderen Belastungen vor allem bei den älteren Lehrkräften führen“, meint nun der Philologenverband. „Darüber hinaus dürfte eine Mehrarbeit auf breiter Ebene auch für Lehrkräfte mit Teilzeit, die aus gutem Grund reduziert haben, ein Problem darstellen. Die spätere Rückgabe der im Vorgriff gehaltenen Stunden, ist ein Problem für die spätere Personalsituation der Schule, falls die Stunden nicht durch zusätzliche Zuweisung von Lehrerstunden durch das Kultusministerium ausgeglichen werden.“

Lehrer-Fortbildungen grundsätzlich nur außerhalb der Unterrichtszeit

Problematisch sieht der Philologenverband auch die Regelungen der Fortbildungen. Im Brief des Kultusministeriums heißt es: „Vor dem Hintergrund der pandemiebedingten Reduzierung der personellen Ressourcen an Schulen aufgrund eines attestierten Gesundheitsrisikos bei Lehrkräften, das deren Tätigkeit im Präsenzunterricht ausschließt, müssen weitere Wege der Personalgewinnung für unsere Schulen beschritten werden. Im kommenden Schuljahr wird die Lehrkräftefortbildung daher auf die Themenfelder ‚Medienbildung und Digitalisierung‘ sowie ‚Unterstützung von Lehrpersonal in Grundschulen‘ fokussiert.“ Und: „Mit Online-Angeboten und Webinaren außerhalb der Unterrichtszeit haben wir gute Erfahrungen gesammelt, so dass weitere Fortbildungen angeboten und wahrgenommen werden können – allerdings im nächsten Schuljahr grundsätzlich nur außerhalb der Unterrichtszeit.“

Die Philologen kritisieren diese Vorgabe. „Der angeordnete Verzicht auf staatliche Fortbildungsangebote während der Unterrichtszeit schränkt das Fortbildungswesen ein, ja legt es partiell lahm“, so monieren sie. Und: „Wenn im kommenden Schuljahr die Lehrkräftefortbildung auf die Themen ‚Medienbildung und Digitalisierung‘ sowie ‚Unterstützung von Lehrpersonal an Grundschulen‘ fokussiert sein soll, bedeutet dies eine kritikwürdige Verengung, besonders auf die beabsichtigten Abordnungsmaßnahmen von Gymnasiallehrkräften an die Grundschulen.” Weitere Abordnungen sollen mit den Fortbildungen offenbar vorbereitet werden.

„Außergewöhnliche Zeiten“ verlangten – so zitiert der Philologenverband Kultusminister Lorz – „Außergewöhnliches“ ab. Der Verband meint: „Das dürfte den Schulen mit Beginn des ‘Lockdowns’ klargeworden sein. Nun sollte aber auch immer im Blick bleiben, wann die Schmerzgrenze erreicht ist. Der Brief ist so angelegt, dass die Verantwortungsbereich der Schulen massiv ausgedehnt wurde. Die Lehrkräfte müssen ausbügeln, was die Krise dem Bildungswesen eingebrockt hat.“ News4teachers

Der Beitrag wird auch auf der Facebook-Seite von News4teachers diskutiert.

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