DÜSSELDORF. Die Schulleitungsvereinigung Nordrhein-Westfalen hat sich in einem Brief an Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) über Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) beschwert. Der Öffentlichkeit werde vorgegaukelt, wie verantwortungsvoll, vorausschauend und umsichtig das Ministerium arbeite. Aber: „Nach Auffassung der Schulleitungsvereinigung NRW kommt das Ministerium für Bildung seiner Verantwortung für Vorsorge und Gesundheitsschutz gegenüber den Schülerinnen und Schülern, den Lehrkräften und den Schulleitungen im Land nicht nach.“
„Als Verband, der Schulleiterinnen und Schulleiter aller Schulformen vertritt, haben wir in den letzten Wochen und Monaten wahrgenommen, dass die Schulpolitik des Landes in Zusammenhang mit der Bewältigung der Corona-Bedingungen trotz vielfacher diesbezüglicher Hinweise zu wenig die tatsächlichen Rahmenbedingungen der Schulen realisiert. Die Vorgaben des Ministeriums für Schule und Bildung (MSB) sind aufgrund der örtlichen Gegebenheiten und der schulischen Rahmenbedingungen kaum erfüllbar“, so heißt es in dem Schreiben, das News4teachers vorliegt – das belege die Praxis des Schulstarts.
“Normaler Unterricht” in “festen Lerngruppen” – wie soll das gehen?
So gebe das Ministerium vor, weitestmöglichen „normalen Unterricht“ zu erteilen – aber in „festen Lerngruppen“. Wie passe das zusammen? „Kurssysteme, Religionsgruppen, Fördergruppen, sonderpädagogische Förderung, Deutschunterricht für Schüler*innen aus anderen Herkunftsländern… finden in unterschiedlichen Lerngruppen statt und müssen daher ausfallen, wenn Schulen die Forderungen des MSB ernst nehmen“, so heißt es in dem Schreiben.
„Der ausschließliche Einsatz von Lehrkräften in festen Lerngruppen ist nicht realisierbar. Fachunterricht, Teilzeitkräfte und viele andere Begebenheiten müssen bei der Stundenplangestaltung berücksichtigt werden. Im Herkunftssprachlichen Unterricht sind Lehrkräfte an mehreren verschiedenen Schulen eingesetzt. Vertretungsunterricht für erkrankte Lehrkräfte erfordert ein hohes Maß an Flexibilität in den Schulen, unterjährige Stellenbesetzungen, Ausbildung von Lehramtsanwärter*innen/ Referendar*innen und Studierende im Praxissemester erfordern unterschiedliche Lerngruppen. Der Vertretungsbedarf durch Schwangerschaften ist immens.“
Bauliche Voraussetzungen in Schulgebäuden fehlen
Die Schulministerin ignoriere die vielerorts nicht gegebenen baulichen Voraussetzungen für einen wirkungsvollen Hygieneschutz. Die öffentlichkeitswirksam präsentierte Handreichung des Ministeriums zum Lernen auf Distanz signalisiere der Elternschaft das Versprechen der Umsetzung – den Anspruch auf Umsetzung werde auf die Schulleitungen vor Ort verschoben. Auch die Vorgabe, Fernunterricht genauso zu benoten wie Präsenzunterricht, sei kaum erfüllbar. „Von Schulen wird dadurch eine Leistungsbeurteilung im luftleeren Raum ohne Vorgaben, ohne Standards gefordert. Diese Forderung ist rechtlich und pädagogisch nicht haltbar, wirft alle Vorgaben des Prüfungsrechts über den Haufen, sorgt in den Schulen für Verunsicherung, führt in der Praxis zu sichtbarer Ungleichbehandlung und wird in der Folge zu Fluten von Widersprüchen und Klagen führen.“
75 Millionen Euro seien von der Landesregierung für die Förderung von Kindern in den Sommerferien zur Verfügung gestellt worden. „Die Information dazu kam in den Schulen unmittelbar vor, teilweise in der ersten Woche der Sommerferien an. Wie können Schulen und Schulträger Förderung organisieren, wenn die Informationen so spät kommen?“ Ähnlich unrealistisch sieht die Schulleitungsvereinigung die Gebauers Ankündigung, mehr Lehrkräfte und Vertretungslehrkräfte einzustellen. „In den Schulen arbeiten schon jetzt viele Menschen als Lehrerinnen und Lehrer, die keine abgeschlossene Lehrerausbildung haben und als ‚Seiteneinsteiger‘ gelten. In den strukturschwachen Regionen oder in Brennpunktschulen herrscht zum Teil ein immenser Lehrermangel, so dass Stundentafeln schon in der Vor-Coronazeit nicht abgedeckt werden konnten.“
Digitalisierung der Schulen kommt kaum voran
Auch die Digitalisierung der Schulen laufe nur schleppend. „Einzig von Beschaffungsansätzen für Hardware ist die Rede, wobei man auch hier mit hohen Millionenbeträgen agiert wird. Bei der Umsetzung für betroffene Schülerschaft und das lehrende Personal vor Ort sind jetzt schon massive Verzögerungen festzustellen. Manche Schulträger bezweifeln schon jetzt, dass die Mittel ausreichen werden. Andere sind nicht einmal in der Lage, die bereitgestellten Mittel abzurufen, da keine Zuständigkeiten in den Schulverwaltungen vorhanden sind. Nicht verwundern kann es dann, dass Schulträger nicht über Konzepte für die mögliche Ausstattung mit Geräten in den unterschiedlichen Schulformen verfügen. In Bezug auf die Bereitstellung von Endgeräten sind inzwischen Schulleitungen aufgefordert, Bedarfs- bzw. Bedürfnisabfragen unter den Familien zu machen. Zu befürchten ist schon jetzt, dass nicht alle in notwendigem Maße partizipieren werden.“
Die Schulleitungsvereinigung sieht in den weiten Schulöffnungen ohne Abstandsregel einen „Feldversuch“ – und spricht von einer „Scheinbeteiligung“ der Schulleitungen. Fazit: „Ein wirkliches Interesse des MSB an der Realität vor Ort in den Schulen ist für uns nicht feststellbar.“ News4teachers
Nach 72 Stunden über 6.000 Quarantäne-Betroffene an Schulen – „Schulstart gelungen“