FRANKFURT/MAIN. Über die Hälfte aller Lehrkräfte arbeitet länger als sie muss, ein Fünftel sogar deutlich mehr – das geht aus einer Studie hervor, die nun vorgestellt wurde. Forscher der Universität Göttingen hatten dafür im Auftrag der GEW Anfang 2020 die Arbeitsbelastung von 1199 Frankfurter Lehrerinnen und Lehrern aus 64 Schulen erfasst. Für die Gewerkscahft ergibt sich daraus ein „exemplarisches Bild“ auch für Lehrerinnen und Lehrer andernorts.
«53 Prozent der Lehrkräfte liegen mit ihrer Ist-Arbeitszeit über ihrem individuellen Soll und leisten Mehrarbeit», sagte Studienleiter Frank Mußmann. 21 Prozent der Lehrkräfte liegen sogar deutlich darüber. Die «kalulatorische Soll-Arbeitszeit» beträgt in Hessen 47,5 Stunden; real sind es der Studie zufolge im Schnitt 48,5 Stunden.
In einer durchschnittlichen Arbeitswoche arbeiteten die befragten Lehrer im Schnitt Montag bis Mittwoch jeweils neun Stunden, donnerstags acht und freitags sieben Stunden. Am Wochenende kämen durchschnittlich Samstag zwei und Sonntag drei Stunden dazu. „Eine 7- Tage-Woche ist zu Schulzeiten für Lehrkräfte quasi-obligatorisch“, so heißt es in der Untersuchung. In die Berechnung wird die zu erbringende Jahresarbeitszeit ausschließlich auf die Schulwochen außerhalb der Ferienzeiten umgerechnet. Hessische Lehrkräfte liegen laut GEW mit ihrer gesetzlichen Jahresarbeitszeit an der Spitze der Bundesländer.
„Die Streuung der Arbeitszeit von Lehrern ist unangemessen hoch“
Die Verteilung der Arbeit wird von vielen Lehrern allerdings als ungerecht empfunden. „Die in Frankfurt geltenden, auf Regelstunden-Vorgaben basierende Arbeitszeitordnung und die entsprechenden Regularien der Entlastung und Kompensation für die Übernahme weiterer Aufgaben sind nicht in der Lage, das Arbeitszeitverhalten der Lehrkräfte so zu regeln, dass eine einigermaßen faire Zuweisung und Verteilung der Arbeit erfolgt“, so heißt es in der Untersuchung. „Die Streuung der Arbeitszeit ist unangemessen hoch.“
Besonders belastet sind offenbar auch Lehrkräfte an sozial schwierigen Schulstandorten. „20 der 66 Frankfurter Schulen mit Lehrkräften, die an der Studie teilgenommen haben, zeichnen sich durch eine Schulsituation mit drei oder mehr Bereichen überdurchschnittlicher sozialer Herausforderungen aus (festgemacht an soziodemografischen Merkmalen der Schülerinnen und Schüler, Sprachförderbedarfen, Sozialverhalten der Schülerinnen und Schüler und Unterstützung aus der Elternschaft). „Lehrkräfte an Schulen mit besonderen sozialen Herausforderungen erleben häufiger herablassendes Verhalten durch Schülerinnen und Schüler, Kolleginnen und Kollegen und Vorgesetzte. Respektloses Verhalten durch Eltern unterscheidet sich nicht signifikant.“ Auch mehr Konflikte träten mit den genannten Gruppen auf.
Weitere Ergebnisse:
- 40 Prozent der Lehrkräfte sehen für sich persönlich die Grenzen außerunterrichtlicher Verpflichtungen als überschritten an.
- Darunter leidet die Vor- und -nachbereitung des Unterrichts, 73 Prozent fühlen sich dadurch (eher) stark beansprucht.
- 63 Prozent der Lehrkräfte fühlen sich (eher) stark beansprucht, weil durch ausufernde außerunterrichtliche Verpflichtungen die Qualität des von ihnen durchgeführten Unterrichts leidet.
- Im Vergleich zu allen Berufsgruppen gehen Lehrkräfte häufiger krank zur Arbeit (Präsentismus).
- Lehrkräfte, die häufiger krank zur Arbeit kommen, haben deutlich höhere Personal-Burnout-Werte.
- 28 Prozent der Lehrkräfte lassen sehr häufig und 49 Prozent oft ihre Erholungspausen ausfallen oder verkürzen sie.
- 46 Prozent der Lehrkräfte gehen sehr häufig oder oft an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit.
- 65 Prozent erholen sich nicht in der arbeitsfreien Zeit.
- Positiv: 77 Prozent der Lehrkräfte begeistert ihre Arbeit oft oder sehr häufig und 50 Prozent erhalten oft oder sehr häufig Anerkennung durch ihre Arbeit
«Zwei von drei Lehrkräften in Frankfurt haben den Eindruck, dass der Arbeitsdruck in den letzten 12 Monaten noch weiter zugenommen hat», stellte der Studienleiter fest. Damit unterscheiden sich die befragten Lehrer erheblich vom Durchschnitt der Beschäftigten in Deutschland, wo bei einer ähnlichen Befragung nur eine von drei befragten Personen zur gleichen Einschätzung kam. Beim Durchschnitt aller Beschäftigten wird die aus dem wachsenden Arbeitsdruck resultierende Beanspruchung nur von 23 Prozent der Gesamtgruppe als „(eher) stark“ empfunden. Bei Lehrkräften sieht dies der Studie jedoch ganz anders aus: 70 Prozent aller Lehrkräfte beansprucht der wachsende Arbeitsdruck„eher stark“ oder „stark“.
Corona hat die Arbeitsbelastung für Lehrer noch einmal deutlich verschärft
Die Befragung wurde zwischen dem 10. Februar und 8. März vorgenommen, also bevor die Schulen wegen der Corona-Pandemie geschlossen wurden. «Seit Ausbruch der Corona-Krise hat die Arbeitsbelastung für die Lehrkräfte deutlich zugenommen», sagte Maike Wiedwald, Vorsitzende der Gewerkschaft GEW Hessen.
„Die Ergebnisse sind nicht nur eine Beschreibung der aktuellen Situation, sondern für uns eine Verpflichtung, als Gewerkschaft weiterhin energisch für eine Reduzierung der Arbeitszeiten und eine deutliche Verbesserung der Arbeitsbedingungen zu streiten“, sagt Maike Wiedwald, Landesvorsitzende der GEW Hessen. „Wir streben natürlich an, mit dem Kultusministerium ins Gespräch über die Ergebnisse der Studie zu kommen. Aus unserer Sicht muss zum Beispiel eine Reduzierung der Pflichtstunden erfolgen, um den Lehrkräften mehr Zeit für pädagogische Arbeit zu geben.“ News4teachers / mit Material der dpa
Hier lässt sich eine umfangreiche Zusammenfassung Studie herunterladen.
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