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Lehrerverbände fordern: Mehr Wertschätzung für mittlere Abschlüsse und das Duale System – GEW zeigt sich skeptisch

BERLIN. „Die Wertschätzung, die den Berufsbildnern hier zu Teil wird, ist schön. Nur kann das nicht darüber hinwegtäuschen, dass die berufliche Bildung in der deutschen Bildungspolitik seit jeher stiefmütterlich behandelt wird“, sagt Joachim Maiß, Vorsitzender des Bundesverbandes der Lehrkräfte für Berufsbildung (BvLB) zur aktuellen OECD-Studie „Bildung auf einen Blick“. Die hat dem deutschen Dualen System im internationalen Vergleich eine Spitzenposition attestiert, wenn es darum geht, junge Menschen in den Beruf zu bringen (News4teachers berichtet darüber – hier). Auch andere Lehrerverbände beklagen, dass mittlere Abschlüsse und die berufliche Bildung in Deutschland zu wenig anerkannt würden. Das Problem ist allerdings, dass sich Wertschätzung vor allem in Einkommensunterschieden und Arbeitsmarktdaten ausdrückt – und diese Daten sprechen nach wie vor für Abitur und Studium.

Die Duale Ausbildung gilt als Erfolgsmodell, aber… Foto: Shutterstock

Die duale Ausbildung muss weiter in den Fokus gerückt, die Attraktivität herausgehoben werden – meint der BvLB. Denn: Ein berufsbildender Abschluss sei fast so etwas wie eine Garantie für eine Beschäftigung. 88 Prozent der 25- bis 34-Jährigen mit Berufsabschluss haben laut OECD einen Job. „Wir haben in den letzten Jahren an unseren Schulen gute Arbeit geleistet“, sagt Eugen Straubinger, ebenfalls BvLB-Vorsitzender (der Verband hat zwei).

Allerdings dürfte es schwer werden, eine höhere gesellschaftliche Wertschätzung für die berufliche Bildung zu erreichen, wenn harte Fakten für ein Studium sprechen: Im Jahr 2018 lag die Arbeitslosenquote von Akademikern bei 2,2 Prozent – der Gesamtdurchschnitt hingegen bei 5,2 Prozent. Auch verdienen Akademiker nach einer Erhebung der Job-Plattform Stepstone schon beim Berufseinstieg deutlich mehr als ihre nicht-studierten Kollegen: brutto nämlich im Schnitt 46.000 Euro gegenüber 32.000 Euro im Jahr.

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Unterrichtsversorgung in der beruflichen Bildung liegt bei nur 90 Prozent

Umso mehr setzen Probleme an den Berufsschulen der Attraktivität der Dualen Ausbildung zu. Die Unterrichtsversorgung in der beruflichen Bildung liegt im Bundesdurchschnitt nur bei 90 Prozent, so heißt es beim BvLB. „Das bedroht zunehmend die Ausbildungsqualität, weil immer mehr Unterrichtstunden ausfallen müssen. Bis 2030 verschärft sich diese Situation dramatisch. Denn das chronisch unterversorgte System trifft eine Pensionierungswelle. In den nächsten zehn Jahren wird gut die Hälfte der rund 125.000 Berufschullehrer in den Ruhestand gehen – das sind 60.000. Ausgebildet werden pro Jahr aber gerade einmal 2000, weil der Nachwuchs fehlt“, sagt Straubinger.

Trotzdem meint Jürgen Böhm, Vorsitzender des Verbands Deutscher Realschullehrer (VDR): „Die berufliche Bildung ist eine der großen Stärken des deutschen Bildungssystems und wird auch nach der Covid-19-Pandemie eine maßgebliche Rolle spielen.“ Der Wirtschaftsstandort Deutschland sei „besonders durch die solide und zuverlässige Arbeit in der beruflichen Bildung gesichert worden“, betont er. Auch in Zukunft, nach der Krise, könne der Standort Deutschland von dem Zusammenspiel zwischen qualitativer, differenzierter Allgemeinbildung, beruflicher Bildung und den Unternehmen profitieren. Ein hochwertiger Realschulabschluss sei für Jugendliche die Basis für viele erfolgreiche Wege innerhalb der beruflichen Bildung.

Der Realschullehrerverband pocht auf ein gegliedertes Schulsystem

„Die Jugend-Arbeitslosenquoten in Ländern ohne klassische berufliche Bildung sind bekanntlich sehr hoch. Diese Situation wird durch die Pandemie noch verstärkt und verschlimmert“, sagt Böhm mit Blick auf Staaten wie Italien und Spanien. Deutschland habe seine besondere Stellung auch durch die duale Ausbildung behauptet. „Darin sind wir stark! Allerdings dürfen wir nicht aufhören, uns zu verbessern. Wir müssen die Qualität der Abschlüsse erhalten und vertiefen. Hier braucht es gesellschaftliche Anerkennung und Wertschätzung“, erklärt der Bundesvorsitzende.

Für ihn ist damit ein klares Bekenntnis zum gegliederten Schulsystem verbunden – und zur schulformspezifischen Lehrerausbildung: Es gehe darum, „eine moderne Lehrerbildung“ zu stärken, die Lehrkräfte befähige, „die Jugendlichen an den einzelnen Schularten fachlich und entsprechend ihrer Fähigkeiten und Fertigkeiten differenziert“ zu bilden. „Alle Bundesländer sind aufgefordert, eine entsprechende Lehrerversorgung sicherzustellen und so Qualitätseinbußen an den vielfältigen Schularten und auf den Bildungswegen vorzubeugen beziehungsweise abzubauen“, so Böhm.

“Berufliche Bildung wird in Deutschland nicht so wertgeschätzt wie außerhalb”

Der Philologenverband schlägt in die gleiche Kerbe. „Die Ergebnisse im europäischen Vergleich zeigen es wieder einmal: Deutschland ist im Bereich der beruflichen Bildung sehr gut aufgestellt. Das Einzige, was fehlt, ist, dass die berufliche Bildung in Deutschland im selben Maße wertgeschätzt wird, wie sie es im internationalen Vergleich offensichtlich ist: In fast keinem anderen OECD-Land sind die Berufsaussichten mit einem beruflichen Abschluss für die junge Generation so gut wie in Deutschland”, sagt Philologen-Vorsitzende Susanne Lin-Klitzing.

Sie betont: „Es wird Zeit, die berufliche Bildung neben der akademischen Bildung politisch so zu stärken, dass die berufliche Bildung auch tatsächlich die gesellschaftliche Wertschätzung bekommt, die ihr angesichts ihres Erfolges nicht nur im internationalen Vergleich, sondern auch in Deutschland gebühren sollte.“ Ziel müsse die höhere gesellschaftliche Wertschätzung aller Bildungsabschlüsse sein, „die in unserem Bildungssystem vergeben werden und mit denen – auf individuell unterschiedliche Weise – in unserem Bildungssystem hohe berufliche Zufriedenheit und Erfolg erworben werden können“.

GEW weist auf Qualitätsmängel hin – und auf Jugendliche ohne Berufsabschluss

Skeptischer zeigt sich hingegen die GEW. „Wir begrüßen grundsätzlich, dass der Bericht zum ersten Mal versucht, die bislang eher vernachlässigten Berufsbildungssysteme zu vergleichen. Deutschland nimmt unter anderem mit seinem Dualen System im internationalen Vergleich zwar eine ansehnliche Rankingposition ein, aber: Laut Berufsbildungsbericht haben mehr als 1,5 Millionen junge Menschen im Alter zwischen 25 und 34 Jahren keinen Berufsabschluss. Zudem erfasst der OECD-Bericht lediglich die Zahl der jungen Menschen in den Bildungsgängen, jedoch nicht deren Qualität“, sagt GEW-Vorsitzende Marlis Tepe. So stellt der DGB in seinem Ausbildungsreport 2019 fest, dass nur gut die Hälfte der Auszubildenden gezielt darauf vorbereitet werden, digitale Technologien zu nutzen. News4teachers

„Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Bildung ist ein Märchen“: Warum der Ansturm aufs Gymnasium gute Gründe hat

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