MÜNCHEN. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) hat angekündigt, den Freistaat Bayern und die Stadt München mit einer Verbandsklage zum bestmöglichen Gesundheitsschutz an Schulen zwingen zu wollen. Mit einer einstweiligen Anordnung möchte die Bildungsgewerkschaft erreichen, dass die Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts zur Verkleinerung der Klassen zur Einhaltung des Mindestabstands von 1,5 Meter umgesetzt werden. Sollte es zu einem Prozess kommen, wäre dies das erste Verfahren, in dem sich ein Bundesland wegen unzureichender Arbeitsbedingungen in der Corona-Krise vor Gericht verantworten muss.
Die bayerische Staatsregierung hält – wie die anderen Bundesländer auch – am Präsenzunterricht in voller Klassenstärke fest. Sie ignoriert damit die Empfehlungen des RKI, das ab einem Inzidenzwert von 50 Neuinfektionen innerhalb einer Woche auf 100.000 Einwohner für alle Schulen des betroffenen Gebiets eine generelle Maskenpflicht im Unterricht (also auch in Grundschulen) sowie eine Verkleinerung der Lerngruppen vorsieht, damit die Abstandsregel in den Klassenräumen eingehalten werden kann (News4teachers berichtet ausführlich über die Empfehlungen des RKI für den Schulbetrieb – hier geht es hin). Kein Bundesland beachtet bislang diese Empfehlungen. In Bayern liegt der Inzidenzwert laut RKI aktuell bei 168,4 (Stand: 20. November).
Fachanwalt der GEW: Die Untätigkeit des Kultusministeriums ist grob fahrlässig
Aus Sicht der GEW ist die Situation an bayerischen Schulen nicht mit dem Arbeits- und Gesundheitsschutz vereinbar. Schutzstandards würden ignoriert, Schüler und Lehrkräfte nicht ausreichend vor einer Ansteckung geschützt (News4teachers hat den fehlenden Arbeitsschutz an Schulen bereits ausführlich beschrieben). Daher hat die GEW den Fachanwalt für Verwaltungsrecht Rainer Roth beauftragt, Klage zu erheben.
Zu den Hauptargumenten der Klage und der einstweiligen Anordnung meint dieser: „Wenn das Robert-Koch-Institut bei einer Überschreitung des 7-Tages-Inzidenz-Wertes um mehr als 50 pro 100.000 Einwohner für Schulen die Verkleinerung von Klassen empfiehlt, und in den Landkreisen Bayerns dieser Wert teilweise um das Vier- bis Fünffache überschritten wird, dann besteht sehr konkreter staatlicher Handlungsbedarf zum Gesundheitsschutz an Schulen. Der Freistaat ignoriert jedoch die Vorgaben des Robert-Koch-Instituts und riskiert einen vollständigen ‘Schul-Lockdown’, der bei rechtzeitigem Eingreifen mit verhältnismäßigeren Maßnahmen wie Klassenteilung und Wechselunterricht hätte verhindert werden können. Die Untätigkeit des Kultusministeriums ist deshalb grob fahrlässig. Sie untergräbt auch die Akzeptanz der vom Robert-Koch-Institut empfohlenen Maßnahmen, wenn sich nur die Bürgerinnen und Bürger, nicht jedoch der Staat an diese Empfehlungen halten müssen.“
“Der Freistaat als Dienstherr muss seiner Fürsorgepflicht gegenüber den Lehrern nachkommen”
Der GEW geht es nach eigenem Bekunden um den Schutz aller Beteiligten – und darum, Schulen möglichst lange offen zu halten. Im Kern zielt die GEW darauf ab, gerichtlich feststellen zu lassen, dass organisatorische und technische Maßnahmen wie die Verkleinerung der Lerngruppen, das Abstandsgebot und technische Lüftungssysteme dafür umgesetzt werden müssen. Anton Salzbrunn, Landesvorsitzender der GEW, sagte in München zur Motivation der Klage: „Es reicht jetzt einfach! Seit Monaten fordern wir, dass der Schutz von Schülerinnen und Schülern sowie Lehrkräften ernst genommen wird und nichts passiert – vor allem: kein Abstand.“
Martina Borgendale, stellvertretende Landesvorsitzende ergänzt: „Jüngste Zahlen und Studien belegen, dass sich doch deutlich mehr Schüler*innen anstecken. Was in der Gesellschaft gilt, muss auch in der Schule gelten. Nun müssen der Freistaat und die Sachaufwandsträger handeln.“
Johannes Schiller, Mitglied im Hauptpersonalrat und einer der Sprecher der GEW-Landesfachgruppe Grund-, Mittel- und Förderschulen, dazu: „Wir drängen auf die flächendeckende Umsetzung des Wechselunterrichts, nicht nur, wie Ministerpräsident Söder es fordert, begrenzt auf lokale Hotspots – ganz Bayern ist ein Hotspot. Der Freistaat als Dienstherr muss seiner Fürsorgepflicht gegenüber den Beschäftigten nachkommen und sich an den Empfehlungen des RKI orientieren, die die Einführung des Abstandsgebots verbunden mit einer Verkleinerung der Lerngruppen ab einem Inzidenzwert von 50 vorsehen. Wichtig ist uns zu betonen: Es geht uns darum, Schulschließungen zu vermeiden und so viel Präsenzunterricht wie möglich zu gewährleisten.“
Söder hatte sich in dieser Woche durchaus offen gezeigt, die Regelungen für die Schulen zu verschärfen
Hintergrund: Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hatte in dieser Woche erkennen lassen, dass er bei den anstehenden Bund-Länder-Verhandlungen durchaus zu Konzessionen bereit ist. In Hotspots würden Schulschließungen durchaus etwas bringen, sagte er, das habe sich etwa im Berchtesgadener Land gezeigt (wo ein kompletter Lockdown samt Schulschließungen verhängt wurde und der Inzidenzwert mittlerweile von 272 auf 165,2 gesunken ist). Wenn es zu einem Prozess kommen sollte, wäre das der erste, bei dem ein Bundesland wegen Nicht-Einhaltung des Arbeitsschutzes von Lehrkräften sich vor einem Gericht verantworten muss – ein Urteil hätte bundesweite Strahlkraft. News4teachers