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Rabe wegen Superspreader-Studie unter Druck: Hat der Bildungssenator die Corona-Gefahr in Schulen bewusst vertuscht?

HAMBURG. Hat Hamburgs Bildungssenator Ties Rabe, Sprecher der SPD-geführten Kultusministerien in Deutschland, die Öffentlichkeit bewusst getäuscht, um beim Bund-Länder-Gipfel Ende November Druck auf weiterhin offene Schulen zu machen? Der Verdacht steht im Raum, dass Rabe eine Studie, die dringenden Anlass für eine vorsichtige Schulpolitik gegeben hätte, wochen- oder sogar monatelang vertuschte. Die Opposition in der Bürgerschaft und selbst der Koalitionspartner fordern Aufklärung.

Hamburgs Bildungssenator Ties Rabe ist als Sprecher der SPD-geführten Kultusministerien in Deutschland auch auf Bundesebene ein einflussreicher Mann. Foto: Daniel Reinhardt / Senatskanzlei Hamburg

Anfang Oktober bereits wurde eine von der Hamburger Gesundheitsbehörde in Auftrag gegebene Studie fertiggestellt, in der ein Superspreader-Event in einer Hamburger Schule nachgewiesen wurde. Diese Studie wird allerdings bis heute weitgehend unter Verschluss gehalten.

Die „Zeit“ war bei Recherchen auf die Ankündigung der Studie gestoßen, die im Zusammenhang mit dem Infektionsgeschehen an der Heinrich-Hertz-Schule in Auftrag gegeben worden war. Gibt es mittlerweile Ergebnisse, wollte die Redaktion von der Bildungsverwaltung wissen – wurde aber von einem Ansprechpartner zum nächsten verwiesen, ohne dass die Anfrage schließlich beantwortet wurde. Das berichtete das Blatt, was ein Bürger zum Anlass nahm, seinerseits unter Verweis auf das Informationsfreiheitsgesetz offiziell beim Senat anzufragen – mit bemerkenswertem Ergebnis. (News4teachers berichtete bereits ausführlich über den Fall – hier geht es hin.)

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Bei dem Ausbruch handelt es sich um das erste dokumentierte Superspreader-Event in einer deutschen Schule

Wie die Hamburger Gesundheitsbehörde am 22. Dezember mitteilte (genauer: mitteilen musste), geht aus der Studie hervor, dass die „Infektionen/Übertragungen in der Schule stattgefunden“ haben. Weiter heißt es: Von den untersuchten und verwertbaren Proben ist eine hohe Anzahl von identischen Genomsequenzen identifiziert worden. Daher ist die überwiegende Mehrzahl der Übertragungen höchstwahrscheinlich auf eine einzige Infektionsquelle zurückzuführen. Die Möglichkeit, dass der Ausbruch aus unabhängigen Einträgen resultiert, kann mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden.“ Heißt also: Bei dem Ausbruch handelt es sich um das erste dokumentierte Superspreader-Event in einer deutschen Schule.

Am 19. November – sechs Tage vor dem entscheidenden Bund-Länder-Gipfel – hatte Senator Rabe eine Pressekonferenz veranstaltet, auf der er behauptete, Daten seiner Bildungsbehörde belegten, dass sich Schüler nur äußerst selten in der Schule anstecken würden. Recherchen der Gesundheitsämter, der Schulleitungen und der Schulbehörde hätten ergeben, so Rabe, „dass 85 bis 90 Prozent der Infektionen von Schülerinnen und Schüler zu Hause oder in der Freizeit erfolgten – und eben nicht in der Schule. Das Risiko, sich außerhalb der Schule zu infizieren, ist rund acht Mal höher als eine Infektion in der Schule.“ Forderungen, die Schulen zu schließen, „sind angesichts dieser Zahlen nicht nur pädagogisch, sondern auch aus gesundheitlichen Gründen kontraproduktiv und nicht nachzuvollziehen“. Die Studie, die das Gegenteil aufzeigt, erwähnte Rabe dabei mit keinem Wort.

Wie konnten die Infektionsketten zu den Schülern denn so präzise nachvollzogen werden, wie Rabe behauptet?

Die Pressekonferenz erregte bundesweit Aufmerksamkeit. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ zum Beispiel titelte ohne Fragezeichen oder Anführungsstriche: „Die meisten Schüler stecken sich nicht im Klassenzimmer an“. News4teachers war skeptisch – und hakte nach: Wie konnten die Infektionsketten zu den Schülern denn so präzise nachvollzogen werden? Eine konkrete Auskunft von der Pressestelle gab es (und gibt es) dazu nicht (zum damaligen Bericht geht es hier). Die Ministerpräsidenten entschieden dann tatsächlich, sich dem Wunsch von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zu widersetzen (die entsprechend der Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts auf Wechselunterricht gedrungen hatte) und die Schulen unbeschränkt offenzulassen. Mittlerweile steckt Deutschland bekanntlich im zweiten Lockdown.

Die Opposition in Hamburg tobt. „Schulsenator Rabe hat den Hamburgern immer wieder versichert, dass Schulen sichere Orte seien. Das ist durch die Studie an der Heinrich-Hertz-Schule widerlegt“, sagt CDU-Schulpolitikerin Birgit Stöver laut „Hamburger Abendblatt“. „Es stellt sich die Frage, seit wann der Schulsenator dies wusste und ob er bewusst Tatsachen verheimlicht hat.“ Das interessiert auch die Linken-Fraktionschefin Sabine Boeddinghaus. Sie hat nun eine Schriftliche Kleine Anfrage an den Senat gestellt. „Dabei ist mir eine Frage ganz besonders wichtig: Hatte Senator Rabe bereits am 19. November Kenntnis von den Resultaten dieser Studie, als er seine eigenen Zahlen zum Infektionsgeschehen an den Hamburger Schulen im Rahmen einer Pressekonferenz vorstellte? Sollte das zutreffen, wäre das ein ungeheuerlicher Vorgang und Rabe hätte ein gewaltiges Problem.“

Auch die Grünen wollen wissen, “mit welcher Begründung die Behörde das so zurückgehalten hat“

Selbst in der rot-grünen Koalition ist man irritiert. Es interessiere auch die Regierungsabgeordneten, seit wann die Studienergebnisse der Schulbehörde bekannt gewesen seien, kommentierte etwa der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen-Bürgerschaftsfraktion, Michael Gwosdz, dem Abendblatt zufolge. Auch er wolle wissen, „mit welcher Begründung die Behörde das so zurückgehalten hat“, so Gwosdz weiter. „Schließlich war die Information, dass es aus unterschiedlichen Familien kam, Teil der Entscheidungsgrundlage für das weitere Handeln“.

Die Schulbehörde teilte gegenüber dem „Tagesspiegel“ mit, die „endgültigen Ergebnisse“ der Studie seien erst am 24. November von der Gesundheitsbehörde an die Schulbehörde übermittelt worden. Die „Zeit“-Anfrage, bei der ja durchaus die Existenz der Studie von der Pressestelle eingeräumt wurde, datiert allerdings nach Angaben der Redaktion bereits von Ende Oktober. Heißt das also, dass der Bildungssenator vorab über „vorläufige“ Ergebnisse informiert war – diese Kenntnisse aber bei seiner Pressekonferenz unterschlug?

Oder wusste Rabe tatsächlich nichts von der Studie? Das würde allerdings die Gesundheitssenatorin Melanie Leonhard (SPD) in die Bredouille bringen: Kann es ernsthaft sein, dass unter ihrer Verantwortung eine derart relevante Studie für den Schulbetrieb den für die Schulen verantwortlichen Senator sechs Wochen lang nicht erreicht? Und wieso wusste Rabes Pressestelle dann von der Studie?

Dazu kommt: Der Hamburger Bildungssenator tingelt seit Wochen mit den angeblichen Ergebnissen der Datenerhebung seiner Behörde durch Deutschland, ohne die Studie – von der er ja laut seiner eigenen Pressestelle seit dem 24. November weiß – zu erwähnen. Noch am 9. Dezember trat er so vor einem Millionenpublikum in der Sendung „Markus Lanz“ auf. Dort behauptete er einmal mehr: Nur eine von fünf Ansteckungen sei ursächlich in der Schule entstanden, 80 Prozent seien aus dem Freizeitbereich der Kinder gekommen. (News4teachers kommentierte den Auftritt Rabes kritisch – hier nachzulesen.)

Welche Rolle spielt der Hamburger Bürgermeister in dem Spiel?

Angesichts des Vorwurfs, die Öffentlichkeit getäuscht zu haben, versucht Rabe nun, die Relevanz der Studie kleinzureden. Er behauptet gegenüber dem NDR, was die Forscherinnen und Forscher herausgefunden hätten, sei im Prinzip längst bekannt gewesen. Nämlich, dass es einen Corona-Ausbruch in der Heinrich-Hertz-Schule gab, der aber nicht größer gewesen sei, als anfangs vermutet, sondern eher kleiner. Rabe habe aber eingeräumt, so berichtet der Sender, dass es im Nachhinein besser gewesen wäre, die Untersuchung sofort zu veröffentlichen. Wann für ihn „sofort“ war, dazu äußert sich der Bildungssenator allerdings nicht.

Interessant wäre in diesem Zusammenhang auch zu wissen, wie Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD), selbst Mediziner, auf dem Bund-Länder-Gipfel Ende November auftrat. Der irritierte noch unlängst mit der Aussage: „Es gibt überhaupt keinen Streit mehr über die Frage, dass gerade die jüngeren, jüngsten Kinder eben nicht infektionsgefährdet sind und nicht zum Infektionsgeschehen beitragen.“ Doch, den gibt es: Erzieherinnen und Erzieher, so teilte unlängst die AOK unter Berufung auf Versichertendaten mit, sind die Berufgruppe, die am häufigsten von Corona-Diagnosen betroffen ist. (News4teachers berichtet groß über die Krankenkassen-Statistik – hier.) News4teachers

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Mehr Informationen dazu – gibt es hier.

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