WIESBADEN. Hessens Kultusminister Alexander Lorz (CDU) hat in dieser Woche für den 22. März den Start in den Präsenzunterricht für alle Schüler angekündigt – nachdem er wenige Tage zuvor noch von einer weiteren Öffnung erst nach den Osterferien gesprochen hatte. „Die Schulen sind überrumpelt und empört, weil durch diese kurzfristige Kehrtwende die ohnehin hohe Belastung unnötig erhöht wird. Die nötigen Maßnahmen zum Infektionsschutz sind noch längst nicht umgesetzt“, sagt Ralph Wildner, Lehrer und Gewerkschafter. Im Namen des Kreisverbands der GEW Gießen kommentiert er das Hin und Her in der hessischen Schulöffnungspolitik – geharnischt. Wir dokumentieren das lesenswerte Schreiben.
Wiesbadener Springprozession
Wie das Kultusministerium mit den Schulen Schlitten fährt, bis der Arzt kommt
Einen Schritt vor, und gleich wieder einen Sprung zurück. Im Vergleich zu diesem Wiesbadener Schauspiel ist die Echternacher Springprozession zielstrebig und zukunftsfähig. Noch am 5. März wies das Hessische Kultusministerium (HKM) einen Vorstoß der KMK-Präsidentin Britta Ernst zurück, alle Kinder noch im März wieder in die Schule zu schicken. Nach den Osterferien, Mitte April also, würde Hessen je nach Infektionslage vorsichtig mit dem Wechselunterricht wieder beginnen. Vier Tage später ist das wertloses Geschwätz von gestern.
Mit Erlass vom 9.3.21 werden ab 22.3. alle Jahrgänge, die jetzt noch zu Hause lernen, in den Wechselunterricht geholt. (News4teachers berichtete – hier.) Pädagogisch ist das sicher sinnvoll. Wenn es keine Pandemie gäbe. In der Praxis wirft es viele der mühsam erarbeiteten Präventionsmaßnahmen über den Haufen: Wenn wieder alle Klassenräume besetzt sind, gibt es keine Ausweichräume mehr, um die Abschlussklassen zu teilen, die jetzt schon komplett anwesend sein müssen. Abstand wird zur beliebigen Variablen. Das ist im Hygieneplan 7.0 vom 11.2. schon angelegt: Ein Mindestabstand von 1,50 m sei einzuhalten, „sofern nicht pädagogisch-didaktische Gründe oder die Raumsituation ein Unterschreiten erfordern“. Nicht nur in der „Raumsituation“, sondern auch in den Schulbussen wird die drangvolle Enge zurückkehren, die schon vor der Pandemie ein Ärgernis war.
Das Schreiben an Schulen und Eltern ist ein konzeptloses Vor-und-Zurück
Was ist los im HKM? Das Schreiben an Schulen und Eltern ist ein konzeptloses Vor-und-Zurück: Auf Seite 1 wird noch die Öffnungsankündigung nach den Osterferien zitiert („wie bereits angekündigt, beabsichtigen wir …“), was auf Seite 2 zurückgenommen wird, mit „Blick auf die Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen“ muss nun Präsenz im März sein. Auf Seite 3 wird die Rücknahme wieder zurückgenommen, für den Fall, dass „der landesweite Inzidenzwert bis dahin über 100 steigen sollte“. Derzeit liegt er bei 68,7 – Tendenz, gegen den Bundestrend, steigend, bei zunehmendem Anteil von Mutationen. Und drei Kreise überschreiten die 100 schon heute. Ist es ein rein symbolischer Erlass, der dereinst höchstens hinter den Kasseler Bergen umgesetzt werden soll?
Die Lage ist nicht ermutigend: Bisher sind keine Fortschritte beim Impfen der Lehrkräfte in den fraglichen Jahrgangsstufen erzielt worden, die Schnelltests sind gerade erst holprig angelaufen, erste Ergebnisse stehen noch aus. Erfahrungen aus dem Ausland, etwa aus Österreich, könnten zu größter Vorsicht mahnen.
Wir wünschen uns zuverlässige und verständliche Informationen durch ein kompetentes Ministerium
Stattdessen blinder Aktionismus ohne Bezug zu Fakten und Daten. Was ist das Ziel dieser Aktionen? Soll ein lautes Scheppern im Getriebe kurz vor der Kommunalwahl von dem Skandalregen ablenken, der sich über die CDU/CSU gerade ergießt? Scheuer, Spahn, Amthor, Nüßlein, Löbel, Fischer, Strenz und jetzt noch Renz … Ein C-Movie aus dem Brain-dead-Genre. Die C-Fraktion hat gerade echt schlechtes Karma. Die Botschaft dahinter wäre leicht auszubuchstabieren: „Bitte achtet nicht zu sehr auf unsere wenigen inkompetenten oder korrupten faulen Äpfel, sondern auf tatkräftige Impulsgeber wie Dr. Lorz.“ Dass der vor lauter Impuls keine Richtung findet, merkt nur, wer eine Aufmerksamkeitsspanne von mehr als drei Tagen hat.
Wir wünschen uns zuverlässige und verständliche Informationen durch ein kompetentes Ministerium, das auf der Basis von Fakten verantwortungsvoll und vorausschauend handelt. Verlangen wir zu viel?
Für den GEW-KV Gießen
Ralph Wildner
Auch der Deutsche Lehrerverband Hessen (dlh) zeigt sich überrascht und wenig begeistert von den Plänen des Hessischen Kultusministeriums, mit dem Wechselunterricht für die Jahrgangsstufen ab Klasse 7 am 22. März zu beginnen.
Die dlh-Landesvorsitzende Annabel Fee kritisiert: „Das ist ein erneuter Schnellschuss des Ministeriums, nachdem am vergangenen Freitag noch verlautbart worden war, dass es vor den Osterferien keine Änderungen mehr geben werde.“ Der organisatorische Aufwand für die Schulen steigt dadurch vor den Osterferien erneut an, zumal z.B. an den Gymnasien zusätzlich noch die Noteneingabe und die Prüfungsorganisation des Abiturs anstehen. Da zudem jede Schule in Eigenregie den Wechselunterricht organisieren soll, komme es zu einem Flickenteppich bei der Beschulung der Schülerinnen und Schüler in Hessen.
Der dlh begrüße es grundsätzlich, dass die Kinder und Jugendlichen möglichst bald wieder zu einem normalen Schulalltag zurückkehren können. Der Nutzen der geplanten Maßnahmen stehe jedoch in keinerlei Relation zum erhöhten Organisationsaufwand der Schulleitungen für gerade mal 8,5 Schultage. Denn in diesem Jahr beginnen die Osterferien in Hessen am Gründonnerstag nach der 3. Stunde. Annabel Fee: “Nun geraten die Schulleitungen erneut unter Druck, da Erwartungen bei den Eltern geweckt worden sind, die nicht zuletzt ihre Kinder in Präsenz unterrichtet haben wollen.”