BERLIN. Schule zu, Schule auf: In dieser Woche kommen Kinder und Jugendliche in etlichen Bundesländern zurück in die Klassenzimmer, zumindest in den Wechselunterricht. Das gilt zwar nicht für zahlreiche Kommunen mit zu hohen Corona-Zahlen. Trotzdem stellen sich Fragen: Wie lange ist der Präsenzunterricht bei nach wie vor rasant steigenden Infektionszahlen überhaupt aufrecht zu erhalten? Lässt zusätzlicher Präsenzunterricht die Welle nicht noch weiter ansteigen? Die GEW hält die vom Bund vorgesehene Grenze von 200 Neuinfektionen auf 100.000 Einwohner innerhalb von einer Woche für zu hoch. Tatsächlich scheint sich hier etwas zu ändern.
Die 7-Tages-Inzidenz für ganz Deutschland liegt aktuell bei 162 – Tendenz stark steigend, wie aus dem aktuellen Lagebericht des Robert-Koch-Instituts hervorgeht. „Nach einem vorübergehenden Rückgang der Fallzahlen über die Osterfeiertage setzt sich der starke Anstieg der Fallzahlen fort. Die COVID-19-Fallzahlen stiegen in den letzten Wochen in allen Altersgruppen wieder an, besonders stark jedoch in jüngeren Altersgruppen“, so heißt es.
Und: „Beim Großteil der Fälle ist der Infektionsort nicht bekannt. COVID-19-bedingte Ausbrüche betreffen momentan insbesondere private Haushalte, aber auch Kitas, Schulen und das berufliche Umfeld, während die Anzahl der Ausbrüche in Alters- und Pflegeheimen abgenommen hat.“ Die auch von Kultusministern vertretenene These, dass der Inzidenzwert nur deshalb steigt, weil mehr getestet wird, weist das RKI zurück: „Der Positivenanteil der Testungen nimmt wieder zu und liegt bei über 12%.“
(2) Wenn Zahl Geimpfter steigt konzentriert sich Pandemie immer stärker auf Schüler, Lehrer und Eltern. 7% der Schüler und 14% der Eltern gehen nach Infektion in #LongCovid über. Das kann keiner wollen. Viele Eltern Mitte 40 haben Risikofaktoren. Wir bringen sie in Lebensgefahr
— Karl Lauterbach (@Karl_Lauterbach) April 18, 2021
In einigen Bundesländern wie Schleswig-Holstein und Hessen enden in dieser Lage die Osterferien. Andere – wie Berlin, Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg – öffnen ihren Schulbetrieb für den Präsenzunterricht zumindest teilweise. So wird es in vielen Berliner Schulen ab dem heutigen Montag wieder voller, weil die 7. bis 9. Klassen trotz anhaltender Corona-Pandemie zurück in den Wechselunterricht kommen. Der Bund will in dieser Woche ein neues Infektionsschutzgesetz beschließen, in dem als Schwellenwert eine Inzidenz von 200 für den Kita- und Schulbetrieb festgeschrieben wird. Darüber sind dann Schließungen vorgeschrieben. Einige Bundesländer, die bislang vorsichtiger agierten, sind nun gewillt, den gesetzlichen Spielraum auszunutzen – und öffnen Schulen mitten in die dritte Welle hinein.
Zahlreiche Städte und Landkreise in NRW und Baden-Württemberg dürfen im Distanzunterricht bleiben
Nach einer Woche Unterricht zuhause sind deshalb viele Kinder und Jugendliche in Nordrhein-Westfalen wieder in ihre Klassenzimmer zurückgekehrt. Tausende müssen allerdings weiterhin daheim bleiben, wenn sie in Kommunen mit besonders hoher Corona-Neuinfektionsrate wohnen. Am Montag galt das nach Angaben des Düsseldorfer Gesundheitsministeriums bereits für 21 von insgesamt 53 Städte und Kreise. Ihre Neuinfektionsrate liegt dort schon seit mindestens drei Tagen bei 200 oder höher, gerechnet auf 100 000 Einwohner und sieben Tage. Die Zahl der betroffenen Kommunen hatte sich in den vergangenen Tagen stetig erhöht.
«Der Plan, die Schulen in der dritten Welle zu öffnen, ist gescheitert», bilanzierte die GEW. «Schon jetzt bleiben über 40 Prozent der Schulen im Distanzunterricht.» Das sei bereits absehbar gewesen, kritisierte die Landesvorsitzende Maike Finnern. «Die Unsicherheit wächst. Das Chaos wächst.» Mit der in der vergangenen Woche überraschend vom Schulministerium angekündigten Rückkehr in den Wechselunterricht könne sich die Lage in den Kommunen von Tag zu Tag ändern. «Wie lange soll das noch so weitergehen?», fragte Finnern. «Die Schulen brauchen dringend eine Perspektive bis zum Schuljahresende.»
Ähnlich ist die Lage im Südwesten: In Baden-Württemberg kehren in dieser Woche hunderttausende Schülerinnen und Schüler nach über vier Monaten im Lockdown in ihre Klassenzimmer zurück – allerdings nur mit Maske, Abstand und einem negativen Testergebnis. Die Maßnahme der grün-schwarzen Landesregierung ist hochumstritten, weil das Land mitten in der dritten Corona-Welle mit stark steigenden Infektionszahlen steckt.
Vom heutigen Montag an sollen nach Plänen des Kultusministeriums alle Jahrgangsstufen aller Schularten wieder in Präsenz unterrichtet werden – allerdings meistens im Wechsel, um das Ansteckungsrisiko zu reduzieren. Wer mehr als drei Tage in Folge an der Schule ist, muss sich zweimal pro Woche testen lassen. In 11 von 44 Stadt- und Landkreisen werden die Schulen allerdings größtenteils geschlossen bleiben, weil sie entweder schon drei Tage über der Inzidenz von 200 lagen oder kurz davor stehen. Darunter sind auch Stuttgart und Ulm. Etwa sechs weitere Kreise liegen nur knapp unter dem Schwellenwert.
In Corona-Hotspots mit über 200 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in der Woche soll es grundsätzlich nur Fernunterricht geben, auch Kitas sollen dann geschlossen werden. Ausnahmen gibt es für die Notbetreuung, Abschlussklassen sowie die sonderpädagogischen Bildungs- und Betreuungseinrichtungen (SBBZ).
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) meint, dass die Notbremse in Bildungseinrichtungen für alle ab einem Inzidenzwert von 100 gezogen und Fernunterricht angeboten werden müsse, wenn der Ausbruchsherd in einer Kommune nicht ganz konkret definiert werden könne. „Kinder, Schülerinnen und Schüler sowie Lehrkräfte und Bildungspersonal sind von der Virusmutation stark betroffen. Die Zahl 200 im Infektionsschutzgesetz ist eine politisch motivierte Setzung, damit Schulen und Kitas geöffnet bleiben können. Der Wert ist nicht wissenschaftsbasiert, er ist nicht am Gesundheitsschutz der Lehrenden und Lernenden orientiert“, sagte GEW-Vorsitzende Marlis Tepe während einer Anhörung des Bundestagsausschusses für Gesundheit zum Bevölkerungsschutzgesetz am Freitag in Berlin.
„Das A und O bleibt die schnelle und deutliche Erhöhung des Impftempos – auch bei Lehrkräften”
Grundsätzlich unterstützte Tepe den Vorstoß, dass der Bund jetzt über das Infektionsschutzgesetz auch für Schulen und Kitas bundesweit verbindliche Vorgaben machen wolle. Diese müssten allerdings zeitlich klar begrenzt sein. So würden in der Corona-Pandemie „klare rote Linien gesetzt und der föderale Flickenteppich beendet“. Tepe betonte jedoch: „Das A und O bleibt die schnelle und deutliche Erhöhung des Impftempos. Dafür müssen alle Lehrkräfte und weitere im Bildungsbereich Beschäftigte in die Impfgruppe 2 aufgenommen werden. Nur Impfungen bieten einen hohen Schutz für alle Menschen in Schulen, Kitas, Hochschulen und der Erwachsenenbildung. Wer öffnen will, muss impfen.“
(2) Es gibt jetzt Möglichkeit, in nächsten 6 Wochen noch einmal weit über 10.000 Menschen meist im Alter 40-60 J zu retten, mit letztem strengen Lockdown. Oder wir sind dafür nicht bereit, weil es uns die Einschränkungen 10.000 Tote nicht wert sind. Dann hätten wir versagt.
— Karl Lauterbach (@Karl_Lauterbach) April 18, 2021
Die GEW-Vorsitzende machte deutlich, dass Selbst- und Schnelltests nicht genügend Sicherheit böten, um Schulen und Kitas bis zu einer Inzidenz von 200 zu öffnen. Bisher gebe es noch keine ausgefeilte, erprobte Teststrategie. Dafür müssten pro Woche rund 24 Millionen Tests an die Schulen gebracht werden. Zudem brauche es geschultes Personal etwa des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) oder des Arbeiter-Samariter-Bundes (ASB), um die Tests sicher durchzuführen. Tepe begrüßte, dass Lernende Bildungseinrichtungen nur getestet besuchen dürften. Sie mahnte an, dass alle Lehrkräfte sowie die Erzieherinnen und Erzieher mindestens zwei Mal wöchentlich Testangebote erhalten sollten, einer Testpflicht für die Beschäftigten stehe sie jedoch kritisch gegenüber.
Die Spitzen der Regierungsfraktionen von CDU/CSU und SPD haben sich einem Bericht des “Spiegel” zufolge auf Änderungen am Entwurf für ein Infektionsschutzgesetz geeinigt. Demnach soll die Ausgangssperre nun erst ab 22 Uhr greifen. Bis 24 Uhr soll zudem erlaubt werden, dass Einzelpersonen auch ohne Hund draußen spazieren gehen und joggen. Gleichzeitig soll der Entwurf der Bundesregierung aber an verschiedenen Stellen verschärft werden, heißt es. Für Kinder im Alter bis 14 Jahren soll Sport in Gruppen weiter möglich sein. Zudem schlagen die Fraktionsspitzen vor, dass die Kitas und Schulen ab einer Inzidenz von 165 wieder schließen müssen – nicht erst, wie bislang vorgesehen, bei einem Wert von 200.
Hamburgs Schulsenator Ties Rabe, der im vergangenen Jahr immer wieder Schulen für sicher und Kinder für praktisch nicht ansteckend erklärte, sagte dazu: „Ich bin sehr enttäuscht: Schulschließungen werden noch weiter verschärft, aber die Ausgangssperren für Erwachsene gemildert. Kinder werden aus der Schule ausgesperrt, damit Erwachsenen abends länger unterwegs sein können. Das passiert, wenn der Bundestag Schulpolitik macht.“ News4teachers / mit Material der dpa
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