PARIS. Die Schulen offen halten und mit regionalen Maßnahmen gegen Corona angehen – das war das Dogma von Frankreichs Präsident. Davon hat sich Macron nun verabschiedet. Das dürfte Konsequenzen für die Debatte auch in Deutschland haben: Frankreich fällt als Vorbild für diejenigen, die Kitas und Schulen möglichst unabhängig von Inzidenzwerten offenhalten wollen, aus.
Frankreich verhängt im Kampf gegen Corona landesweit harte Beschränkungen für vier Wochen und schließt vorübergehend auch die Schulen. Dies kündigte Präsident Emmanuel Macron in einer Fernsehansprache an. Macron sprach von einem «Wettlauf gegen die Zeit». Von Ostersamstag an müssen im ganzen Land nicht lebensnotwendige Läden geschlossen bleiben. Außerdem gibt es strenge Bewegungseinschränkungen. Erstmals im laufenden Schuljahr bleiben auch die Schulen zu. Der Präsident hatte immer wieder betont, dies solange wie möglich verhindern zu wollen.
Im ganzen Land sollen nach den Osterwochenende nun die Schulen einheitlich für drei Wochen geschlossen sein. Zunächst gibt es eine Woche lang Distanzunterricht, gefolgt von zwei Wochen Frühlingsferien für alle. Bislang waren in den Regionen unterschiedliche Regelungen geplant. Im gesamten Land gelten vom Wochenende an auch Bewegungseinschränkungen – so dürfen sich die Menschen etwa für Spaziergänge oder Sport nicht weiter als zehn Kilometer von ihrer Wohnung fortbewegen. Unternehmen sollen künftig nun noch mehr auf Home Office setzen.
«Das Virus zirkuliert in den Schulen, aber es zirkuliert dort nicht stärker als anderswo»
Macron sagte, man könne bei jeder Etappe der Epidemie sagen, dass Fehler begangen worden seien. «All das ist wahr. Aber ich weiß eine Sache: Wir haben durchgehalten, wir haben gelernt, und wir haben uns jedes Mal verbessert.» Und: «Wir können uns gratulieren, dass wir einer der wenigen Staaten weltweit waren, der die Schulen ab September offen gehalten hat», sagte Macron. Das Land habe eine «Verpflichtung gegenüber der Jugend», niemand könne wissen «was die langfristigen Folgen andauernder Schulschließungen» sein werden. «Das Virus zirkuliert in den Schulen, aber es zirkuliert dort nicht stärker als anderswo», meinte Macron – die französische Variante des Lamentos der deutschen Kultusminister, Schulen seien keine Treiber der Pandemie.
Die Schulen waren in Frankreich bisher nur während des ersten strengen Lockdowns im vergangenen Frühjahr geschlossen gewesen. Frankreich galt deshalb für diejenigen in Deutschland, die Präsenzunterricht in der Pandemie unbedingt befürworten, bislang als Vorbild.
Noch in der vergangenen Woche kommentierte die „Süddeutsche“ (unter der Überschrift “Da kann man was lernen”) mit Blick zunächst auf Deutschland: „Doch den zweiten Lockdown im Winter konnten alle Bekenntnisse nicht verhindern. Und weil die Zahlen wieder steigen, steht auch der aktuelle, zaghafte Öffnungskurs schon wieder infrage, in manchen Kreisen in NRW etwa kehren die Klassen schon wieder in den Distanzunterricht zurück. Wir wollen ja den Präsenzunterricht, heißt es, aber bei den Zahlen geht es eben nicht anders. Wer nach Frankreich (…) blickt, sieht: Doch, es geht.“ Es geht offenbar nicht.
Denn der Preis ist erkennbar hoch. Die Corona-Situation im Land hat sich in den vergangenen Wochen noch einmal deutlich verschärft. Vor allem Krankenhäuser im Großraum Paris schlagen massiv Alarm, weil die Intensivstationen überfüllt sind. Die Zahl der Corona-Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner binnen einer Woche lag landesweit zuletzt bei gut 375. Deutschland hatte Frankreich vergangene Woche als Hochinzidenzgebiet eingestuft und die Einreisebestimmungen verschärft. In dem Land mit rund 67 Millionen Einwohnern starben bisher über 95.000 erkrankte Menschen. Zum Vergleich: Deutschland verzeichnet (bei 83 Millionen Einwohnern) rund 76.000 Corona-Tote.
Eine katastrophale Bilanz: Frankreich hat damit aktuell gemessen an der Einwohnerzahl mehr Corona-Todesopfer zu beklagen als Schweden und nur etwas weniger als Brasilien, Länder also, die in der Pandemie keine Lockdowns und vergleichsweise milde Beschränkungen verhängt haben.
Die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo hatte kurz vor der Ansprache des Präsidenten Schulschließungen gefordert
Besonders Kinder und Jugendliche stecken sich schnell an. Die Zahl der wegen Infektionsfällen geschlossenen Schulklassen in Paris hat sich einem Bericht der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ zufolge von Sonntagabend (246) bis Dienstagabend fast verdreifacht (722). Neun weiterführende Schulen in der Hauptstadt mussten wegen Clustern komplett geschlossen werden. Zuletzt waren die offenen Schulen politisch heftig umstritten: Die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo hatte kurz vor der Ansprache des Präsidenten Schulschließungen gefordert. Bereits Ende Januar hatten Zehntausende Lehrer und Schulkrankenschwestern in Frankreich für einen Tag gestreikt, um auf ihre schlechten Arbeitsbedingungen und den mangelnden Hygieneschutz in der Pandemie aufmerksam zu machen.
Auch außerhalb von Paris geht die Zahl der Infektionen in den Schulen rapide nach oben: In der Woche bis vergangenen Freitag haben sich nach Regierungsangaben mehr als 21.000 Schüler angesteckt, etwa 15.000 waren es in der Woche zuvor, wie der “Weser Kurier” berichtet. Dem Bericht zufolge gilt das Gymnasium Eugène-Delacroix im Pariser Vorort Drancy mittlerweile in Frankreich als trauriges Symbol dafür, was passieren kann, wenn die Schulen trotz hohen Infektionsgeschehens offen bleiben – und das Coronavirus ungebremst unter den Schülern grassiert und in die Familien getragen wird. Seit Beginn der Pandemie seien bereits 20 Elternteile von Schülern der Schule gestorben, so schrieb das Kollegium in einem offenen Brief an Macron vergangene Woche. News4teachers / mit Material der dpa
Kurz: Höchste Ansteckungszahlen unter Kindern und Jugendlichen – auch in Schulen