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Pöbeleien in der Corona-Krise gegen Lehrer – zumeist von (querdenkenden) Eltern

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BERLIN. Corona und Schule ist eines der größten Streitthemen in der Pandemie. Viele Lehrerinnen und Lehrer bekommen den Ärger direkt ab, wie eine Umfrage jetzt zeigt. Sie werden beschimpft, beleidigt und bedroht. Der VBE sieht auch das „Regelungschaos“ und die intransparente Kommunikation der Kultusministerien als Ursache.

Das Aggressionspotenzial auf Seiten der Eltern ist derzeit besonders groß – vor allem auf Seiten der Querdenker-Fraktion. (Symbolfoto) Foto: Shutterstock

Drohungen mit dem Anwalt, beleidigende Emails oder Beschimpfungen vor der Schule – viele Lehrerinnen und Lehrer bekommen einer Umfrage zufolge im Alltag den geballten Frust von Eltern über Corona-Maßnahmen und die Lage an den Schulen ab.

Die Bildungsgewerkschaft VBE veröffentlichte am Dienstag die Ergebnisse einer repräsentativen Forsa-Befragung unter 1500 Lehrkräften. 22 Prozent gaben darin an, dass ihnen an der eigenen Schule Beschimpfungen, Bedrohungen oder Beleidigungen von Lehrkräften im «Zusammenhang mit der Durchsetzung von Infektionsschutzmaßnahmen» bekannt sind. Von Beschimpfungen und Bedrohungen über E-Mail oder Chats berichteten 25 Prozent.

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Rund sieben Prozent der befragten Lehrkräfte gaben an, persönlich von solchen Vorfällen betroffen gewesen zu sein. Das wären hochgerechnet fast 50.000 direkt Betroffene bei rund 700.000 Lehrern an allgemeinbildenden Schulen in Deutschland.

«Der Frust der Gesellschaft über bestehende ‚Coronaregeln‘ entlädt sich an Schule!»

Zum allergrößten Teil (84 und 87 Prozent) gingen die Angriffe demnach von Eltern aus, zum Teil kämen sie aber auch von Erwachsenen, die gar keine Kinder an der Schule hätten oder von Organisationen, die sich gegen die Corona-Maßnahmen, wie Maske-Tragen im Unterricht, aussprechen. Am häufigsten betroffen sind der Umfrage zufolge Grundschulen, am wenigsten Gymnasien.

Als Beispiele nannte der VBE-Vorsitzende Udo Beckmann am Dienstag Drohungen beim Elternabend, eskalierende Gespräche, Briefe und Drohungen mit Strafanzeigen und Berufsverboten. Er äußerte Verständnis für die schwierige Situation vieler Eltern, etwa mit dem sogenannten Homeschooling und gleichzeitigen Homeoffice, «aber das hat nichts damit zu tun, dass ich auch nur in irgendeiner Weise akzeptiere, dass zum Beispiel Lehrkräfte beim Betreten des Schulgeländes beschimpft werden, bespuckt werden, traktiert werden. Das akzeptieren wir auf keinen Fall.»

Dem Thüringer Lehrerverband (tlv) zufolge berichteten Betroffene, dass sie zum Beispiel  als «Judenlehrerin» bezeichnet wurden. Auch von Hassmails und sogar von tätlichen Angriffen wie Bespucken, Tritten vor den Oberschenkel und in den Bauch sei berichtet worden.

Der baden-württembergische Landeschef der Schulleitervereinigung, Werner Weber, hat mit solchen Aggressionen eigene Erfahrungen gemacht. Als er sich im März zur Maskenpflicht an Grundschulen bekannte, provozierte er damit eine Flut von wütenden Protestmails. Er erhielt 40 bis 50 Mails, in denen ihm unter anderem mangelhaftes Verantwortungsbewusstsein für die Kinder vorgeworfen und rechtliche Schritte angedroht wurden. «Ich habe Reaktionen erwartet, aber nicht mit dieser Wucht – das geht einen emotional an», sagte der Leiter einer Heidenheimer Gemeinschaftsschule. «Ich war entsetzt, auf welchem Niveau manche Äußerungen waren.»

Schulleiter Weber erhielt Mails von Menschen, die sich als Eltern oder Großeltern ausgaben oder dies waren, allerdings nicht aus seinem eigenen schulischen Umfeld. Oft seien es dieselben Texte mit anderen Absendern gewesen. Auch andere Kolleginnen und Kollegen seien hart angegangen worden, etwa beim Durchsetzen der Testpflicht an Schulen.

Lehrer und Schulleitungen würden dafür angegriffen, ihrer Arbeit nachzukommen und die verordneten Infektionsschutzmaßnahmen umzusetzen, betonte Beckmann. Er sagte: «Der Frust der Gesellschaft über bestehende ‚Coronaregeln‘ entlädt sich an Schule! Das Regelungschaos und die intransparente Kommunikation der Politik verunsichern viele. Die Folge sind Konflikte an der Schule.» Die Kultusministerien seien in der Verantwortung, die Beschäftigten an Schulen zu schützen – ob «durch besseres Informationsmaterial, Ansprechpersonen in den Kultusministerien oder schlicht transparente Regelungen, die einleuchten und zu weniger Unmut führen. Vor allem aber dadurch, dass sie sich in Konfliktfällen voll hinter die Bedrohten stellen».

Stefan Wesselmann, Leiter einer Grundschule im hessischen Rödermark und Landeschef des VBE Hessen, berichtete am Dienstag auch von Plakataktionen und Demonstrationen im Umfeld von Schulen aus der sogenannten Querdenker-Szene. Zudem würden auch mehrseitige Anwaltsschreiben oder standardisierte Schreiben, die sich Eltern im Netz herunterladen, an Lehrer verschickt. Darin werde mit rechtlichen Konsequenzen gedroht. Beckmann ergänzte ein Beispiel, in dem ein Vater einem Schulleiter am Telefon vorgeworfen habe, seine Schule mit «Nazi-Methoden» zu leiten, weil er die Infektionsschutzmaßnahmen umsetze.

«Lehrkräfte werden ungeschützt von der Politik zur Zielscheibe von Andersdenkenden»

Nach VBE-Angaben kommen die Angriffe vor allem aus Richtung derjenigen, die die Corona-Maßnahmen für überzogen halten. «Da ist die Aggressivität eine ganz andere» als bei denen, die sich darüber beschweren, dass die Maßnahmen an den Schulen nicht weit genug gehen, sagte Beckmann. Er kritisiert: «Wir haben eine Situation, in der diejenigen, die Regelungen befolgen und umsetzen müssen – und zwar unabhängig davon, für wie richtig und wichtig sie diese selbst halten – dafür abgestraft werden. Lehrkräfte werden ungeschützt von der Politik zur Zielscheibe von Andersdenkenden. Es braucht ein klares Zeichen der politisch Verantwortlichen, dass jeder Angriff gegen eine Lehrkraft auch ein Angriff gegen die Institution Schule und damit gegen den Staat ist. Was gedenken die Kultusministerien zu tun, um Lehrkräfte davor zu schützen?»

Lichtblick sei der Zusammenhalt im Kollegium. So berichteten die meisten Lehrkräfte, die selbst Gewalterfahrung machten, dass sie sich anderen Lehrkräften oder der Schulleitung anvertrauten und sich hier auch gut unterstützt fühlten. An die Schulaufsicht wendeten sich nur 16 Prozent der Angegriffenen, an das Kultusministerium nur zwei Prozent. News4teachers / mit Material der dpa

Hier geht es zu den vollständigen Umfrage-Ergebnissen.

Was der VBE fordert

VBE-Bundesvorsitzender Udo Beckmann fordert den Schutz der Beschäftigten durch den Dienstherrn ein, die Landesregierungen also. Dazu gehört ihm zufolge:

  •     „schnelle und unbürokratische Meldung von Vorfällen,
  •     umfangreiche juristische und psychologische Unterstützung nach Angriffen,
  •     konkrete Ansprechpersonen im Kultusministerium, insbesondere für Fälle von Gewalt, die von externen Personen begangen wurden,
  •     glaubwürdige, transparente und möglichst einheitliche Infektionsschutzmaßnahmen (inzidenzbasierter Stufenplan).“

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