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Streit um Microsoft und Co: Datenschutzbeauftragter stellt US-Software für Schulen infrage – Petition fordert Pragmatismus

STUTTGART. Der Datenschutzbeauftragte von Baden-Württemberg warnt davor, Microsoft-Produkte in Schulen zu nutzen – aus grundsätzlichen Erwägungen. Folgt die Landesregierung seiner Linie, müsste sämtliche Software von US-Konzernen aus deutschen Bildungseinrichtungen verbannt werden. Gegen solchen IT-Fundamentalismus regt sich allerdings jetzt Widerstand: Schulleitungen sehen die Arbeit ihrer Kollegien bedroht. Eine Petition im Netz fordert mehr Pragmatismus beim Datenschutz.

Den Schulen soll beim Einsatz von US-Produkten der Stecker gezogen werden. Foto: Shutterstock

„Schülerinnen und Schüler, Eltern und Lehrerinnen und Lehrer wollen digitale und rechtssichere Lösungen für den Unterricht. Wir unterstützen das“, sagt Stefan Brink, Datenschutzbeauftragter für das Land Baden-Württemberg. Wie diese Lösungen aussehen könnten, dazu macht er allerdings nur vage Vorschläge. Konkreter wird er dabei, was seiner Meinung nach für Schulen nicht geht: Microsoft Office 365 zu nutzen nämlich. Brink hatte ein Pilotprojekt des Landes begleitet, bei dem die Software einem Praxistest unterzogen wurde. Der Plan des Kultusministeriums: Teile des Pakets in eine landessweite Lernplattform zu integrieren.

Was Brink in dem Pilotprojekt erfahren hat, was nicht schon vorher absehbar war, geht aus seiner Erklärung nicht hervor. Es sei „mit hohem Einsatz“ versucht worden, Klarheit über Datenflüsse, Rechtsgrundlagen und technische Maßnahmen des Anbieters zu erlangen, was jedoch nicht zufriedenstellend gelungen sei, so heißt es lediglich. Ergebnis ist jedenfalls: Der Datenschutzbeauftragte „bewertet die Risiken beim Einsatz der nun erprobten Microsoft-Dienste im Schulbereich als inakzeptabel hoch und rät davon ab, diese dort zu nutzen“.

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„Beim Einsatz außereuropäischer Anbieter ist stets zu prüfen, ob es Alternativen gibt“

Denn: „Verantwortliche – und das sind die Schulen – haben beim gewählten System keine vollständige Kontrolle über das Gesamtsystem und den US-amerikanischen Auftragsverarbeiter. Sie können nach der Bewertung des Landesbeauftragten derzeit nicht ausreichend nachvollziehen, welche personenbezogenen Daten wie und zu welchen Zwecken verarbeitet werden und sie können nicht nachweisen, dass die Verarbeitung auf das für diesen Zweck notwendige Minimum reduziert ist.“

Mal davon abgesehen, dass Schulleitungen über kein IT-System „vollständige Kontrolle“ haben können, wenn sie nicht über einen IT-Administratoren an ihrer Schule verfügen: Damit stellt der Datenschutzbeauftragte sämtliche US-Anbieter infrage. Tatsächlich betont er: „Beim Einsatz außereuropäischer Anbieter ist auch stets zu prüfen, ob es Alternativen gibt, die eine weniger risikoreiche Verarbeitung ermöglichen.“

Deshalb wäre die Konsequenz dieses Votums, sollte ihm die Landesregierung tatsächlich folgen (und damit eine Präzedenz für Deutschland schaffen): Google, Apple oder Microsoft – und damit alle gängigen IT-Produkte, die in zahllosen Unternehmen, Behörden und Haushalten in Deutschland tagtäglich genutzt werden –, wären für Schulen praktisch tabu. Brink empfiehlt, „Alternativen zu stärken“: wie zum Beispiel Big Blue Button und Moodle. Wenn diese vom Land selbst betrieben würden, bestünden „zahlreiche im Pilotprojekt festgestellte Risiken hier prinzipiell nicht“.

Damit folgt der Datenschutzbeauftragte einer Linie, die ein Bündnis von zwei Dutzend Bildungsverbänden aus Baden-Württemberg, darunter der Philologenverband, der Realschullehrerverband und die GEW, vorgegeben hat. Es warnt das Kultusministerium vor der Einführung der Bildungsplattform MS 365. Die Software von Microsoft stelle eine Gefahr für den Datenschutz, den Schulfrieden und die Rechtssicherheit dar, kritisieren Schüler-, Eltern- und Lehrerverbände in einem gemeinsamen Positionspapier.

Die Argumente darin gehen weit über den Datenschutz hinaus: Nach Überzeugung der Unterzeichner darf sich ein Bundesland nicht von einem Cloud-Angebot wie MS 365 abhängig machen, das jederzeit vom Anbieter oder auf Anweisung der Regierung des Landes des Firmensitzes in der Nutzung eingeschränkt oder abgeschaltet werden könne. Wieso die US-Regierung Microsoft zwingen sollte, deutsche Schulclouds abzuschalten? Das bleibt offen.

„Vorrangig heimische Unternehmen einbinden und deren Produkte bei der Bildungsplattform einsetzen.“

Gleichwohl fordert das Bündnis, dass die Software des US-Konzerns aus deutschen Schulen verbannt wird. Denn es existierten „bewährte datenschutzkonforme Lösungen“ – Open Source-Programme wie die von Brink genannten, die gratis verfügbar sind, aber für den Schulbedarf eigens angepasst werden müssen. Dass dabei ebenfalls wirtschaftliche Interessen im Spiel sind, daraus macht das Bündnis keinen Hehl. „Wer in Baden-Württemberg Arbeitsplätze und Know-how sichern will, sollte vorrangig heimische Unternehmen einbinden und deren Produkte bei der Bildungsplattform einsetzen.“

Gegen diesen IT-Fundamentalismus in der Bildung regt sich allerdings jetzt Widerstand. „Wie die Vergangenheit gezeigt hat, haben die von Ihnen empfohlenen Produkte und Plattformen gänzlich versagt. Selbst das Kultusministerium hat empfohlen, die favorisierten Landesprodukte nicht flächendeckend zum Videostreaming zu nutzen, da schlicht und ergreifend die Kapazitäten fehlen“ – so schreiben die Initiatoren einer Petition an den Datenschutzbeauftragten, die bereits von knapp 3.000 Bürgern unterzeichnet wurde. Sie möchten damit Microsoft für Schulen retten.

„Wir, Schülerinnen und Schüler, Lehrkräfte, Eltern und Ausbilder können ein Verbot von Microsoftprodukten an unseren Schulen nicht einfach so hinnehmen! Dieses Verbot würde uns in unserem Schulalltag, im übertragenen Sinne, in die Steinzeit zurückwerfen. Das können wir gerade zu den aktuellen Pandemie-Zeiten und darüber hinaus nicht akzeptieren“, so heißt es. „Viele Unternehmen und öffentliche Behörden setzen die genannten Produkte ebenfalls im Berufsalltag ein und vernachlässigen deswegen nicht den Datenschutz“, schreiben die Petenten. „Datenschutz ist wichtig, muss aber mit Augenmaß betrieben werden. Schulen sollten mit praxistauglichen Auflagen arbeiten z. B. mit Pseudonymisierung oder flächendeckenden VPN-Lösungen.“

„Es hat in der Corona-Krise wunderbar funktioniert, unsere Software ist sehr sauber und zuverlässig gelaufen“

Auch Schulleitungen sehen sich durch ein drohendes Verbot massiv in ihrer Arbeit behindert. „Wir haben Office 365 bei uns eigeführt, nachdem wir Alternativen getestet und dabei festgestellt haben, dass andere Systeme deutlich weniger bieten und weniger stabil sind. Wir haben es auch wenig sinnhaft gefunden, dass wir in der Schule ein System nutzen, das weniger kann und den beruflichen Alltag nicht widerspiegelt. Wir arbeiten als duale Partner mit den Betrieben zusammen und versuchen, den Auszubildenden die besten Möglichkeiten zukommen zu lassen“, so berichtet Andreas Hörner, Schulleiter der Karlsruher Heinrich-Herz-Berufsschule, im Regionalsender Kraichgau TV. Seine Erfahrungen? „Es hat in der Corona-Krise wunderbar funktioniert, unsere Software ist sehr sauber und zuverlässig gelaufen, während andere Schulen ständig mit technischen Problemen zu kämpfen hatten.“

Die Vorbehalte gegen US-Konzerne hält er für überzogen. „Wir haben uns durchaus gefragt: Können wir verantworten, dass wir das Microsoft-System einsetzen? Viele große Unternehmen arbeiten damit, bei denen der Datenschutz ja auch gilt, da geht’s teilweise um hochsensible Daten, um Entwicklungsdaten, wenn man an die Automobilindustrie oder an Abrechnungssysteme denkt. Bankdaten werden damit verarbeitet. Da frage ich mich dann schon, warum das bei uns in der Schule ein so großes Problem sein sollte.“

In die gleiche Kerbe schlägt Joachim Spatz, Schulleiter an der Carl-Hofer-Berufsschule in Karlsruhe. Er sieht in dem Votum des Datenschutzbeauftragten einen „Angriff auf unsere Kernkompetenz der Kommunikation“. Er sagt: „Wir müssen heutzutage eine moderne Schule so führen, dass wir ständig die Möglichkeit haben, in Austausch zu treten, und dazu brauchen wir Kommunikationssysteme, die auch die Realität in den Betrieben abbildet. In der Berufsschule müssen unsere Auszubildenden mit den Tools arbeiten können, die auch in den Betrieben genutzt werden.“

Und was sagt Microsoft selbst dazu? „Datenschutz hat höchste Priorität für Microsoft“, betont eine Sprecherin. Microsoft Office 365 könne konform mit den deutschen Datenschutzregeln eingesetzt werden. Jede Schule solle ihren Lehrern und Schülern sichere digitale Lösungen zur Verfügung stellen können. „Wir stehen bereit, gemeinsam mit den Bildungsverantwortlichen konstruktive und rechtssichere Lösungen zu erarbeiten und werden den Dialog zu allen technischen und datenschutzrechtlichen Anforderungen mit deutschen Bildungsinstitutionen und Aufsichtsbehörden weiterführen.“

Das allerdings muss man politisch auch wollen. In der Vergangenheit war die Bereitschaft dazu im Ländle nicht allzu groß. Lieber setzte die Landesregierung auf selbstgestrickte Lösungen – und scheiterte. Eine landeseigene Schulplattform namens „ella“ musste eingestellt werden, noch bevor sie an den Start ging. Entwicklungskosten von mehreren Millionen Euro wurden in den Sand gesetzt.

Und das Chaos geht weiter. Aktuelles Beispiel: Die aus der Not der Corona-Krise geborene Lösung, dass Schulen das Hochschulnetz des Landes (Belwü) mit einer Kombination aus Moodle, Big Blue Button, aber auch E-Mail-Server und Webhosting nutzen dürfen, läuft aus. Belwü gab kürzlich in einem Brief an die Schulträger bekannt, den Dienst aufgrund „veränderter rechtlicher Rahmenbedingungen“ nicht mehr weiter betreiben zu können. Heißt: Die Webauftritte von mehr als 2000 Schulen werden kurzfristig eingestellt – die betroffenen Kollegien stehen mal wieder vor einem großen Problem. News4teachers / mit Material der dpa

Hier geht es zu der Petition gegen ein Microsoft-Verbot für Schulen.

News4teachers-Umfrage: Mehrheit lehnt Verbot von Microsoft und Co. für Schulen ab

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