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Ein einmaliges „Aufholprogramm“ für Schüler – reicht das? Philologen wollen nachhaltige Verbesserungen: Mehr Lehrer und kleinere Klassen

BERLIN. „Das ist eine gute Nachricht für Schülerinnen und Schüler und vor allem für die leistungsschwächeren Kinder und Jugendlichen. Denn es steht zu befürchten, dass gerade sie durch die Schulschließungen weiter zurückgefallen sind. Das Mindeste, das wir tun können, ist, diesen Kindern das Aufholen ihrer Lernrückstände zu ermöglichen“, sagt Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU). Der Anlass: Der Bundesrat hat den Weg für ein „Aufholprogramm“ des Bundes freigemacht, das den Ländern zwei Milliarden Euro für die Förderung betroffener Kinder und Jugendlichen beschert. Die sollen selbst noch eigene Mittel dazutun. Reicht das? Der Philologenverband Baden-Württemberg verlangt mehr als eine Einmalzahlung.

Reicht es aus, Lehrkräfte punktuell und befristet etwas zu unterstützen – oder ist eine grundsätzliche Verbesserung der Lernbedingungen notwendig? Foto: Shutterstock

Um Versäumnisse der Schüler in der Corona-Pandemie aufzuholen, werden in Nordrhein-Westfalen 430 Millionen Euro bereitgestellt. Das hat NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) angekündigt. Bundesmittel in Höhe von 215 Millionen Euro würden vom Land in gleicher Höhe aufgestockt. Von dem Aufholprogramm könnten befristet arbeitslose Lehrer, Studierende, Pensionäre oder Quereinsteiger beschäftigt werden, um Unterrichtsstoff nachzuholen. Auch die Nachhilfe-Institute würden einbezogen. Ablaufdatum des Programms: der 31. Dezember 2022.

In Baden-Württemberg heißt ein entsprechendes Programm „Bridge the Gap“. Rund 550 Aushilfen – zumeist Lehramtsstudierende – wurden befristet eingestellt, um den Lehrkräften im Unterricht zu helfen oder einzelne Schüler individuell zu fördern. Das Programm richtet sich insbesondere an Kinder und Jugendliche in Brennpunkten. „Man wird nicht alles, was man jetzt versäumt hat, aufholen müssen und eins zu eins aufholen können“, erklärte Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne) bei der Vorstellung des Projekts, das zunächst bis zu den Sommerferien läuft. In den letzten beiden Wochen der Ferien schließen dann sogenannte „Lernbrücken“ an – von Pädagogen oder Lehramtsstudierenden geleitete Förderkurse. Für das kommende Jahr seien dann Programme geplant, dessen Module additiv (zusätzlich zum Unterricht) als auch integrativ (in den Unterricht integriert) umgesetzt werden können. Zusätzliche Lehrkräfte sollen als Mentoren unterstützend helfen, heißt es. Eine Konkretisierung steht aber noch aus.

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„Kurzfristige Improvisationen wie die ‘Lernbrücken’ können keinen wesentlichen Beitrag zur Lösung liefern“

Hier wie dort gilt aber: Über das nächste Schuljahr hinaus sind bislang keine Hilfen vorgesehen. Sind denn bis dahin die Corona-bedingten Rückstände aufgeholt? Schulpraktiker bezweifeln das. „Den Kindern und Jugendlichen dabei zu helfen, ihre Lernlücken aufzuarbeiten, ist eine anspruchsvolle Aufgabe. Hierzu ist eine Strategie, ein klug durchdachter Stufenplan nötig“, sagt beispielsweise der Landesvorsitzende des Philologenverbands Baden-Württemberg (PhV BW), Ralf Scholl. Er betont: „Kurzfristige Improvisationen wie die ‘Lernbrücken’ können keinen wesentlichen Beitrag zur Lösung liefern.“

Aus der Pandemiezeit müssten jetzt die notwendigen Schlüsse gezogen werden: Dazu seien mittel- und langfristige Pläne zu entwickeln und umzusetzen, die dauerhaft für eine nachhaltige Verbesserung der Lernqualität für die Schülerinnen und Schüler sorgen. „Die Politiker betonen ja selbst, dass Kinder und Jugendliche die größten Opfer in der Zeit des Lockdowns gebracht haben – deshalb muss jetzt im Nachtragshaushalt die Hilfe und Unterstützung für sie absoluten Vorrang haben!“, sagt Scholl.

Zur Bewältigung der Corona-bedingten Lernlücken macht der Philologenverband Baden-Württemberg folgende Vorschläge:

Besonderheit in Baden-Württemberg: Hier läuft das Gymnasium, anders als in den meisten anderen Bundesländern, noch zumeist im G8, im achtjährigen Bildungsgang also. Die Corona-Krise ist für den Philologenverband der Anlass, jetzt auch im Ländle wieder umzusteuern.

“Reifung und Persönlichkeitsbildung benötigen Zeit – nach dem Corona-Lockdown noch mehr als vorher“

„Für die allgemeinbildenden Gymnasien muss die Möglichkeit des Sofortumstiegs auf G9 genutzt werden, um Lernzeit für die Schülerinnen und Schüler zu gewinnen. Die Regeldauer des allgemeinbildenden Gymnasiums sollte wie in praktisch allen anderen westlichen Flächenbundesländern wieder auf neun Jahre umgestellt werden – wenn nicht schon zum kommenden Schuljahr, dann spätestens zum darauffolgenden. Reifung und Persönlichkeitsbildung benötigen Zeit – nach dem Corona-Lockdown noch mehr als vorher“, meint Scholl.

„Uns ist bewusst, dass diese Maßnahmen nicht zum Nulltarif zu haben sind. Allerdings halten wir die zügige Aufarbeitung der durch Corona entstandenen Lerndefizite für eine zentrale und wichtige Aufgabe der Landespolitik, ebenso wie eine insgesamt möglichst hochwertige Bildungsqualität für alle Schülerinnen und Schüler“, so betont der Verbandsvorsitzende. Jetzt sei die Zeit zu handeln – aber, bitteschön, nachhaltig. News4teachers / mit Material der dpa

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