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Die KMK schweigt zum Skandal um vertuschte Studienergebnisse – und erklärt stattdessen die Schulen für sicher

BERLIN. Die Kultusminister der Länder sind in dieser Woche zu einer Sondersitzung zusammengekommen – warum, das bleibt nach dem im Anschluss veröffentlichten Beschluss allerdings ein Rätsel. Aus dem KMK-Papier ergeben sich keinerlei Konsequenzen für den Schulbetrieb im bevorstehenden neuen Schuljahr. Behauptet wird, einmal mehr, die Schulen seien sicher. Zum Vertuschungsskandal um brisante Studienergebnisse, der zuvor bekannt geworden war, gibt es keine Erklärung. Eine Analyse.

Die KMK gibt – mal wieder – ein bemerkenswertes Bild ab. Illustration: Shutterstock

Die KMK stand massiv unter Druck zu tagen. Die letzte Sitzung von Deutschlands nominell wichtigstem bildungspolitischen Gremium fand im Juni statt. Die nächste war erst für den Herbst geplant. Angesichts der steigenden Infektionszahlen und der Delta-Variante schrieb zum Beispiel der „Spiegel“: „Wäre es für die Kultusministerinnen und Kultusminister der Länder nicht angebracht, demnächst zu einer Sondersitzung zusammenzukommen, um auf die Fragen, die man jeden Tag in der Zeitung lesen kann, endlich Antworten zu finden? Vielleicht gleich im Kanzleramt wie im letzten September? Andernfalls könnte man zu dem Schluss kommen, dass es die Kultusministerkonferenz mangels Kreativität und Durchsetzungskraft vielleicht gar nicht braucht.“

Auch FDP-Chef Christian Lindner forderte die KMK auf, außer der Reihe zu tagen. „Ein neuerlicher Lockdown und Schließungen von Schulen bei einer möglichen vierten Welle müssen ausgeschlossen werden“, befand Lindner bereits im Juni. Die KMK und die Bundesregierung sollten „noch im Juli zusammenkommen, um eine Strategie zu beraten“. Der nächste Termin im Oktober sei „viel zu spät“. Im Zentrum der Beratungen müssten „die Ausdehnung der Lolli-Tests, Hygienekonzepte, Luftreiniger und Impfangebote stehen“. Bereits über den Sommer könne man die Logistik dafür vorbereiten.

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Von einer Strategie der Kultusminister kann nach dem Beschluss keine Rede sein – noch immer nicht

Nun hat die KMK tatsächlich in dieser Woche außerplanmäßig getagt und dabei offenbar auch über drängende Themen gesprochen, sie jedenfalls mal erwähnt. Von einer Strategie der Kultusminister kann aber nach dem Beschluss keine Rede sein. Denn der hat – mal wieder – keinerlei Konsequenzen. Die Ergebnisse waren – einmal mehr – so belanglos, dass über das Spitzentreffen kaum in Medien berichtet wurde.

Den Tenor gab KMK-Präsidentin Britta Ernst (SPD), Frau des SPD-Kanzlerkandidaten Olaf Scholz, vor: „Die Voraussetzungen für den Präsenzunterricht sind gut und gänzlich andere als vor einem Jahr. Das Schulpersonal hat Impfangebote erhalten, Test und Hygienekonzepte stehen und sind erprobt“, erklärte sie. „Die Inzidenzen sollten eine andere Gewichtung bekommen. Kinder und Jugendliche haben durch Wechselunterricht und Schulschließungen im vergangenen Schuljahr einen ganz erheblichen Beitrag zum Schutz der Erwachsenen geleistet. Jetzt ist es wichtig, dass möglichst viele Erwachsene sich solidarisch zeigen und sich impfen lassen. Damit die Schülerinnen und Schüler einen normalen Schulalltag haben können.“ Aha.

Im Beschluss heißt es dann: „Die Kultusministerkonferenz stellt fest, dass der Start in das neue Schuljahr 2021/22 durch die Länder umfassend vorbereitet wurde und bekräftigt ihren Beschluss vom 10. Juni 2021 zum ‚Schulischen Regelbetrieb im Schuljahr 2021/2022‘.“ Seinerzeit hatte die KMK beschlossen, dass alle Schulen nach den Sommerferien „dauerhaft im Regelbetrieb (…) mit allen Schulfächern und Unterrichtsstunden“ besucht werden sollen. Durch welche Maßnahmen das neue Schuljahr durch die Länder denn „umfassend“ vorbereitet wurde, sodass gewährleistet ist, dass der Regelbetrieb auch tatsächlich stattfinden kann? Kein Wort dazu.

Stattdessen heißt es: „Kontinuierlichem Präsenzunterricht muss im Schuljahr 2021/2022 in der Gesellschaft höchste Priorität eingeräumt werden. Vollständiger Präsenzunterricht am Lern- und Lebensort Schule mit allen damit verbundenen Möglichkeiten ist Grundlage zur individuellen Persönlichkeitsentwicklung und zugleich eine zentrale Voraussetzung, um die vielfältigen, auf den Weg gebrachten Unterstützungsmaßnahmen für Kinder und Jugendliche sowohl im Rahmen des Aktionsprogramms ‚Aufholen nach Corona‘ als auch durch die zahlreichen landesseitigen Lernfördermaßnahmen und Förderinstrumente zur Bekämpfung pandemiebedingter Rückstände wirksam umzusetzen.“ Im Klartext: Es gibt zu Präsenzunterricht seitens der Kultusminister keinen Plan B – auch nach anderthalb Jahren Pandemie nicht.

Was passiert, wenn die Inzidenzen in einer vierten Welle wieder drastisch steigen sollten? „Aus Sicht vieler Expertinnen und Experten erscheint die alleinige Orientierung an der Inzidenz (für bestimmte Altersgruppen) aufgrund der Impfquote und bestehender Testkonzepte an Schulen nicht mehr als einziger Bewertungsmaßstab. Die Gesundheitsbehörden sollten angemessen, transparent und einheitlich reagieren. Schulschließungen sollten möglichst vermieden werden und möglichst wenige Schülerinnen und Schüler von Quarantänemaßnahmen betroffen sein“, so beschließt die KMK.  Heißt: Ob und wie die vierte Welle durch die Schulen läuft, entscheiden – wenn überhaupt – die Landesregierungen Pi mal Daumen.

Was ist mit Corona-Tests in Schulen? „Darüber hinaus werden je nach Infektionsgeschehen die Testangebote an Schulen im kommenden Schuljahr fortgesetzt, um potentielle Infektionsketten möglichst frühzeitig zu unterbrechen beziehungsweise ein Bild über das Infektionsgeschehen zu erhalten.“ Wohlgemerkt: „… je nach Infektionsgeschehen“. Thüringen hat bereits angekündigt, die Tests in Schulen streichen zu wollen – und erst dann wieder aufzunehmen, wenn das Infektionsgeschehen es nötig mache (was aber nur schwer zu erkennen ist, wenn nicht getestet wird). Der Thüringer Weg ist mit dem KMK-Beschluss gedeckt. Von einer Verbesserung der Tests, wie sie Wissenschaftler fordern – weg von den unzuverlässigen Schnelltests hin zu PCR-Pooltests –, ist hingegen keine Rede.

Was ist mit Impfungen von Über-12-jährigen-Schülern in Schulen, für die Impfstoffe ja zugelassen sind? „Erwachsene tragen durch ihre Impfung maßgeblich dazu bei, das Infektionsgeschehen auch bei Kindern und Jugendlichen zu reduzieren. Darüber hinaus können auch 12- bis 17-Jährige eine Impfung nach umfassender ärztlicher Beratung in Anspruch nehmen. Die Freiwilligkeit der Annahme dieses Impfangebotes darf dabei nicht in Frage gestellt werden.“ Das war’s, was der KMK dazu einfällt.

Wie steht’s mit mobilen Luftfiltern? „Um die Aerosolkonzentration in den Unterrichtsräumen zu mindern, wird in regelmäßigen Abständen während des Unterrichts und in den Pausen quergelüftet. Die gleichzeitige Anwendung von Lüftung und Beachtung der je nach Infektionsgeschehen geltenden Infektionsschutz- und Hygienemaßnahmen ist ausreichend wirkungsvoll für den Infektionsschutz. Qualitätsgeprüfte, mobile Luftfilter können ergänzend eine zusätzliche Wirkung entfalten“, so hat die KMK beschlossen. Kein Wort dazu, wie sich die Kultusminister die Ausstattung der Schulen vorstellen, nachdem der Bund ein Förderprogramm dafür aufgestellt hat.

„Wir vermissen unterschiedliche Szenarien, die klar beschreiben, was die KMK bei welcher Pandemieentwicklung zu tun gedenkt“

VBE-Chef Udo Beckmann hält die Ergebnisse der Sitzung denn auch für völlig unzureichend. „Dass der Schulstart durch die Länder umfassend vorbereitet wurde, wie es die KMK in ihrem Beschluss bewertet, kann so nicht uneingeschränkt gelten. Weder wird für alle Ländern eine notwendige mindestens zweiwöchige Sicherheitsphase nach den Sommerferien, wie vom VBE gefordert, verpflichtend festgeschrieben, in der inzidenzunabhängig mindestens zweimal wöchentlich getestet wird und das Tragen von Masken und das Halten von Abständen im Schulgebäude obligatorisch ist, noch sind rechtzeitige und ausreichende Anstrengungen beim Thema Luftfilter bzw. -anlagen unternommen worden.“ Von flächendeckend versprochenen Sofortmaßnahmen bei der Digitalisierung ganz zu schweigen.

Die Sieben-Tage-Inzidenz wachse, wie das RKI gerade bestätigt hat, schneller und früher als voriges Jahr um diese Zeit und dies insbesondere bei den 10- bis 34-Jährigen. „Wir vermissen weiterhin unterschiedliche Szenarien, die klar beschreiben, was die KMK bei welcher Pandemieentwicklung zu tun gedenkt. Weiterhin auf Prinzip Hoffnung zu setzen, reicht nicht aus“, sagt Beckmann. „Auch die Bewertung durch die KMK, dass Schulen sichere Orte sind und Präsenzunterricht stattfinden kann, so wünschenswert dies ist, kann so nicht bedingungslos und inzidenzunabhängig gelten.“

Der VBE-Bundesvorsitzende hätte gerne auch Auskunft zum jüngsten Vertuschungsskandal gehabt, über den News4teachers aktuell berichtet. Im vergangenen Jahr hatte die KMK eine Studie bei der Universität Köln und dem Helmholtz-Zentrum zum Infektionsrisiko in Schulen in Auftrag gegeben, brisante Zwischenergebnisse der Untersuchung aus Januar und März aber erst in dieser Woche – nachdem Journalisten dazu recherchiert hatten – unkommentiert auf ihre Homepage gesetzt. Beckmann: „Die KMK ist hier eine klare Antwort schuldig, wieso diese Ergebnisse nicht früher veröffentlicht wurden, – im Beschluss findet sich dazu kein Wort, – und wie die hohe Wirksamkeit von Schulschließungen bei der Eindämmung der Corona-Pandemie, ein Ergebnis der Studie, bewertet wird, vor allem aber, welche Handlungsmaßnahmen auf Basis dieser Erkenntnis von der KMK ergriffen oder nicht ergriffen wurden.“ Auch dazu seitens der Kultusminister: kein Wort. News4teachers

Hier geht es zum vollständigen Beschluss der KMK.

Nach Corona: Mit diesen Kultusministern ist kein Staat mehr zu machen

 

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