BERLIN. Berlins neue Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) hat ihr Team von Senatorinnen und Senatoren benannt. An die Spitze der Bildungsverwaltung setzt sie eine Schulleiterin, die bisherige Vorsitzende des Interessenverbands Berliner Schulleitungen Astrid-Sabine Busse. Erst vor zwei Wochen meuterte an ihrer Schule eine GEW-Betriebsgruppe aufgrund des mangelhaften Gesundheitsschutzes, des schlechten Arbeitsklimas und der hohen Belastung der Lehrkräfte – sie schrieb die Schulaufsicht an. Busse kanzelte die Initiative ab. Qualifiziert das für den Posten der Berliner Bildungssenatorin? Die GEW gratuliert spitz.

Die GEW-Betriebsgruppe „Schule in der Köllnischen Heide“ verschickte mit Datum vom 6. Dezember einen Hilferuf an die Schulaufsicht Berlin-Neukölln – an der Schulleitung vorbei. „Angesichts der dramatischen Lage an unserer Schule wenden wir uns heute an Sie und fordern Sie auf, unsere Grundschule unverzüglich auf ‚Gelb‘ zu setzen, um eine sofortige Umstellung in den Wechselunterricht zu ermöglichen. Wir sind am Limit.“ Hintergrund: In Berlin gilt ein Ampelsystem, mit dem die Corona-Lage an jeder einzelnen Schule gekennzeichnet wird und das, je nach Farbe, unterschiedliche Schutzmaßnahmen vorsieht – bei Grün „Regelunterricht“.
Team Bildung der @spdberlin: Senatorin Astrid-Sabine Busse sowie die beiden Staatssekretäre @aziz_b (rechts) und Alexander Slotty pic.twitter.com/PUJhneJnQ9
— Robert Kiesel (@Robert_Kiesel) December 20, 2021
„Fakt ist, dass die Schule ein zentraler Inkubator der Pandemie ist. Die ungeimpften Kinder stecken sich untereinander an”
Die Grundschulen seien mittlerweile zu den stärksten Infektionstreibern avanciert, nicht nur weil die Schülerinnen und Schüler nicht geimpft seien, sondern auch, weil konsequentes Masketragen und Abstandhalten in der Altersgruppe nicht funktionieren könne. „Unter den derzeitigen pandemischen Bedingungen ist eine Durchmischung der Klassen und Klassenstufen nicht verantwortbar. Ein Einhalten der AHA-Regln ist besser im Wechselunterricht, aber nicht im ‚normalen‘ Schulbetrieb umsetzbar. Dieses Problem ist nicht neu, sondern begleitet uns durch die gesamte pandemische Lage.“
Die Autorinnen und Autoren betonen: „Fakt ist, dass die Schule ein zentraler Inkubator der Pandemie ist. Die ungeimpften Kinder stecken sich untereinander an und übertragen die Krankheit nicht nur innerhalb ihrer Familien, sondern auch an uns, die Beschäftigten in den Schulen. Die Impfquote bei den Schüler*innen und Beschäftigten zusammen genommen, liegt an unserer Grundschule bei unter 15 %.“
Sie schildern die Situation als dramatisch, was durchaus auch als Vorwurf an die Schulleitung zu verstehen ist: „Der Schutz der Beschäftigten ist nicht mehr gewährleistet. Mehrere Kolleg*innen hatten in den letzten Wochen schon Impfdurchbrüche, ein Kolleg lag bereits im Krankenhaus auf der Covid-Station. Booster-Impftermine sind für einige Kolleg*innen erst wieder im Januar möglich. Es besteht deshalb eine konkrete Gefahr für uns und unsere Familien. Die fehlenden kranken Kolleg*innen erhöhen die Arbeitsbelastung, welche im normalen Regelbetrieb schon zu hoch ist. Es gibt mehrere Kolleg*innen, die durch die Mehrbelastung von Vertretungen bereits an ihre physische und vor allem psychische Belastungsgrenze gekommen sind. Die Stimmung in der Belegschaft wird dadurch gereizter und aggressiver. Auch die emotionale Belastung durch die Ängste in einer Klasse zu unterrichten, in der gerade das Virus kursiert, ist nicht zu unterschätzen.“
Von Regelunterricht könne ohnehin keine Rede sein. „Der Rahmenlehrplan war in einer ‚Brennpunktschule‘ noch nie komplett einzuhalten, aber durch die vielen Ausfälle und den Lockdown ist das Bildungsniveau der Schüler*innen weiter gefallen. Dies frustriert uns. Es braucht nun dringend Zielsetzungen, die an die pandemische Lage angepasst sind und die wir auch erfüllen können. Sollte nicht gehandelt werden, sind die langfristigen Folgen: erhöhte Krankheitszeiten, Burnout, Berufswechsel. Dies setzt für die Zukunft eine Spirale in Gang, welche wohl nicht aufzuhalten sein wird. Deshalb bitten wir Sie, jetzt zu handeln und unsere Schule auf Gelb zu setzen.“
„Verstehen kann ich das nicht. Für die Kinder ist jeder Tag ohne Wechselunterricht ein guter Tag“
Die Reaktion von Schulleiterin Astrid-Sabine Busse? Sie zeigte sich nach einem Bericht der „Berliner Morgenpost“ erstaunt über die Schilderungen aus ihrer Schule. Ihre Rückfrage (die sie eigentlich selbst beantworten müsste): „Wie kommen die Kolleginnen und Kollegen auf eine solche Forderung?“ Zwar sei die Situation natürlich für alle belastend, allerdings würden weder die Schilderungen eines dramatischen Infektionsgeschehens noch der schlechten Stimmung in der Belegschaft den Tatsachen entsprechen.
Wir sind am Limit! Als GEW-Betriebsgruppe „Grundschule in der Köllnischen Heide“ haben wir einen offenen Brief an die Schulaufsicht Neukölln gesendet, mit der Forderung an unserer Schule wegen der Pandemie sofort auf Wechselunterricht umzustellen. @GEW_BERLIN #BildungAberSicher pic.twitter.com/c7f1L4r5Os
— GEW Betriebsgruppe 08G35 (@BG_08G35) December 6, 2021
Ihrer Einschätzung nach handle es sich offenbar um einzelne Kollegen, die nicht namentlich in Erscheinung treten wollen würden. „Verstehen kann ich das nicht. Für die Kinder ist jeder Tag ohne Wechselunterricht ein guter Tag“, erklärte Busse. Zudem gebe es in Berlin einen Stufenplan, der genau festlege, wann Schulen wieder in den Wechselunterricht gehen. „Diese Entscheidung trifft das Gesundheitsamt mit der Schulaufsicht.“
Kein gezeigtes Verständnis fürs eigene Kollegium, keine erkennbare Empathie mit belasteten Schülern und Schulbeschäftigten, kein öffentliches Eintreten für mehr Gesundheitsschutz an der Schule und bessere Unterrichtsbedingungen – qualifiziert das für das Amt der Berliner Bildungssenatorin?
Schon einmal lag Busse falsch, was Sicherheitsmaßnahmen an Schulen betrifft. «Wir sind froh, dass die Maskenpflicht vor den Herbstferien gefallen ist», sagte sie noch am 2. November als Verbandsvorsitzende gegenüber der Deutschen Presse-Agentur. Sie plädierte dafür, in Klasse eins bis sechs (diese Jahrgänge umfasst die Grundschule in Berlin) weiter auf die Maskenpflicht zu verzichten. Nur vier Wochen später führte ein Bund-Länder-Gipfel die Maskenpflicht im Unterricht wegen explodierender Inzidenzen unter Kindern und Jugendlichen wieder ein. News4teachers
Die GEW hat Franziska Giffey zur Wahl zur Regierenden Bürgermeisterin und Astrid-Sabine Busse zur Ernennung als neue Berliner Bildungssenatorin gratuliert. „Mit Astrid-Sabine Busse kommt eine ausgewiesene Schulpraktikerin ins Amt. Ihre Aufgaben sind immens: Bildungsgerechtigkeit, Schulbauoffensive, Fachkräftemangel. Frau Busse weiß als Schulleiterin, wo der Schuh in unseren Schulen drückt“, erklärte der Vorsitzende der Berliner GEW, Tom Erdmann. „Wir wünschen uns, dass Frau Busse schnell und intensiv das Gespräch mit den Beschäftigten sucht. Denn nur gemeinsam mit den Beschäftigten wird sie die großen Herausforderungen bewältigen können. Nur mit zufriedenen Lehrkräften und Erzieher*innen kann gute Bildung funktionieren.“
