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Was ist dran: Sind Schulen „die sichersten Orte“ in der Pandemie, wie Oldenburg behauptet? Ein Faktencheck

BERLIN. In einer Schulklasse sitzen oft 25 Schüler über Stunden zusammen. In Corona-Zeiten stellt sich da die Frage: Kann man die Schulen offenlassen und Infektionen unter Kindern riskieren? Ja, sagte kürzlich zum Beispiel Bildungsministerin Simone Oldenburg (Linke) aus Mecklenburg-Vorpommern. Sie behauptete auf Twitter: «Kein Ort ist so sicher wie die Schulen.» Die Infektionsrate zu Hause sei um ein bis zu Sechsfaches höher als in den Bildungseinrichtungen. Stimmt das? Ein Faktencheck.

Prescht vor: Mecklenburg-Vorpommerns Bildungsministerin Simone Oldenburg, selbst ehemalige Schulleiterin. Foto: Sandro Halank, Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0

Die vierte Corona-Welle trifft vor allem Jüngere hart. Die Zahl der Fälle an Schulen in Deutschland steigt weiter. Nach Angaben der Kultusministerkonferenz waren in der vergangenen Woche 96.000 Corona-Infektionen bei Schülerinnen und Schülern bekannt (Vorwoche 103.000, davor 93.000). Aus der Statistik geht nicht hervor, wo genau sich die Schüler ansteckten. Das Robert Koch-Institut (RKI) gab für die selbe Woche die Inzidenz bei den 5- bis 9-Jährigen mit 953 und bei den 10- bis 14-Jährigen mit 1.067 an. Das ist etwa doppelt so hoch wie zu dem Zeitpunkt im Bevölkerungsschnitt (462,99). Schüler werden allerdings auch häufig auf Corona getestet.

“Seitdem überstieg die Zahl der Schulausbrüche bei Weitem das Niveau der zweiten und dritten Welle”

Prof. Dr. Hajo Zeeb vom Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie in Bremen geht von zunehmenden Ausbrüchen in Schulen aus. Das Robert-Koch-Institut (RKI) bestätigt das. „Bei der Zahl der übermittelten Schulausbrüche konnte seit Mitte Oktober 2021 wieder ein sehr rascher Anstieg beobachtet werden. Seitdem überstieg die Zahl der Schulausbrüche bei Weitem das Niveau der zweiten und dritten Welle. Bisher wurden 1.847 Schulausbrüche für die letzten vier Wochen (Meldewoche 45-48/2021) übermittelt mit einem neuen Höhepunkt von bisher 690 Ausbrüchen in Meldewoche 46/2021.“ Jedoch seien aufgrund von Nachmeldungen die vergangenen zwei Wochen noch nicht bewertbar.

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Allerdings: Eine Tabelle mit Corona-Ausbruchsdaten zeigt ein anderes Bild – scheinbar. Demnach wurden in der Woche vom 29. November bis 5. Dezember 5223 Fälle dem Bereich «Privater Haushalt» und 1614 dem Bereich «Ausbildungsstätte» zugeordnet. Aufgeführt sind in der RKI-Tabelle Ausbrüche «mit 2 oder mehr Fällen». Epidemiologe Zeeb betont, dabei handele es sich aber nur um Fälle, «bei denen man das ermittelt hat», die allermeisten blieben aber «ohne Angaben». Das heißt: Beim überwiegenden Teil der Infektionen weiß man gar nicht, wo sich die Menschen angesteckt haben.

Die Wahrscheinlichkeit, dass viele Infektionen in der Schule stattfinden, ist groß: In einem Klassenzimmer hielten sich im Gegensatz zur heimischen Familie typischerweise 25 Menschen auf, die infiziert werden könnten, so Zeeb. Dazu komme im Klassenraum: «Hier gibt es viele nicht geimpfte Menschen.» In den meisten Haushalten leben dagegen deutlich weniger Personen und die Impfquote ist durch die anwesenden Erwachsenen im Vergleich oft höher.

Auch die Aerosolforscherin Dr. Birgit Wehner vom Leibniz-Institut für Troposphärenforschung zweifelt an der Behauptung der Linken-Politikerin Oldenburg. «Dass Schulen der sicherste Ort überhaupt sind, finde ich etwas mutig formuliert», erklärt sie. Sie weist aber darauf hin, dass zu Hause oft keinerlei Schutzmaßnahmen ergriffen würden – wie Masken oder Luftfilter – und auch nicht nach einem festen Schema gelüftet werde, sagt Wehner. Deshalb könnte die Ansteckungsgefahr in Haushalten durchaus höher sein.

Wie sich die Situation in den einzelnen Schulen darstellt, hängt entscheidend davon ab, welche Maßnahmen vor Ort tatsächlich umgesetzt werden. Aerosolforscherin Wehner verweist auf Klassenräume, die bereits Luftfilter hätten, «während die Mehrheit nichts dergleichen hat». Andererseits gebe es Klassenräume, in denen sich die Fenster nicht öffnen ließen. Für Wehner könne «eine Kombination aus Masken, Lüften und Luftfiltern in der richtigen Anwendung das Infektionsrisiko stark eindämmen». Wie sicher Schulen in Corona-Zeiten seien, stehe und falle eben damit, wie viele Maßnahmen «richtig angewendet werden».

Und dabei sieht es mau aus. Nach einer Erhebung der Robert-Bosch-Stiftung vom September sind tatsächlich nur wenige Klassenräume in Deutschland mit Luftfiltern ausgestattet. Am besten ist die Lage noch in Grundschulen. Dort stehen die Geräte im Durchschnitt in immerhin fast jedem fünften Klassenraum, in den anderen Schulformen liegt der Anteil der Unterrichtsräume, die mit Luftfiltergeräten ausgestattet sind, nur zwischen 8 und 10 Prozent. Darüber hinaus werden regionale Unterschiede deutlich: Während in Bayern in 40 Prozent der Schulen Luftfilter bereits im Einsatz sind, haben in Nordrhein-Westfalen lediglich 15 Prozent der Schulen solche Geräte und in Ostdeutschland sogar nur 8 Prozent. Lediglich zwei Bundesländer, Hamburg und Bremen, haben alle Klassenräume mit Luftfiltern ausgestattet.

Weitere Schutzmaßnahmen in Klassenräumen? Einstimmigkeit gibt es unter Experten hinsichtlich der Maskenpflicht in der Schule, die seit der Bund-Länder-Runde Anfang Dezember für alle Klassenstufen gilt. Zeeb bezeichnet diese nach und nach bundesweit umgesetzte Regel als «positiv».

Ansonsten gilt: Fehlanzeige. Die Abstandsregel gilt in Klassenzimmern nicht. Und: Gelüftet wird, so ergab unlängst eine gemeinsame Studie von vier Münchner Hochschulen, nur in acht Prozent der Unterrichtsstunden entsprechend der Vorgabe des Umweltbundesamtes alle 20 Minuten.

“Wenn es grundsätzlich Schulpräsenz geben soll, muss klar sein, dass eine Durchseuchung nach und nach stattfindet”

Wie wichtig es wäre, dass Maßnahmen wie Maske tragen oder das Lüften umgesetzt würden, veranschaulicht auch ein Aerosol-Rechner des Max-Planck-Instituts für Innenräume wie Klassenzimmer. Wenn man hier von 25 Personen (24 ungeimpft, die Lehrkraft geimpft) in einem 40 Quadratmeter großem Raum ausgeht und eine Person mit der Delta-Variante des Coronavirus infiziert ist, liegt die Wahrscheinlichkeit, «dass sich mindestens ein Teilnehmer infiziert», laut Rechner bei hundert Prozent. Selbst wenn im Unterricht konsequent Maske getragen und für Frischluft gesorgt werde, gebe es noch andere Bereiche, die für Übertragungen in Frage kämen: Aerosolforscherin Wehner nennt als Beispiele das gemeinsame Essen in der Mensa oder überfüllte Schulbusse, «in denen die Masken auch nicht immer konsequent und korrekt getragen werden».

Deshalb wird es in den Schulen nie eine vollständige Sicherheit geben. Wenn es grundsätzlich Schulpräsenz geben solle, müsse klar sein, dass «eine Durchseuchung nach und nach stattfindet», erklärt Epidemiologe Zeeb. Um die Dynamik der Ausbreitung einzuschränken, könnten bei hohen Inzidenzen Schulschließungen über zwei Wochen oder – wie in zwei Bundesländern (Brandenburg und Sachsen-Anhalt) bereits beschlossen – vorgezogene Ferien hilfreich sein, sagt Zeeb. Generell: Wenn die Politik einen möglichst schnellen Rückgang der Infektionen für notwendig hält und weitere Maßnahmen beschließt, müssten letztlich auch Schulen geschlossen werden, erklärt auch Aerosolforscherin Wehner. Für sie sei das aber einer der finalen Schritte.

Fazit: Dass Schulen „der sicherste Ort“ seien, wie Bildungsministerin Oldenburg behauptet – ist schlicht falsch. News4teachers / mit Material der dpa

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