STUTTGART. Anfang der Woche schreckte Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) Lehrkräfte mit der Überlegung auf, ihre Teilzeit-Möglichkeiten einzuschränken. Jetzt legt das Kultusministerium nach: Es erwägt, Referendare eine Stunde mehr pro Woche unterrichten zu lassen und im Gegenzug dafür die Theorieausbildung entsprechend zu verkürzen – um den Lehrermangel zu bekämpfen. Die Maßnahme sei noch in der Prüfung, sagte ein Ministeriumssprecher. Die GEW bezeichnete das Vorhaben umgehend als abwegig.
Ein solcher Vorschlag senke die Attraktivität und das Niveau der Ausbildung für angehende Lehrkräfte noch weiter, so befand die GEW. Auch die Oppositionspartei SPD erteilte der Idee eine Absage und warnt: «Eine zusätzliche Wochenstunde einzuführen, ist nicht banal und erhöht die Unterrichtsverpflichtung deutlich.» Nach Ansicht von SPD-Bildungsexperte Stefan Fulst-Blei könnten sich Referendare zurückziehen oder Interessenten abgeschreckt werden.
Gerhard Brand, Landeschef des Verbands Bildung und Erziehung (VBE), wies den Vorstoß ebenfalls zurück. Ein Referendar brauche um die fünf Stunden, um eine Unterrichtsstunde vorzubereiten. «Wenn er eine Stunde mehr Unterricht hält, hat er also einen Mehraufwand von fünf Stunden», sagte er. Der Vorstoß bedeute Überforderung für Referendare und Verschlechterung der Ausbildung.
„Seit 2018 schlummern Vorschläge der GEW zur Lehrergewinnung in den Schubladen des Kultusministeriums”
GEW und VBE bekräftigten ihre Forderung nach mehr Studienplätzen für Lehramtsstudenten, um dem Lehrermangel abzuhelfen. Außerdem müssten angehende Lehrkräfte im Studium besser begleitet werden.
Ministerpräsident Kretschmann (Grüne) hatte in den Tagen zuvor bereits erhebliche Kritik geerntet für Überlegungen, Teilzeit-Lehrer zu mehr Unterricht zu verpflichten. Die GEW erklärte daraufhin, wie erwarte sinnvolle kurz- und langfristige Maßnahmen gegen den Fachkräftemangel in Bildungseinrichtungen – Kretschmanns Ideen seien hingegen „wenig hilfreich und durchdacht“. Die Erhöhung der Stundenzahlen von Lehrkräften in Teilzeit sei schon in der vergangenen Legislaturperipde unter Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) versucht worden. Mit wenig Erfolg.
„Seit 2018 schlummern Vorschläge der GEW zur Lehrergewinnung in den Schubladen des Kultusministeriums”, sagte die Landesvorsitzende Monika Steins. „2017 und 2018 lagen die Lehrerbedarfsprognosen für Grundschulen und für alle Schularten der Sekundarstufe I vor und wurden weitgehend von der Landesregierung ignoriert. Viele Lehrkräfte arbeiten aus guten Gründen Teilzeit. Wenn Ministerpräsident Winfried Kretschmann jahrelang Vorschläge zur Lehrergewinnung unbeachtet lässt und dann in einer Zeit, in der alle Beschäftigten in Bildungseinrichtungen völlig am Limit sind, über Mehrarbeit laut nachdenkt, kennt er nicht den Alltag in den Klassenzimmern. Warum werden die seit langem vorliegenden Vorschläge der GEW nicht aufgegriffen?“
Die Gewerkschaft schlägt unter anderem vor, durch eine Erhöhung der Altersermäßigung zu erreichen, dass Lehrkräfte länger arbeiten können. Befristet eingestellte Lehrkräfte brauchen jetzt Einstellungszusagen für das nächste Schuljahr, um sie nicht zu verlieren.
In Baden-Württemberg gebe es seit Jahren bereits zu Beginn jedes Schuljahrs Stellen, die nicht mit ausgebildeten Lehrkräften besetzt werden können. Da die Landesregierung nicht genug junge Lehrerinnen und Lehrer ausbilde, fehlten die Bewerbungen. Für diese freien Stellen würden Vertretungslehrkräfte eingesetzt. So sei die ständige Vertretungsreserve schon zu Beginn des Schuljahrs aufgebraucht. Die GEW setze sich bereits seit Jahren dafür ein, dass die Landesregierung über eine mittel- und langfristige Lehrkräftebedarfsplanung, die auch künftige Bedarfe für pädagogische Reformen beinhalte, dafür sorge, dass Schulen solide Bildung gestalten können. „Krisen wie die Pandemie und jetzt die Aufnahme Geflüchteter wären besser zu bewältigen, wenn die Schulen zumindest zum Beginn eines Schuljahres alle Lehrkräfte hätten, die sie für regulären Unterricht bräuchten. Mit Mangel verwalten lässt sich keine gute Bildung gestalten“, sagt Stein.
„Die pädagogischen Profis in Kitas und Schulen sind wieder einmal bereit, über ihre Grenzen zu gehen”
Die GEW-Vorsitzende dankt allen pädagogischen Profis: „Die Kitas und Schulen sind am Limit. Gleichzeitig sind die pädagogischen Profis in Kitas und Schulen wieder einmal bereit, über ihre Grenzen zu gehen. Das erwarten sie allerdings auch von Land und Kommunen bei der schnellen Unterstützung. Die Hilfsbereitschaft ist überall groß, auch bei den Schüler*innen. Schulen müssen dann, wenn sie eine größere Anzahl Geflüchteter aufnehmen, entlastet werden. Debatten über Arbeitszeiterhöhungen sind da gerade völlig fehl am Platz, wenn alle in den Kitas und Schulen am Ende ihrer Kräfte sind“, sagt Stein.
Im Südwesten gibt es gut 110.000 Lehrkräfte an allgemeinbildenden Schulen. Die Zahl der Referendare liegt nach Angaben des VBE bei etwa 4700 für Gymnasien und die anderen Schularten. Ohne Gymnasien seien es etwa 2800 Lehrkräfte in Ausbildung. News4teachers / mit Material der dpa
