BERLIN. Zwei Corona-Winter haben die Kitas und Schulen in Deutschland mit Ach und Krach und zigfachen Infektionen hinter sich gebracht – bald droht der dritte. Bund und Länder erklären, was sie auf keinen Fall zu tun gedenken (nämlich Schulschließungen). Was sie denn sonst zum Schutz von SchülerInnen und Lehrkräften tun wollen, dazu kommt kein Wort. Zu fürchten ist: nichts. Dass das womöglich zu wenig sein könnte, fällt jetzt auch Genossen von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) auf.
Für manche Menschen wird die Infektion mit dem Coronavirus mittlerweile fast zum Dauerzustand – sagt die Virologin Dr. med. Jana Schroeder, Chefärztin des Instituts für Krankenhaushygiene der Stiftung Mathias-Spital, mit Blick auf das Personal in ihrem Krankenhaus. „Das sind junge, gesunde, dreifach geimpfte Mitarbeiter, die sich reinfizieren nach sechs Wochen. So was kann passieren”, berichtete sie am Dienstagabend bei “Markus Lanz”.
Offenbar geschieht das derzeit vielen Menschen auch in den Schulen – unbemerkt, weil dort ja nicht mehr getestet wird. „Ich habe ehrlich gesagt hier ein bisschen Déjà-vu“, sagte Schroeder (und meinte damit offensichtlich das Nicht-Handeln der Kultusminister in den Sommern 2020 und 2021).
“Das muss alles jetzt vorbereitet werden, um im Herbst die Schulen nicht schließen zu müssen”
Die Fachärztin: „Das Infektionsgeschehen zieht jetzt wieder an. Das muss alles jetzt vorbereitet werden, um im Herbst die Schulen nicht schließen zu müssen. Da sehe ich jetzt aktuell noch nichts.“ Der Medizinerin fehlt mit Blick auf den Herbst eine gewisse Dringlichkeit in der Politik.
Zuvor hatte Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger, die ebenfalls in der ZDF-Talkshow saß, betont: „Schulen dürfen nicht mehr geschlossen werden.“ Wie denn die Schulen in weiteren Wellen geschützt werden sollen? Dazu kam keine Aussage der FDP-Politikerin, die stattdessen den Tankrabatt der Bundesregierung lobte („ein Erfolg“).
Dass Bund und Länder zwar Schulschließungen kategorisch ausschließen – wie auf dem jüngsten Gipfel mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) beschlossen wurde –, aber offenbar keinerlei Schutzmaßnahme ins Auge fassen, um den Schulbetrieb auch zu sichern, stößt mittlerweile auf. Beispiel Nordrhein-Westfalen: Angesichts einer möglichen neuen Corona-Welle im Herbst fordert die SPD im Landtag von der künftigen Landesregierung schnellstmöglich einen Notfallplan für die Schulen.
„Die Schulen dürfen nicht wieder geschlossen werden“, sagt der stellvertretende Fraktionschef Jochen Ott – und widerspricht damit noch nicht dem Gipfelbeschluss. Er betont aber auch: Die künftige schwarz-grüne Landesregierung (die Koalitionsverhandlungen laufen) müsse jetzt alle notwendigen Vorkehrungen treffen, um einen geregelten und sicheren Schul- und Kitabetrieb im Herbst und Winter zu gewährleisten. Ende Juni soll Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) im Landtag wiedergewählt werden, der als Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz den jüngsten Bund-Länder-Beschluss (keine Schulschließungen) maßgeblich mit zu verantworten hat.
Die SPD erneuert in einem Antrag für das Landtagsplenum ihre Forderung, Schulen künftig als kritische Infrastruktur zu definieren, die für die Versorgung des Landes unentbehrlich ist. Zur kritischen Infrastruktur gehören etwa auch die Energie- und Wasserversorgung, Verkehr und die medizinische Versorgung. Die neue Landesregierung sollte nach Ansicht der SPD dazu Gespräche mit dem Bund führen, was einer gewissen Ironie nicht entbehrt. Schließlich regiert die SPD im Bund.
Außerschulische Lernorte sollen verstärkt mit Schulen kooperieren, um bei Bedarf kleinere Lerngruppen bilden zu können
Zu einem Krisenplan für Schulen muss nach Ansicht der Genossen in NRW die Beschaffung von ausreichend Corona-Tests und Masken sowie Luftfiltern gehören. Dummerweise verbietet das Infektionsschutzgesetz der Ampel-Koalition derzeit den Ländern sogar die Maskenpflicht in Schulen – und die FDP (Gruß an die Bundesbildungsministerin) sperrt sich gegen jede Änderung. Warum allerdings die Genossen an Rhein und Ruhr nicht ihre eigene Bundestagsfraktion ansprechen, sondern den Christdemokraten Wüst zum Botschafter ernennen wollen, bleibt ihr Geheimnis. Parteitaktik offensichtlich.
Die NRW-SPD meint außerdem: Die digitale und technische Ausstattung der Schulen müsse verbessert werden. Außerschulische Lernorte aus dem Kultur- und Sportbereich sollten verstärkt mit Schulen kooperieren, um bei Bedarf kleinere Lerngruppen bilden zu können. Nicht zuletzt bräuchten die Schulen auch mehr Freiheiten, bestimmte Maßnahmen umzusetzen. Aber auch hier gilt: Das Infektionsschutzgesetz des Bundes (das in Wahrheit Schutzmaßnahmen verbietet und deshalb mehr das Virus als die Menschen vor Ansteckung schützt) steht dem entgegen.
Auch auf Bundesebene gibt es Druck von fachlicher Seite. Der Corona-ExpertInnenrat der Bundesregierung hatte in seiner jüngsten Stellungnahme eine Rechtsbasis für schnelle Reaktionen auf mögliche steigende Infektionszahlen im Herbst und Winter empfohlen. Das Gremium fordert unter anderem eine „zeitnahe Überarbeitung der Hygienekonzepte und medizinischer Leitlinien“ auch für Kitas und Schulen, wie News4teachers berichtet.
Die FDP im Bund möchte aber nach eigenem Bekunden die Evaluation eines zusätzlich eingerichteten und politisch besetzten Sachverständigenrats abwarten, weil sie Beweise für die Wirkung selbst so wissenschaftlich unumstrittener Schutzmaßnahmen wie der Maskenpflicht einfordert. Wie Medien berichten, hat Kommissionschef Prof. Stefan Huster, ein Jurist, bereits erklärt, angesichts mangelnder Datenlage und schlechter Ausstattung der Gruppe sei eine umfassende Evaluierung nicht zu erwarten.
Schutzmaßnahmen für Kitas und Schulen dann wohl auch nicht. News4teachers
In einer früheren Version des Beitrags berichteten wir, dass das Infektionsschutzgesetz die flächendeckende Maskenpflicht und die Testpflicht in Kitas und Schulen verbietet – tatsächlich verbietet es nur die Maskenpflicht. Wir haben den Artikel entsprechend korrigiert.