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Der Luftfilter-Skandal geht weiter: Land kauft lieber (billige) CO2-Ampeln für Schulen

DRESDEN. Deutschlands Schüler und Lehrer stehen vor dem dritten Corona-Winter. Und noch immer sträuben sich die meisten Länder, in Luftfilter für Schulen zu investieren. Beispiel Sachsen: Alle Klassenräume im Freistaat sollen nun mit sogenannten CO2-Ampeln ausgestattet werden. Darauf hat sich das Kabinett der Staatsregierung verständigt. Sie folgt damit einer Empfehlung des Expertenrates der Bundesregierung. Mobile Luftfilter – die deutlich teurer sind – hält das Kultusministerium dagegen für unnötig: Deren Wirkung sei nicht belegt. Die Deutsche Forschungsgesellschaft erklärt allerdings etwas anders.

Ohne Luftfilter müssen Lehrer und Schüler im Unterricht immer wieder die Fenster weit aufreißen – auch bei klirrender Kälte. Foto: Shutterstock

Der Expertenrat der Bundesregierung hatte sich Anfang Juni dieses Jahres dafür ausgesprochen, CO2-Messungen in Klassenräumen verpflichtend einzuführen, um den Zeitpunkt notwendiger Frischluftzufuhr anzuzeigen. Das regelmäßige Lüften sollte auch im Winter „selbstverständlich“ sein. CO2-Ampeln können im Winter helfen, sowohl ein zu geringes als auch zu häufiges Lüften zu verhindern. „Den Einsatz von Luftfiltern hatte der Expertenrat hingegen nicht empfohlen“, so schreibt das Kultusministerium. Richtig ist: Der Expertenrat hat sich zum Einsatz von Luftfiltern gar nicht geäußert. Bis heute hat kein Bildungsministerium in Deutschland es für nötig erachtet, eine Studie zum praktischen Einsatz der Geräte in Schulen in Auftrag zu geben.

Eine „Lüftungsampel“ kostet um die 200 Euro – ein mobiler Luftfilter, der für den Einsatz in Klassenräumen geeignet ist, 3.500 Euro

Um alle Klassenräume an öffentlichen und freien Schulen Sachsens auszustatten, sind etwa 45.000 Lüftungsampeln notwendig, so rechnet das Kultusministerium vor. Die Anschaffungskosten belaufen sich auf etwa zehn Millionen Euro. Die Kohlendioxidmessgeräte werden vom Freistaat finanziert, angeschafft und den Schulträgern zur Verfügung gestellt. Zuvor muss jedoch der Haushalts- und Finanzausschuss des Sächsischen Landtags seine Zustimmung erteilen, heißt es. Zum Vergleich: Eine „Lüftungsampel“ (die lediglich den CO2-Gehalt in der Atemluft, nicht die Virenbelastung anzeigt), kostet um die 200 Euro. Ein mobiler Luftfilter, der für den Einsatz in Klassenräumen geeignet ist, schlägt mit rund 3.500 Euro zu Buche.

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Kein Wunder also, dass das Kultusministerium die billigere Lösung favorisiert. Auch die Deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene (DGKH) – eine medizinische Fachgesellschaft – spreche sich für die Anschaffung von CO2-Ampeln aus, um ein regelmäßiges Lüften von Klassenräumen zu unterstützen, so heißt es dort. Im Vergleich zu Luftfiltern seien Lüftungsmethoden mit Frischluftzufuhr effizienter und nachhaltiger, so wird behauptet. Zudem könne ihre Wirkung mittels CO2-Monitor besser kontrolliert werden.

Was das sächsische Kultusministerium verschweigt: Vier Bundesländer – Hamburg, Berlin, Bremen und Bayern – haben nennenswerte Förderprogramme für mobile Luftfilter in Schulen aufgelegt. Niedersachsen hat aktuell angekündigt, sein Förderprogramm für die Anschaffung der Geräte auszuweiten.

Aus gutem Grund: Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) hält den Einsatz von mobilen Luftreinigern für überaus sinnvoll. In einem Papier zur Gefahr von Ansteckungen durch Corona-belastete Aerosole heißt es:Die indirekte Infektionsgefahr kann in Innenräumen minimiert werden, indem sich Personen dort nur kurz aufhalten, die Konzentration infektiöser Aerosole durch starken Luftwechsel möglichst gering gehalten wird oder durch das Tragen partikelfilternder Masken. Ein starker Luftwechsel kann durch Fensterlüftung, fest installierte raumlufttechnische Anlagen oder mobile Raumluftreiniger erfolgen.“

Raumlufttechnische Anlagen gibt es aber in Schulen kaum. Auch bei der Fensterlüftung ergeben sich praktische Probleme, wie die Wissenschaftler festhalten: „Ein schneller Luftaustausch durch Fensterlüftung erfordert regelmäßiges Querlüften (6-mal pro Stunde, Durchzug durch Öffnen von Fenstern auf gegenüberliegenden Raumseiten, ggf. auch in benachbarten Räumen) oder ebenso häufiges Stoßlüften (durch vollständiges Öffnen aller vorhandenen Fenster in dem genutzten Raum).“

“Eine Reduktion der Virenlast ist mit leistungsstarken mobilen Raumluftreinigern möglich“

Fazit der DFG: „Sind diese Maßnahmen technisch nicht möglich (keine raumlufttechnischen Anlagen vorhanden, zu wenig Fenster, die geöffnet werden können), physikalisch nicht wirksam (kein Temperaturunterschied zwischen drinnen und draußen, kein ausreichender Wind vor den Fenstern), nicht praktikabel (Unterbrechung von Arbeitsabläufen) oder nicht zumutbar (zu kalt, Zugluft, zu laute Außengeräusche), ist eine Reduktion der Virenlast mit leistungsstarken mobilen Raumluftreinigern möglich.“

Dem hält das sächsische Kultusministerium eigene Lüftungsregeln entgegen: „So sollte bei hohen Temperaturunterschieden im Winter aus energetischen Gründen auf die sehr effektive Methode des kurzen Stoßlüftens zurückgegriffen werden. CO2-Messgeräte könnten nach dem Ampelsystem den Hinweis geben, wann die Fenster zu öffnen sind.“ News4teachers-Leserinnen und Leser berichteten in den vergangenen beiden Wintern, dass in Klassenräumen trotz langer Lüftungszeiten die Ampeln nicht auf „Grün“ sprangen – hier nachzulesen.

Das sächsische Kultusministerium ficht das nicht an. Zudem spreche sich die DGKH unter anderem »wegen des Fehlens jeglicher Evidenz für eine Reduktion von SARS-CoV-2-Infektionen durch mobile Luftreinigung« gegen die Anschaffung von mobilen Luftfiltern aus, so verlautet es. Der Einsatz von Luftreinigern erscheine nur dort zweckmäßig, wo ausreichende Frischluftzufuhr nicht möglich ist (was unsinnig ist, weil Klassenräume, die nicht über ausreichende Frischluftzufuhr verfügen, schon wegen des steigenden CO2-Gehalts gar nicht für den Unterricht geeignet sind).

Auch mit der Evidenz ist das so eine Sache: Eine Studie aus Vorpommern kam unlängst zum Ergebnis, dass mittlerweile fast alle getesteten 13- bis 17-Jährigen über Corona-Antikörper verfügen, obwohl nur ein Bruchteil von ihnen geimpft worden war, wie News4teachers berichtet. Heißt: Die von den Kultusministern so oft gepriesene (weil kostenlose) Fensterlüftung hat offensichtlich nicht funktioniert. News4teachers / mit Material der dpa

Keine Luftfilter, kein Gas zum Heizen: Lehrern und Schülern droht ein noch schlimmerer Winter als in den vergangenen beiden Jahren

 

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