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Keine anspruchsvollen Bildungsziele mehr? Philologen-Chef fordert Rückkehr zum Leistungsprinzip an Schulen

KARLSRUHE. Der Vorsitzende des Philologenverbandes Baden-Württemberg, Ralf Scholl, plädiert für die Rückkehr zum Leistungsprinzip im Unterricht. «Was wir an unseren Schulen brauchen, und was gar nichts kosten würde, ist die klare Ausrichtung: “Leistung muss sich wieder lohnen”», schreibt Scholl in einem Gastbeitrag für die «Badischen Neuesten Nachrichten». Der Verband vertritt gymnasiale Lehrkräfte.

Ist der Leistungsanspruch in der Schule verloren gegangen? Foto: Shutterstock

«Schule ist ohnehin immer ein Schonraum, auch mit diesem Leistungsprinzip. Aber sie darf nicht zu einem alleinigen Schonraum verkommen», meint Scholl. «In viel zu vielen Schulen ist das Leistungsprinzip mittlerweile tabu!», heißt es in dem Beitrag. Herausragende Leistungen würden nicht mehr positiv hervorgehoben und als Orientierung für alle herangezogen. «Vielmehr ist seit einem guten Jahrzehnt “das Nicht-Beschämen der Schüler” das Prinzip, an dem sich viel zu viele Lehrkräfte orientieren.»

Das Schulprojekt «Grundschule ohne Noten», das Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne) an 39 Grundschulen jüngst wiederbelebt hat, ziele auch in diese Richtung. Scholl: «Maximierung des Wohlfühlens der Kinder auf Kosten des Lernfortschritts.» (Dazu auch: Kasten unten)

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In einer Pressemitteilung hatte Scholl den Modellversuch scharf kritisiert – und dabei schon auf das Leistungsprinzip gepocht. «Kinder und Jugendliche wollen sich vergleichen und suchen Herausforderungen“, erklärte er. „Von daher ist die Idee, sie vor allen Schwierigkeiten und Hindernissen zu bewahren und daher auf Noten zu verzichten, schon vom Ansatz her verfehlt. Außerdem hat Schule einen Erziehungsauftrag: Im Rahmen der Schule müssen die Kinder auch lernen, dass Anforderungen von außen an sie gestellt werden, und dass sie sich anstrengen müssen, um diesen Anforderungen gerecht zu werden.»

“Den Leistungsgedanken aus der Schule zu verbannen, ist wirklich keine gute Idee“

Mit Verbalbeurteilungen, die nach Vorgabe nur positive Formulierungen enthalten dürfen, würden Kinder und Eltern in einer «Scheinsicherheit“ gewiegt. Scholl: «Das Wohlbefinden der Grundschulkinder und die Zufriedenheit der Eltern wird damit während der Grundschulzeit absehbar steigen. Lernen werden die Kinder aber weniger als gleichaltrige „benotete“ Grundschüler. Das zeigen die Erfahrungen aus dem ersten Schulversuch, der genau aus diesem Grund 2017 abrupt beendet wurde.»

Was so allerdings nicht stimmt: Die damalige Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) begründete das Ende des Modells, das ihr Amtsvorgänger Andreas Stoch (SPD) initiiert hatte, seinerzeit damit, dass keine Kontrollgruppe eingerichtet worden sei, um die Ergebnisse zu vergleichen – und valide Erkenntnisse daraus zu ziehen. Um dessen Wirkung beurteilen zu können, hätten neben den zehn beteiligten Grundschulen weitere zehn Schulen mit Noten zum Vergleich unter die Lupe genommen werden müssen. Das lasse sich nachträglich aber nicht mehr bewerkstelligen.

Scholl ficht das nicht an. Er betont: «Wir leben in einer Leistungsgesellschaft. Nicht weil wir das wollen, sondern weil wir mit unseren Firmen auf dem Weltmarkt in internationalem Wettbewerb stehen. Den Leistungsgedanken aus der Schule zu verbannen, ist daher wirklich keine gute Idee“, erklärt der Philologen-Chef.

Lehrkräfte haben aus Scholls Sicht die Aufgabe, von den Schülern immer etwas mehr zu verlangen, als «von selbst» kommt: «Etwas mehr Tempo, etwas mehr Tiefgang.» Das liefere den Kindern und Jugendlichen die nötigen Erfolgserlebnisse und stärke sie für ihr künftiges Leben.

“Die Orientierung an anspruchsvollen Bildungszielen ist uns aber weitgehend verloren gegangen”

«Die Orientierung an anspruchsvollen Bildungszielen ist uns aber weitgehend verloren gegangen, sowohl für den Hauptschulabschluss wie für die Mittlere Reife und das Abitur», schreibt Scholl. Er spricht von einer «Verachtung von Noten» an vielen Gemeinschaftsschulen. «Die Vergabe von vielen wertlosen Zeugnissen ist aber gerade kein Kennzeichen einer guten Schule oder eines guten Schulsystems!»

Auch Gymnasien seien nicht von der Tendenz zu immer besseren Noten verschont: «Das letztjährige Corona-Abitur hatte den besten Abi-Durchschnitt im Ländle, den es jemals gab», legt der Verbandschef dar. «Und das, obwohl 30 Prozent der Bachelor-Studenten ihr Studium abbrechen, die Hälfte davon wegen Leistungsproblemen.» News4teachers / mit Material der dpa

Der Modellversuch

„Grundschule ohne Noten“ in Baden-Württemberg war 2017 von der damaligen Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) eingestellt worden – zum Unwillen der beteiligten Schulen. „Viele Eltern unserer rund 330 Schüler können das nicht nachvollziehen – zumal die Stadt das Modell bis zur ursprünglichen Auswertung weiterfinanziert hätte“, so heißt es beispielsweise auf der Homepage der Freiburger Paul-Hindemith-Grundschule.

Und weiter: „Wir stellen das Kind in den Mittelpunkt und gestalten dadurch den Unterricht ganz individuell. Dazu brauchen wir die jahrgangskombinierten Klassen und die Weiterentwicklung unserer differenzierten Rückmeldekultur. Unser Unterricht ist so angelegt, dass alle Kinder gefördert und gefordert werden. Wir betreiben keine ‚Kuschelpädagogik‘, sondern gehen wertschätzend auf die Kinder ein. Dazu gehört auch, dass wir die Kinder nicht nach Ziffernoten ‚sortieren‘.

Was trat in dem Schulversuch, der jetzt von der Grünen-Kultusministerin Theresa Schopper wiederbelebt wird, an die Stelle der Zensuren? „Alle Kinder erhalten für ihre Leistungen ein mündliches oder schriftliches Feedback der Lehrkräfte. Sie erfahren, wo ihre Stärken liegen, aber auch woran sie noch arbeiten bzw.  sich verbessern müssen. Bei Präsentationen in der Klasse erhalten sie außerdem noch ein direktes Feedback der Mitschüler.

“Die Schüler und die Eltern erhalten konkrete Rückmeldung über bereits erreichte Kompetenzen“

Schüler dokumentieren und reflektieren ihr eigenes Lernen und übernehmen Mitverantwortung für ihren weiteren Lernweg. Sie wählen sich dazu geeignete Dokumente aus, anhand derer ihr Lernerfolg bzw. Lernzuwachs ersichtlich wird. Desgleichen setzen sie sich konkrete Ziele für Themenbereiche in denen sie noch weiteren Lernbedarf haben. Diese Dokumente, dazu zählen u.a. Geschichten, selbstgestaltet Bilder, Kopien von Seiten aus ihren Heften, werden mit entsprechenden Symbolen gekennzeichnet und in einer selbstgestalteten Mappe gehütet. Das Symbol der ‘Krone’ schmückt besonders gelungene Arbeiten, die ‘Treppe’  verdeutlicht beispielsweise, dass ich als Schüler in einem Bereich schon auf dem Weg bin und weitere Lernschritte noch vor mir habe.

Die ‚Wichtigmappe‘ bietet auch die Grundlage für die Kindersprechstunde, sowie für Lernentwicklungsgespräche mit Eltern. In einigen Klassen führen die Kinder regelmäßig einen Lernbericht. Sie tragen dort ein persönliches Wochenziel ein und belegen, woran sie in der Schule und zu Hause gearbeitet haben. Am Freitag reflektieren die Kinder ihre Wochenarbeit und geben anschließend ihren Lernbericht der Klassenlehrerin ab. Diese schreibt dann für jedes Kind eine persönliche Rückmeldung hinein. Auch die Eltern beweisen dem eigenen Kind durch ihren Eintrag, dass sie sich für seine Arbeit interessieren. Des Weiteren enthält der Lernbericht Seiten, die eine Selbstreflexion des Kindes über seine Lernfortschritte vorsehen, ebenso wie die Seiten, auf denen die Kindersprechstunden protokolliert werden. Im Anhang befinden sich die eingeführten Regeln zum ‘Leben und Lernen in der Paul-Hindemith-Schule’ sowie Platz für Mitteilungen zwischen Schule und Elternhaus bzw. für Notizen der Kinder.

Leistungsfeststellung erfolgt auch über standardisierte Tests, wie z. B. HSP und Stolperwörtertest, die jedoch in erster Linie der Diagnose dienen.

Haben die Kinder eine Lerneinheit abgeschlossen, (z. B. den Zahlenraum bis 1000) zeigen sie ihr Können in einem Test. Dessen Ergebnisse werden auf einem Rückmeldebogen festgehalten und mit dem Kind besprochen.  Die Schüler und die Eltern erhalten somit konkrete Rückmeldung über bereits erreichte Kompetenzen. Gleichzeitig erfahren sie, woran weiterhin gearbeitet werden kann/soll/muss.“

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