BERLIN. Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) warnt vor möglichen langfristigen Folgen einer Corona-Infektion. Bisher könne man Long-Covid-Patienten nicht ausreichend versorgen. Das wirft die Frage auf: Wer schützt die Beschäftigten im Bildungsbereich? Für den kommenden Herbst und Winter haben die meisten Bundesländer bislang keinerlei Maßnahmen für Lehrkräfte und Kita-Fachkräfte angekündigt.
Corona-Langzeitfolgen, die Long Covid oder Post Covid genannt werden, sind neben den Betroffenen auch für das Gesundheitswesen und die Gesellschaft insgesamt ein Problem. Zu dieser Einschätzung kommt Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach in einem Interview mit „Zeit Online“. „Wir haben nicht im Ansatz die Kapazität, die vielen Fälle zu versorgen“, sagte er in dem Gespräch. „Es gibt nicht genügend spezialisierte Ärzte, nicht genügend Behandlungsplätze, wir haben noch keine Medikamente. Hier kommt wirklich etwas auf uns zu.“ Die mit Long Covid verbundenen Probleme würden allgemein unterschätzt.
Wir an den Schulen und KiTas haben gar keine Möglichkeit, einer Infektion auszuweichen, weil es gar keine Schutzmaßnahmen gibt!! Es reicht nun wirklich. Fangen Sie und Ihr Team endlich an, Schulen sicher zu machen #BildungAberSicher
— Frau Rektorin Ba-Wü (@FrauRektorin) July 10, 2022
Das wirft die Frage auf: Wer schützt die Beschäftigten im Bildungsbereich vor wiederholten Infektionen und Long Covid? Lehrkräfte und Kita-Fachkräfte gehören zu den besonders gefährdeten Berufsgruppen. Das Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit hat das berufsspezifische Ansteckungsrisiko untersucht. „Auf der Hand liegt, dass Berufe, in denen man direkt mit infizierten Menschen in Kontakt treten muss, einem erhöhten Ansteckungsrisiko ausgesetzt sind. Dies gilt jedoch auch für Berufe, in denen ein enger Körperkontakt mit Menschen unvermeidbar ist oder Abstandsregeln nicht eingehalten werden können“, so heißt es in der im September 2021 veröffentlichten Studie.
Weniger als ein Viertel der Beschäftigten weisen ein erhöhtes berufsspezifisches Ansteckungsrisiko auf. Lehrkräfte gehören dazu
Abstandsregeln gelten in Kitas und Schulen nicht. Die Maskenpflicht in Schulen wurde den Ländern von der Ampel-Koalition per Infektionsschutzgesetz verboten. Luftfilter gibt es nur selten in Klassenräumen, in Kita-Gruppenräumen praktisch gar nicht.
Weiter haben die Forscherinnen und Forscher ermittelt: „Die Betreuung bestimmter Personengruppen aufgrund der dabei erforderlichen Nähe zueinander ist ebenfalls mit einem erhöhten Ansteckungsrisiko verbunden, auch wenn ein direkter Körperkontakt theoretisch vermeidbar wäre. Ähnliches gilt für die Ausübung von Berufen, in denen es häufig physischen Kundenkontakt gibt.“ Betrachtet man alle Berufe, weist laut IAB weniger als ein Viertel ein erhöhtes berufsspezifisches Ansteckungsrisiko auf. Lehrkräfte gehören dazu: In der Kategorie „betreuender Umgang mit Menschen“ ist die „Lehrtätigkeit an allgemeinbildenden Schulen“ sogar das Berufsfeld mit dem höchsten Ansteckungsrisiko – gleichauf mit der Human- und Zahnmedizin.
Besonders von einem hohen Risiko betroffen, an Covid-19 zu erkranken, sind auch Kita-Fachkräfte. Beschäftigte in Kindergärten und Vorschulen sind nach Auswertungen des Dachverbandes der Betriebskrankenkassen (BKK DV) sogar die stärkste von Corona betroffene Berufsgruppe. Das zeigen kumulierte Krankheitsdaten von rund vier Millionen BKK-Versicherten, die sich zwischen März und November 2020 krankgemeldet haben. Mit 162 Krankmeldungen aufgrund einer Infektion mit dem Coronavirus je 10.000 Beschäftigte lagen Kitas und Vorschulen noch vor den Pflegekräften in Altenheimen und medizinischem Personal in Krankenhäusern. Kein Wunder: In Kitas sind Abstände überhaupt nicht einzuhalten – und: Kita-Kinder können keine Masken tragen.
„Long Covid trifft viele Infizierte“, sagte der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch. Dabei spiele kaum eine Rolle, ob jemand geimpft sei oder nicht. Für einen Bundesgesundheitsminister sei es allerdings nicht angemessen, nur Probleme zu benennen – „vielmehr ist Karl Lauterbach durch sein Amt verpflichtet, die Nachsorge der Patienten professionell zu organisieren“. Bisher tue der Minister hier eindeutig zu wenig.
„Maskenpflicht in der Schule auf keinen Fall, nachdem wir wissen, welche katastrophalen Folgen das für Kinder hat. Ich kann Ihnen sicher sagen, dass es Maskenpflicht in Schulen nicht geben wird.”
Wolfgang #Kubicki, BILD TV 22.06.2022 pic.twitter.com/tZI1qGeyFh— Jeanne d’Arc (@seikritisch) July 10, 2022
Nach Daten der KMK haben sich noch im Frühjahr bis zu 30.000 Lehrkräfte infiziert – pro Woche
Laut einer am Mittwoch veröffentlichten Auswertung von Versichertendaten der Techniker Krankenkasse waren von Erwerbstätigen, die 2020 eine Corona-Diagnose mit PCR-Test bekommen hatten, 2021 knapp ein Prozent mit der Diagnose Long Covid krankgeschrieben. Die Krankschreibungen dauerten demnach relativ lange: im Schnitt 105 Tage. Nach Daten der KMK, die bis April 2022 erhoben wurden, haben sich noch im Frühjahr bis zu 30.000 Lehrkräfte infiziert – pro Woche.
Die aktuelle #Omicron BA.5 Welle ist ein kleiner Vorgeschmack auf ein anstrengendes Winterhalbjahr: Viele Menschen krank, zu krank um zu arbeiten oder zur Kita/Schule zu gehen, Personalausfall, Gesundheitssystem am Kipp-Punkt oder darüber. Dazu wahrscheinlich noch Influenza.
— Isabella Eckerle (@EckerleIsabella) July 7, 2022
Dazu kommt: Auch Reinfektionen steigern womöglich die Gesundheitsrisiken. Eine aktuelle US-Studie, die bislang allerdings nur als Pre-Print vorliegt, kommt zum Ergebnis, dass die Wahrscheinlichkeit für reinfizierte Personen, innerhalb von sechs Monaten nach der letzten Infektion im Krankenhaus zu landen, dreimal so hoch ist wie für einmalig Infizierte. News4teachers / mit Material der dpa