BERLIN. Ein „Tag des Handwerks“ für alle weiterführenden Schulen, wie ihn die bayerische Staatsregierung gerade beschlossen hat? Noch mehr Berufsorientierung in Verantwortung der Lehrkräfte, wie vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) aktuell gefordert? Hört endlich auf, der Schule alle gesellschaftlichen Probleme aufzubürden – und entlastet sie stattdessen, meint News4teachers-Herausgeber Andrej Priboschek im folgenden Kommentar.
Es ist bezeichnend: Sobald jemand einen gesellschaftlichen Missstand feststellt, wird nach der Schule gerufen – die soll es richten. Dem Handwerk gehen die Fachkräfte aus? Es ist zweifellos misslich, wenn man wochenlang auf die Reparatur eines Wasserschadens warten oder noch im Mai mit Winterreifen herumfahren muss, weil die Werkstatt keine Kapazitäten frei hat. Aber liegt es in der Verantwortung von Lehrkräften, perspektivisch für Abhilfe zu sorgen? Die bayerische Staatsregierung beantwortet die Frage mit: ja, klar.
Sie hat entschieden: Alle weiterführenden Schulen im Freistaat sind ab dem kommenden Schuljahr verpflichtet, alljährlich einen „Tag des Handwerks“ zu veranstalten, um der Jugend die Vorteile der Branche nahezubringen. Also auch die Gymnasien, die nicht wirklich die Zielgruppe der Betriebe beschulen. Das wird sich kaum hopplahopp erledigen lassen: Die Aktion muss vorbereitet und organisiert und natürlich auch nachgehalten werden, wenn sie auch nur einen kleinen Effekt haben soll.
Zurecht, wenngleich nicht ganz ernstgemeint, fragt allerdings der Philologenverband: Warum nur einen Tag des Handwerks? Warum nicht auch einen Tag der Pflege? Schließlich fehlen auch dort die Fachkräfte. Mir fiele noch mehr ein. Ein Tag des Landarztes wäre dann ebenfalls nicht schlecht, auch davon gibt’s zu wenige. Und natürlich: ein Tag der Lehrkraft – bei dem sich gerade ins Dramatische auswachsenden Lehrkräfte-Mangel. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen: ein Tag des Flughafen-Mitarbeiters, ein Tag des IT-Ingenieurs, ein Tag der Gastronomie-Hilfkraft. Schon daran wird deutlich: Es geht so nicht.
Fangt endlich damit an, Schule wieder auf ihr Kerngeschäft zu konzentrieren: die Grundlagen für Bildung zu legen
Zweites Beispiel: Viele Jugendliche fühlen sich bei der Berufswahl orientierungslos, so hat eine aktuelle Studie ergeben. Der Reflex, diesmal von Gewerkschaftsseite, kommt sofort: Die Schule soll es richten. Die stellvertretende DGB-Vorsitzende Elke Hannack fordert, die Berufsorientierung müsse «dringend» verbessert werden. «Sie muss an allen Schulformen einen festen Platz im Lehrplan bekommen und möglichst früh einsetzen», meint sie.
Mal davon abgesehen, dass die Berufsorientierung längst einen festen Platz an allen weiterführenden Schulen hat (also Frau Hannacks Prämisse, die Schulen engagieren sich nicht genug, schlicht falsch ist) – ich fordere das Gegenteil: Streicht die Berufsorientierung komplett aus den Vorgaben für die Lehrkräfte! Fangt endlich damit an, Schule wieder auf ihr Kerngeschäft zu konzentrieren: nämlich Kindern und Jugendlichen die Grundlagen für Bildung und damit für lebenslanges Lernen zu vermitteln!
Das bedeutet eben auch, dass die Schülerinnen und Schüler früh vermittelt bekommen, dass im Informationszeitalter Informationen am besten an der Quelle abzuholen sind – und nicht von allwissenden Lehrkräften herbeigezaubert werden. Kein einziger Lehrer, keine einzige Lehrerin in Deutschland hat „Berufsorientierung“ studiert. Es ist vermessen, von ihnen zu verlangen, sich im Dickicht von 324 Ausbildungsberufen und 20.359 (sic!) Studiengängen auszukennen, die individuellen Interessen ihrer Schützlinge in den Blick zu nehmen und ihnen – natürlich mit vorausschauendem Blick auf die zukünftigen Perspektiven – persönliche Vorschläge zu machen. Dafür gibt es aber Profis, beispielsweise bei der Bundesagentur für Arbeit. Übergebt denen die Verantwortung für die Berufsorientierung von Schülerinnen und Schülern und stellt die Lehrkräfte davon frei.
Hauptsache, die Themen sind irgendwie abgehakt und die Lehrkräfte (nicht die Politikerinnen und Politiker) sind die Doofen
Hieße konkret: Die BA veranstaltet in den achten und neunten Klassen jeweils vierwöchige Berufsorientierungscamps, in denen von allgemeiner Information bis hin zur Potenzialanalyse alles abgehandelt wird. Und die Lehrkräfte werden in der Zeit von ihrer Unterrichtsverpflichtung freigestellt, um sich mal um das zu kümmern, wofür im überbordenden Alltag allzu oft keine Zeit bleibt – sich fortzubilden zum Beispiel.
Die Schule leidet massiv an Überfrachtung. Die Lehrpläne quellen über, weil immer mehr hineingestopft wird, aber kaum jemand sich traut, Inhalte auch mal herauszunehmen. Ist ja alles superwichtig. Die absehbare Folgen: dass am Ende vor lauter Fülle bei den Schülerinnen und Schüler gar nichts mehr ankommt und – wie die IQB-Studie aktuell illustriert – die Leistungen in den Kernkompetenzen Lesen, Schreiben und Rechnen sinken. Zudem steigt das Frustrationsniveau bei den Lehrkräften, die in der Flut der Aufgaben ertrinken. Aber egal, Hauptsache, die Themen sind irgendwie abgehakt und die Lehrkräfte (nicht die Politikerinnen und Politiker) sind die Doofen. Und, das wohl Wichtigste: Es darf nichts kosten.
Und deshalb wird es leider auch nichts werden mit der Idee, die Berufsorientierung (und andere gesellschaftliche Wohlfühlprojekte) aus dem Unterricht “outzusourcen”, wie es im betriebswirtschaftlichen Neudeutsch heißt. Sie umzusetzen und Lehrkräfte davon zu entlasten, würde nämlich Geld kosten. Dass es langfristig sehr viel teurer sein wird, für die Folgen der Dauerüberforderung aufzukommen, interessiert an dieser Stelle wenig. Wenn die Kosten zu tragen sind, sind die Politiker, die Lehrkräften den „Tag des Handwerks” und anderen Brimborium augebrummt haben, schon längst in anderen Ämtern. News4teachers
Verpflichtender „Tag des Handwerks“ – Philologen: Hört auf, Schule zu überfrachten!
