STUTTGART. Ein paar freiwillig zu nutzende Selbsttests für Schülerinnen und Schülern höchstens (wenn überhaupt) – das war’s offenbar. Mehr Corona-Schutz wird es absehbar in den meisten Bundesländern zum Schuljahresbeginn nicht geben. Das „Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen“ der Ampel-Koalition im Bund – kurz Infektionsschutzgesetz – sorgt für das Gegenteil, als dessen Name suggeriert: Es verbietet Schutzmaßnahmen wie die Maskenpflicht im Klassenraum oder flächendeckende Schulschließungen. Richtig so, finden offenbar die meisten Kultusminister. Wie sie einem massenhaften Ausfall von infizierten Lehrkräften begegnen wollen? Bleibt unklar.
Baden-Württembergs Kultusministerin Theresa Schopper will Schulschließungen wie im Corona-Lockdown künftig auf jeden Fall vermeiden. Sie habe sich kurz vor Ende des Schuljahrs nochmal mit Lehrkräften, Ärzten und Experten des Landesgesundheitsamts ausgetauscht. «Bei den Beratungen waren sich alle Beteiligten einig: Schulschließungen haben gravierende Auswirkungen auf die Kinder und Jugendlichen, deswegen dürfen diese nicht mehr vorkommen», teilte die Grünen-Politikerin mit. «Wenn sich keine gravierenden Änderungen mehr ergeben, gilt als generelle Leitlinie, dass das neue Schuljahr so beginnen wird, wie das alte Schuljahr zu Ende geht.» Also: praktisch ohne jeglichen Corona-Schutz.
Das bedeute etwa, so Schopper, dass Klassenreisen ins In- und Ausland geplant werden können. Es gebe aber auch Änderungen im Vergleich zum jetzigen Schuljahr, in dem es eine Reihe von Corona-Erleichterungen gab. «So entfällt die bisherige Regelung, dass die Mindestanzahl der vorgeschriebenen schriftlichen Leistungsfeststellungen unterschritten werden darf.» Für die Abschlussprüfungen würden aber auch im nächsten Schuljahr zusätzliche Aufgaben für eine Auswahl durch die Lehrkräfte erarbeitet.
“Leider werden die Herausforderungen im kommenden Schuljahr nicht kleiner werden”
Ob es bei einer Zuspitzung der Corona-Lage wieder eine Maskenpflicht in den Schulen geben kann, hänge von den Entscheidungen des Bundes ab, sagte Schopper. Druck auf die Ampel-Koalition (in der ihre eigene Partei – die Grünen – ja schließlich mitregieren), den Ländern die Möglichkeit dazu wieder einzuräumen, will sie aber offensichtlich nicht ausüben. Kein Wort dazu.
Schopper dankte Lehrkräften und Schulleitungen, die ein weiteres «Ausnahme-Schuljahr» bewältigt hätten. «Leider werden die Herausforderungen im kommenden Schuljahr nicht kleiner werden», sagte die Ministerin voraus. Das liege auch daran, dass mit einem starken Zuwachs von geflüchteten Kindern und Jugendlichen aus der Ukraine an den Schulen nach den Sommerferien zu rechnen sei. Die Schulen könnten stolz darauf sein, dass sie über 20.000 Kinder und Jugendliche «fast geräuschlos aufgenommen, integriert und beschult» hätten. Diese Zahl werde im neuen Schuljahr aber womöglich auf über 30.000 steigen, hatte Schopper jüngst erklärt.
Augen zu und durch – in anderen Bundesländern scheint die Marschroute ähnlich zu sein. In Hessen beispielsweise bietet Kultusminister Alexander Lorz (CDU) den Schülerinnnen und Schülern für die ersten beiden Unterrichtswochen maximal sechs Selbsttests (Stückpreis: unter einem Euro) an, die freiwillig genutzt werden können. Später dann womöglich zwei pro Woche, was aber noch unklar ist. Masken dürfen freiwillig getragen werden. Das war’s. «Wir können nicht auf einer Wiesn mit beinahe sechs Millionen Besuchern ohne Maßnahmen feiern, während an den Schulen strenge Regeln gelten», sagt Bayerns Kultusminister Piazolo (Freie Wähler) mit Blick auf das Münchner Oktoberfest.
Dabei hatte in den vergangenen beiden Jahren die Pandemie nach den Ferien durch Reiserückkehrer deutlich an Fahrt aufgenommen. Weil in einem hohen Infektionsgeschehen viele Fachkräfte – eben auch Kita-Fachkräfte und Lehrer – angesteckt werden und ausfallen, war der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Dr. med. Andreas Gassen, auf die Idee gekommen, sämtliche Corona-Isolations- und Quarantänepflichten abzuschaffen, um die erwartbare Personalnot zu lindern.
“Die ohnehin angespannte Personalsituation an Schulen hat sich durch die Corona-Pandemie unerträglich zugespitzt”
Die Idee stößt bei den Lehrerverbänden auf Entsetzen. «Die Selbstisolation jetzt aufzugeben, käme bei den aktuellen Infektionszahlen einer Durchseuchung gleich», sagte der Vizevorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Andreas Keller, dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Gerade in Lehrerzimmern bestehe die Gefahr von Ansteckungen in großer Zahl, was zu Schulschließungen führen könnte, warnte er. «Das kann nicht das Ziel sein.»
Auch der Bundesvorsitzende des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE), Udo Beckmann, sagte dem RND: «Wenn alle Quarantäne- und Schutzmaßnahmen aufgegeben werden und sich Infektionen ungehindert ausbreiten können, besteht die Gefahr, dass sich der bestehende Lehrkräftemangel so verschärft, dass das Kartenhaus Schule endgültig zusammenbricht.» Die ohnehin angespannte Personalsituation an Schulen habe sich durch die Corona-Pandemie «unerträglich zugespitzt». Der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Heinz-Peter Meidinger, mahnte, im Fall einer Aufhebung von Quarantäne- und Isolationsvorgaben wäre in Kombination mit anderen Faktoren im Herbst eine so große Infektionswelle an Schulen zu befürchten, «dass der Schulbetrieb ernsthaft gefährdet sein könnte».
Das wären dann die Schulschließungen, die Baden-Württembergs Kultusministerin Schopper «auf jeden Fall» verhindern will, durch die Hintertür. News4teachers / mit Material der dpa
VBE-Chef Beckmann warnt vor neuen Schulschließungen wegen steigender Corona-Zahlen
