BERLIN. In einem Schreiben an die Einrichtungen hat Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) klargestellt, dass der aktuelle Entwurf des Bundeshaushaltes 2023 keine weiteren Mittel für das Bundesprogramm „Sprach-Kitas“ bereitstellt – ausgerechnet zu einem Zeitpunkt also, an dem Tausende von ukrainischen Kindern in die Einrichtungen kommen. Mit dem Programm hatte das Bundesfamilienministerium elf Jahre lang alltagsintegrierte sprachliche Bildung als festen Bestandteil in der Kindertagesbetreuung gefördert. Mehrere Tausend Fachkräfte in Kindertagesstätten sind davon betroffen. Die Empörung darüber ist groß – bei den Bildungsgewerkschaften und bei den Ländern.
Die GEW kritisiert die Pläne der Ampel-Koalition, das Bundesprogramm „Sprach-Kitas“ zu beenden, scharf. „Auf Sonntagsreden heben die Politikerinnen und Politiker die Bedeutung der frühkindlichen Bildung hervor. Am nächsten Tag stellen sie keine Gelder mehr für hochwertige Förderprogramme bereit. Die Fachkräfte schütteln darüber frustriert den Kopf“, sagt Doreen Siebernik, GEW-Vorstandsmitglied für Jugendhilfe und Sozialarbeit.
Nach elf erfolgreichen Jahren bleibe bei den Kolleginnen und Kollegen in den Bildungseinrichtungen vor allem Frustration und Enttäuschung zurück. „Tausende Fachkräfte werden im Ungewissen gelassen. Sie wissen nicht, wie es mit ihrer Anstellung weitergeht“, sagt Siebernik. Sie wirft der Bundesregierung den Bruch des Koalitionsvertrages vor.
“Der Finanzminister ist Teil der sogenannten ‚Fortschrittskoalition‘ und muss jetzt im Interesse der Kinder liefern“
Die Ampel-Koalition sei mit dem Versprechen gestartet, die Bildungsausgaben zu erhöhen und das Bundesprogramm „Sprach-Kitas“ weiterzuentwickeln und zu verstetigen. Nun werde einfach auf das sogenannte Gute-Kita-Gesetz verwiesen. Das Finanzvolumen im Gute-Kita-Gesetz berücksichtige dabei nicht die Förderung aus den dem Bundesprogramm ‚Sprach-Kitas‘. Dies sei ein Konstruktionsfehler. „Der Bund schiebt die Verantwortung für die sprachliche Bildung als festen Bestandteil in der Kindertagesbetreuung einfach den Ländern zu. Diese sollen nun abwägen, welchen Qualitätsbaustein sie umsetzen können und was gestrichen werden muss. Das gleicht einem Flickenteppich der Qualität in den Kitas.“ Gerade nach den Erfahrungen aus der Pandemie und den weltweiten Fluchtbewegungen grenze es an Realitätsverweigerung solch ein erfolgreiches Programm einzustellen, so die GEW-Kita-Expertin.
Siebernik fordert Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) – der erst unlängst einen Tank-Rabatt in Höhe von drei Milliarden Euro durchgesetzt hat – dazu auf, Wort zu halten: „Von der Bundesregierung erwarten wir, dass die fehlenden knapp 240 Millionen Euro für die Unterstützung der Sprachbildung und Inklusion von Kindern in Kitas durch das Bundesprogramm, wie im Koalitionsvertrag beschlossen, verstetigt werden. Der Finanzminister ist Teil der sogenannten ‚Fortschrittskoalition‘ und muss jetzt im Interesse der Kinder liefern.“
Auch der VBE zeigt sich empört. „Während die politisch Verantwortlichen auf der einen Seite betonen, wie wichtig es ihnen ist, durch die Pandemie bedingte Bildungsbenachteiligungen auszugleichen und mehr Bildungsgerechtigkeit zu erreichen, streicht die Bundesregierung gleichzeitig kurzerhand ein etabliertes, erfolgreiches und immens wichtiges Förderprogramm zur alltagsintegrierten Sprachbildung und Partizipation, von dem inzwischen jede achte Kita profitiert. Dies ist insbesondere in Zeiten, in denen die Kitas durch die Integration von geflüchteten Kindern aus der Ukraine vor enormen zusätzlichen Herausforderungen stehen, unverantwortlich“, so meint Bundesvorsitzender Udo Beckmann.
Er betont: „Hier wird ein wichtiger und bewährter Baustein eines Fundamentes für mehr Bildungsgerechtigkeit und Chancengleichheit von heute auf morgen zunichtegemacht. Der Titel des Bundesprogramms „Sprach-Kitas: Weil Sprache der Schlüssel zur Welt ist“ macht die ganze Absurdität deutlich, die die Streichung zum Zeitpunkt einer massiven Zuwanderung bedeutet.“
Die Länder machen ebenfalls Front gegen die Absicht des Bundes, das Programm zur Sprachförderung in Kitas Ende des Jahres auslaufen zu lassen. In einer gemeinsamen Erklärung appellierten die Jugend- und Familienminister an die Bundesregierung, die Entscheidung vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie und der vielen Geflüchteten aus der Ukraine zu revidieren. Sie fordern, das Projekt fortzuführen und «perspektivisch als dauerhaftes Bundesprogramm zu verstetigen».
“Hier den Rotstift anzusetzen, ist auch für die vielen Beschäftigten in den Kitas eine Entwertung ihrer bisher geleisteten Arbeit”
«In der derzeitigen Situation muss die Sprachförderung von Kindern ein zentrales Anliegen auch der Bundespolitik sein», heißt es in der Erklärung, die Berlin als aktuelles Vorsitzland der Jugend- und Familienministerkonferenz (JFMK) am Donnerstag veröffentlichte. Frühkindliche sprachliche Bildung verbessere Bildungs- und Teilhabechancen von Kindern. «Hier den Rotstift anzusetzen, ist auch für die vielen Beschäftigten in den Kitas eine Entwertung ihrer bisher geleisteten Arbeit.» Der Schritt verschärfe zudem die ohnehin angespannte Personalsituation in Kindertageseinrichtungen, er sei «unverständlich und fahrlässig».
Berlins Bildungssenatorin Astrid-Sabine Busse (SPD) als JMFK- Vorsitzende hatte bereits am Montag gefordert, bei der Sprachförderung in Kitas nicht zu sparen. Ziel des Bundesprogramms «Sprach-Kitas» sei, Kinder mit sprachlichem Förderbedarf und Einrichtungen in benachteiligten Stadtteilen zu unterstützen. Allein in Berlin profitierten davon mehr als 300 Kindertagesstätten; der Förderumfang betrage in diesem Jahr rund 13,2 Millionen Euro.
Eine Sprecherin des Bundesfamilienministeriums hatte am Montag erklärt, der Bund unterstütze die Länder seit Jahren «massiv» mit Förderprogrammen im Kitabereich. Diese seien jedoch immer befristet, da die Zuständigkeit für die Kindertagesbetreuung bei den Ländern liege. Nach elf Jahren Finanzierung des Programms «Sprach-Kitas» und dem Kompetenzaufbau in der Fläche gingen die geschaffenen Strukturen und Ansätze nun in die Verantwortung der Länder über. Nach Angaben des Ministeriums ist bundesweit etwa jede achte Kindertagesstätte eine Sprach-Kita. Davon profitierten mehr als 500.000 Kinder und ihre Familien.
VBE-Chef Beckmann hofft jetzt auf den Bundestag. „Wenn man sich vor Augen führt, dass im Koalitionsvertrag vereinbart steht, die Förderung von Sprach-Kitas weiterzuentwickeln und zu verstetigen, führt die jetzige Entscheidung dieses vollmundige Versprechen ad absurdum. Dadurch, dass die Verantwortung mit einem harten Schnitt an die Länder delegiert wird, ohne dass die Weiterführung gesichert ist, werden gewachsene und bewährte Strukturen gefährdet und es wird mehr anstatt weniger Bildungsungerechtigkeit geschaffen. Es bleibt zu hoffen, dass die entsprechende Kürzung durch die Abgeordneten noch verhindert wird.“ News4teachers
