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Akademische und berufliche Bildung sollen “gleichwertig” sein (Bürger glauben das nicht)

Vor der Kabinettsklausur an diesem Dienstag und Mittwoch hat sich Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger besorgt über die Entwicklung am Ausbildungsmarkt gezeigt und für die Berufsausbildung geworben. «Akademische und berufliche Bildung sind unterschiedlich, aber gleichwertig. Beides sind tolle Sprungbretter für ein erfolgreiches Berufsleben», befand die FDP-Politikerin. Dass die Menschen in Deutschland dies mehrheitlich anders sehen, darauf deutet allerdings eine aktuelle Studie hin. Kein Wunder, meint der Deutsche Gewerkschaftsbund: Er nimmt die Unternehmen in die Pflicht, die Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen zu verbessern. 

Gleichwertig? Ein Studium lohnt sich in der Regel auch in finanzieller Hinsicht. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hat errechnet, dass Personen mit einem Fachhochschul- und Hochschulabschluss im Laufe ihres Berufslebens im Schnitt 860.000 Euro mehr verdienen als Facharbeiterinnen und Facharbeiter mit Berufsabschluss. Foto: Shutterstock

Sie sehe mit großer Sorge, dass die Zahl der abgeschlossenen Ausbildungsverträge auf dem Niveau der Corona-Pandemie zu stagnieren drohe, so Stark-Watzinger. «Gut ausgebildete Fachkräfte sind unser Kapital.» Viel zu viele Ausbildungsplätze blieben unbesetzt, sagte die Bundesbildungsministerin. «Dabei brauchen wir dringend mehr kluge Köpfe und fleißige Hände für Transformation, Wachstum und Wohlstand.»

Der Fachkräfte- und Nachwuchsmangel in vielen Branchen unter anderem im Handwerk macht der Wirtschaft zunehmend zu schaffen. Auf der Klausur in Meseberg nördlich von Berlin will das Bundeskabinett darüber beraten. Eingeladen sind dazu die Chefin der Bundesagentur für Arbeit, Andrea Nahles, die Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Yasmin Fahimi, und die Bosch-Geschäftsführerin und -Arbeitsdirektorin Filiz Albrecht.

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Nur die Hälfte der Befragten in Deutschland glaubt, dass sie mit einer Ausbildung ähnlich gut verdienen könnten wie mit einem Beruf, der einen Uni-Abschluss erfordert

Die Ampel hat sich im Koalitionsvertrag vorgenommen, mit einer «Exzellenzinitiative Berufliche Bildung» die Berufsausbildung in Deutschland attraktiver zu machen. Laut Stark-Watzinger geht es dabei unter anderem um einen Ausbau der beruflichen Orientierung an den Schulen. Zudem soll es Verbesserungen bei der beruflichen Weiterqualifizierung geben. Im FDP-Wahlprogramm zur Bundestagswahl hieß es außerdem, man wolle über einen bundesweiten Exzellenzwettbewerb «die besten Ideen zur Zukunft der beruflichen Bildung mit hochrangigen Auszeichnungen und mehrjährigen Zuschüssen fördern».

Ob das hilft? In Deutschland erwägen im internationalen Vergleich nur relativ wenige Menschen einen Handwerksberuf. Die Branche werde hierzulande vor allem hinsichtlich Gehaltschancen schlechter bewertet als in anderen Ländern, heißt es in einer repräsentativen Studie des US-Mischkonzerns 3M. Nur 10 Prozent der Befragten sind in Deutschland in einem Handwerksberuf tätig und 18 weitere Prozent haben je über eine Laufbahn in der Branche nachgedacht, wie das am Montag veröffentlichte Papier zeigt. Das sei der niedrigste Wert aller 17 untersuchten Länder.

Fast drei Viertel der Befragten (72 Prozent) gaben in der Studie an, sie seien nicht im Handwerk tätig und hätten auch nicht über eine Laufbahn dort nachgedacht. In Frankreich etwa waren es 56 Prozent. Zudem glauben nur 49 Prozent der Befragten in Deutschland, dass sie mit einer solchen Ausbildung ähnlich gut verdienen könnten wie mit einem Beruf, der ein vierjähriges Universitätsstudium erfordert – 14 Prozent stimmen dem voll zu und 35 stimmen eher zu. Auch das sei der niedrigste Wert unter den betrachteten Ländern, hieß es. Global waren es zusammen 71 Prozent.

Dabei fehlt es offenbar nicht an der Wahrnehmung von Chancen im Handwerk: 87 Prozent der Befragten sehen in der Branche viele Jobmöglichkeiten, das sind etwas mehr als im weltweiten Schnitt. 53 Prozent gaben aber an, sie verfolgten andere berufliche Interessen. 20 Prozent bezweifelten, dass sie damit genug Geld verdienen würden.

Für die Studie von 3M wurden im Auftrag des Marktforschers Ipsos in 17 Ländern jeweils rund 1000 Menschen befragt – darunter Deutschland, Frankreich, die USA, Großbritannien, Brasilien, Indien und Mexiko. Die Daten wurden zwischen September und Dezember 2021 erhoben.

“Unsere Betriebe bieten schon seit Jahren Tausende Ausbildungsplätze und damit Ausbildungschancen an, die aber nicht genutzt werden”

Das Handwerk in Deutschland beklagt schon lange, dass sich viele junge Menschen für ein Studium anstelle einer Ausbildung entscheiden. Ende Juli hatte Handwerkspräsident Hans Peter Wollseifer angesichts des Fachkräftemangels eine «Bildungswende» gefordert. «Wir gehen von einer Viertelmillion Fachkräften aus, die im Handwerk fehlen», hatte er gesagt. Ziele etwa beim Einbau von Wärmepumpen seien dann schwierig zu erreichen. Das Handwerk zählt laut dem Institut der deutschen Wirtschaft (IW) neben der Sozialarbeit, Erziehung, Pflege und IT zu den Branchen, in denen die Personalnot besonders groß ist.

Die Branche sei bereit, die Ausbildungskapazitäten hochzufahren, hatte Wollseifer gesagt. «Unsere Betriebe bieten schon seit Jahren Tausende Ausbildungsplätze und damit Ausbildungschancen an, die aber nicht genutzt werden. Man müsse weg von der Vorstellung, «dass nur ein Studium beruflichen und persönlichen Erfolg bringen kann, und hin zu mehr Anerkennung und Wertschätzung der beruflichen Bildung».

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) monierte Nachholbedarf in der Branche. «Immer weniger Jugendliche entscheiden sich für eine Ausbildung im Handwerk oder brechen diese vorzeitig ab. Das Handwerk kann selbst viel dafür tun, dass sich das ändert», sagte DGB-Vorstandsmitglied Stefan Körzell. Er nannte die Qualität der Ausbildung, aber auch Arbeitsbedingungen und die Bezahlung.

60 Prozent der im Handwerk ausgebildeten Fachkräfte verließen die Branche schnell wieder und gingen in die Industrie, den öffentlichen Dienst oder zur Bahn, stellte Körzell fest. Mit ihrer Qualifikation verdienten sie dort mehr. Tarifverträge würden helfen. Derzeit arbeiteten aber nur 30 Prozent der Handwerk-Beschäftigten unter einem Tarifvertrag. «Damit setzt die Branche ihre Zukunft aufs Spiel.» News4teachers / mit Material der dpa

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