HANNOVER. Überraschung in Hannover: Julia Willie Hamburg, Spitzenkandidatin der Grünen im Landtagswahlkampf, wird neue Kultusministerin in Niedersachsen. Der bisherige Amtsinhaber, der Sozialdemokrat Grant Hendrik Tonne, scheidet aus dem Kabinett aus. Allerdings nicht sang- und klanglos: Tonne wird neuer Fraktionschef der Sozialdemokraten.
SPD und Grüne haben rund drei Wochen nach der Landtagswahl in Niedersachsen ihre Pläne für eine rot-grüne Koalition vorgestellt. Ministerpräsident Stephan Weil (SPD), der vor einer dritten Amtszeit steht, und Grünen-Spitzenkandidatin Julia Willie Hamburg kündigten in Hannover an, die Ministerposten mit je fünf Frauen und Männern zu besetzen. Die bundesweit letzte SPD/CDU-Koalition auf Länderebene steht damit vor dem Ende.
Der knapp 140 Seiten umfassende rot-grüne Koalitionsvertrag, über den am Wochenende noch zwei außerordentliche Parteitage abstimmen, trägt den Titel «Sicher in Zeiten des Wandels». Einen Schwerpunkt legt das Papier auf eine deutlich offensivere Investitionspolitik – auch auf Kosten neuer Schulden, wogegen sich die CDU als bisheriger Koalitionspartner der SPD stets gewehrt hatte. Ein Punkt dabei: Um den Lehrermangel zu lindern, sollen Grund-, Haupt- und Realschullehrer künftig besser bezahlt werden.
«Schulen würde ja auch anderes Personal sehr helfen, wenn etwa Elektriker Versuche mit den Schülerinnen und Schülern machen»
Im Kabinett soll die SPD sechs Ministerien übernehmen, die Grünen erhalten vier Ressorts. Dabei steht eine Verjüngung an: Im Vergleich zur Vorgängerregierung werden die vorgeschlagenen Ministerinnen und Minister bei der Vereidigung im Schnitt vier Jahre jünger sein. Das Kultusministerium soll von Grant Hendrik Tonne, der neuer SPD-Fraktionschef wird, zur Grünen-Spitzenkandidatin Julia Willie Hamburg wechseln.
Julia Willie Hamburg ist Weils designierte Stellvertreterin. Sie war auch als Wirtschaftsministerin im Gespräch, soll nun aber als Kultusministerin für Schulen und Kitas zuständig sein. Bisher war die 36-Jährige Fraktionsvorsitzende sowie bildungspolitische Sprecherin der Grünen. Sie studierte Politikwissenschaft, Deutsche Philologie und Philosophie in Göttingen – einen Abschluss erlangte sie nicht. Hamburg hat zwei Kinder, fährt gerne Rad, wandert und liest Comics und ist Mitglied beim Fußball-Zweitligsten FC St. Pauli.
«2013 bin ich als jüngste Abgeordnete in den Landtag eingezogen. Damals habe ich noch studiert. Nach der Geburt meines zweiten Kindes erlitt ich einen gesundheitlichen Schicksalsschlag und habe mein Studium darüber neben dem politischen Mandat nicht beendet. Das sind die Dinge, die man im Leben nicht plant, die aber passieren und mit denen man umgehen muss», so erklärt sie auf ihrer Homepage.
Im Wahlkampf sorgte Hamburg mit einem Vorstoß für Schlagzeilen – weil Lehrkräfte fehlen, wollte sie Menschen ohne pädagogische Ausbildung an den Schulen einsetzen. «Schulen würde ja auch anderes Personal sehr helfen, wenn etwa Elektriker Versuche mit den Schülerinnen und Schülern machen», sagte die damalige Grünen-Fraktionschefin im Juli. Auch Erzieherinnen oder Ergotherapeuten kämen in Frage.
«Die Möglichkeit, Unterstützungspersonal einzustellen, haben die Schulen auch jetzt schon, nur fehlt es an Bewerbungen»
Der Verband Niedersächsischer Lehrkräfte (VNL) watschte sie für die Idee ab. «Gerade in den von Hamburg angesprochenen Berufen besteht ebenfalls ein Fachkräftemangel, so dass kaum passende Bewerberinnen oder Bewerber zur Verfügung stehen werden. Die Möglichkeit, Unterstützungspersonal einzustellen, haben die Schulen auch jetzt schon, nur fehlt es an Bewerbungen», erklärte VNL-Vorsitzender Torsten Neumann.
Die SPD war bei der Landtagswahl am 9. Oktober mit 33,4 Prozent klar stärkste Kraft geworden. Die Grünen erzielten mit 14,5 Prozent ein Rekordergebnis in Niedersachsen. Ministerpräsident Weil hatte sich schon vor Monaten auf Rot-Grün als Wunschbündnis festgelegt. Bereits in seiner ersten Amtszeit (2013-2017) regierte er in dieser Konstellation, darauf folgte die bestehende Koalition mit der CDU.
Sollten am Samstag der SPD-Parteitag und am Sonntag der Grünen-Parteitag zustimmen, wird der Koalitionsvertrag am Montag unterzeichnet. Einen Tag später soll Ministerpräsident Weil bei der konstituierenden Sitzung des Landtags im Amt bestätigt werden. News4teachers / mit Material der dpa
Lehrermangel: Grünen-Politikerin Hamburg will Elektriker oder Erzieherinnen unterrichten lassen
