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Mehr Abordnungen, weniger Teilzeit, (noch!) keine Mehrarbeit: Wie Feller dem Lehrermangel begegnen will

DÜSSELDORF. Lehrermangel und Unterrichtsausfall sind seit Jahren Alltag an etlichen Schulen in NRW. Die Lösung der Probleme ist eine gewaltige Aufgabe. Die neue Schulministerin stellt ein Maßnahmenpaket vor. Ein Eimer Wasser auf eine brennende Hütte, ätzt die SPD-Opposition. Auch die GEW zeigt sich enttäuscht – allerdings gleichfalls erleichtert, weil es (zunächst) keine Vorgriffstunden geben soll.

Hat mit dem Le: Dorothee Feller (CDU). Foto: Bezirksregierung Münster

Mehr Seiteneinsteiger, Alltagshelfer, weniger Klassenarbeiten und rigorosere Abordnungen sollen helfen, den Lehrermangel in Nordrhein-Westfalen zu lindern. Schulministerin Dorothee Feller (CDU) stellte am Mittwoch im Fachausschuss des Düsseldorfer Landtags ein umfangreiches Maßnahmenkonzept vor. Nicht auf ihrer Liste: eine Wochenstunde Mehrarbeit für alle Lehrer – zumindest vorerst.

Für Lehrerverbände und Opposition bleiben viele Fragen offen. Vor allem: In welchem Umfang und bis wann kann die Lehrer-Lücke damit geschlossen werden? «Effektive, kurzfristige Maßnahmen, die das System entlasten würden, fehlen weiterhin», bilanzierte die Landesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Ayla Çelik. Auch die Ministerin sieht die Schulpolitik vor einer «der größten Herausforderungen». Hier eine Übersicht wesentlicher Maßnahmen und Bewertungen.

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Mehrarbeit: Feller räumte Spekulationen ab, dass eine Stunde Mehrarbeit pro Woche für Lehrer anstehe. «Das machen wir bewusst nicht», sagte sie. «Wir haben uns derzeit dagegen entschieden, an die Arbeitszeitregelung zu gehen.» Auch, wenn dies die einfachste Lösung gewesen wäre. Eine solche Option mache nur Sinn, wenn man den Betroffenen gleichzeitig zusichern könnte, dass es gleichzeitig auch zusätzliches Personal für ihre Schulen gebe. Das sei aber derzeit in vielen Regionen «nicht so einfach umzusetzen». Der SPD-Abgeordnete Frank Müller kritisierte, damit halte Feller eine falsche Option «im Köcher».

Seiteneinstieg: Die Möglichkeiten, Seiteneinsteiger zu beschäftigen, werden erweitert. Das soll vor allen Grundschulen diesen, die besonders von Lehrermangel betroffen sind. Auch Fachkräfte mit der Befähigung zum Lehramt an Gymnasien und Gesamtschulen sollen die Möglichkeit erhalten, dauerhaft an einer Grundschule eingestellt zu werden. Der schulpolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Andreas Pinkwart, unterstützt die Öffnung des Seiteneinstiegs. Der Lehrerverband Bildung und Erziehung pocht aber auf eine intensive Qualifizierung und einen berufsbezogenen Einsatz.

„Wenn mehr Menschen mit unterschiedlichen Professionen, Kenntnissen und Fähigkeiten den Weg als Lehrende und Unterstützende, als Seiten- und Quereinsteigende, als Helferinnen und Helfer in die Schulen finden sollen, dann muss es vordringlicher Auftrag der Landesregierung sein, diese Menschen professionsspezifisch einzusetzen, sie intensiv zu qualifizieren und entsprechend fortzubilden. Denn es geht um die Erziehung und schulische Bildung unserer Kinder und Jugendlichen“, so erklärte VBE-Landeschef Stefan Behlau.

Berufskollegs: Neben der Primarstufe hat auch das andere Ende der Bildungskette seit Jahren massive Besetzungsprobleme. Daher wird der duale Master am Berufskolleg für Bachelorabsolventen von Universitäten geöffnet und um mehrere Fachrichtungen erweitert.

Lehrernachwuchs: Lehramtsanwärter konnten auch bisher schon freiwillig den Anteil ihres selbstständigen zusätzlichen Unterrichts von bis zu drei auf bis zu sechs Wochenstunden erhöhen. Diese Maßnahme soll entfristet werden. Die Mehrarbeit werde, wie bisher, bezahlt, betonte Feller.

Ausländer: Für Lehrer aus anderen Staaten soll der Einstieg in den Schuldienst erleichtert werden. Dafür sollen Sprachhürden, die jetzt schon vor einer Nachqualifizierung stehen, gesenkt werden. Für eine dauerhafte Übernahme bleibt es aber beim bisher verlangten Standard.

Fachkräfte: Zum 1. August 2023 werden die Stellen für sozialpädagogische Fachkräfte in der Schuleingangsphase, multiprofessionelle Teams für Inklusion in der Sekundarstufe sowie für Förderschulen um insgesamt 825 erhöht. Schon jetzt könnten solche Positionen zunächst auf freien Lehrerstellen besetzt und im August «umgebucht» werden, sagte Feller.

Alltagshelfer: Auf unbesetzten Lehrerstellen können auch Alltagshelfer befristet eingestellt werden, die – ähnlich wie bereits in den Kitas – nicht-pädagogische, einfache Aufgaben übernehmen sollen – etwa bei der Vorbereitung von Klassenräumen.

Klassenarbeiten: Die zentralen Prüfungen in Klasse 10 (ZP-10) können künftig an allen Schulformen eine Klassenarbeit ersetzen. Zur Entlastung der Lehrkräfte werde die Bandbreite der verpflichtend zu schreibendenden Klassenarbeiten in den Fächern mit ZP-10 an allen Schulformen von vier bis fünf auf drei bis fünf abgesenkt, sagte Feller. Aus Sicht des SPD-Bildungsexperten Jochen Ott müsste die Zahl von Klassenarbeiten und Klausuren ebenso wie Lehr- und Stundenpläne viel grundsätzlicher hinterfragt werden. «Die Hütte brennt», sagte er. Statt mit dem Löschflugzeug komme die Ministerin aber nur mit dem Wassereimer.

Abordnungen: Abordnungen von Lehrkräften an besonders belastete Schulen sollen intensiver genutzt werden. Ein vorübergehender Einsatz an einer anderen Schule sollte auch länger als ein Schulhalbjahr dauern können, sagte Feller. Sie denke an bis zu zwei Jahre. Bei Neueinstellungen sollte das an allen Schulformen künftig klar sein.

Einsatzradius: Lehrkräfte, die aus einer Beurlaubung oder Freistellung von mehr als acht Monaten in den Schuldienst zurückkehren und nicht an der bisherigen Schule eingesetzt werden möchten, sollen künftig im Umkreis von bis zu 50 Kilometern zum Wohnort eingesetzt werden. Bislang seien bis zu 35 Kilometer «gelebte Praxis» gewesen, ohne dass dies durch eine Rechtsgrundlage abgesichert gewesen wäre, erklärte Feller. Das habe die Bezirksregierungen vor erhebliche Schwierigkeiten gestellt, Lehrpersonal nach tatsächlichem Bedarf einzusetzen.

Teilzeit: Bei Teilzeitanträgen, die nicht im Zusammenhang mit familiären Gründen stehen, soll künftig gezielt geprüft werden, ob nicht der Lehrkräftemangel als dienstlicher Grund einer Genehmigung – zumindest im beantragten Umfang – entgegensteht. Der Verband Lehrer NRW bezeichnete das als fatales Signal. «Man gewinnt keine Lehrer, wenn man den Lehrerberuf unattraktiver macht», mahnte der Vorsitzende Sven Christopher.

Rekrutierung: Für eine Lehrerwerbekampagne sind für das kommende Jahr rund eine Million Euro vorgesehen.

Zeitplan: Die Voraussetzungen für das Gesamtpaket sollen bis zum 1. Mai 2023 stehen. Bis dahin seien Erlasse und Verordnungen anzupassen, erläuterte Feller.

Statistik: An den Schulen des Landes sind nach jüngsten Daten des Ministeriums rund 8000 Lehrerstellen nicht besetzt. Die meisten Lehrerinnen und Lehrer fehlen nach wie vor an den Grundschulen, dort sind mehr als 3400 Stellen vakant.

GEW-Landeschefin Ayla Çelik zeigte sich angesichts des vorgestellten Handlungskonzeptes zur Unterrichtsversorgung enttäuscht: „Wir haben schon heute knapp 8.000 unbesetzte Stellen, die Landesregierung hat 10.000 neue Lehrkräfte im Koalitionsvertrag versprochen – diesem Ziel wird das Handlungskonzept nicht gerecht. Der Lehrkräftemangel ist eines der drängendsten Probleme, die die Bildungspolitik lösen muss.“

“Die Bekämpfung des Lehrkräftemangels kann nur mit einer Verbesserung der Arbeitsbedingungen einhergehen“

Die Gewerkschafterin gab sich dagegen erfreut, dass der gewerkschaftliche Widerstand gegen die Vorgriffsstunde gewirkt habe: „Das wichtigste Fazit des Tages: Ministerin Feller hat angekündigt, dass es – zumindest vorerst – das zunächst angedachte Mittel der Vorgriffsstunden zur Bekämpfung des Lehrkräftemangels nicht geben wird. Dies ist ein Etappensieg, der ohne den Einsatz der Gewerkschaften nicht möglich gewesen wäre. Eine Erhöhung der Arbeitszeit ist den Lehrkräften nicht zumutbar und mit uns als Gewerkschaft nicht machbar. Die Lehrkräfte arbeiten bereits jetzt über ihre Belastungsgrenze hinaus. Die Arbeitsbedingungen müssen besser werden, nicht schlechter, damit wir Menschen für das System gewinnen! Die Bekämpfung des Lehrkräftemangels kann nur mit einer Verbesserung der Arbeitsbedingungen einhergehen“, so meinte sie.

Ähnlich äußerte sich Anne Deimel, Co-Vorsitzende des VBE NRW:  „Wenn ständig über das Limit hinaus gearbeitet werden muss, weil das notwendige Personal fehlt, ist kontinuierlicher Unterrichtsbetrieb eine Illusion. Leider hat die Politik allzu lange vor der dramatischen Realität des Personalmangels die Augen verschlossen – nicht nur in NRW. Das vorgelegte Maßnahmenbündel zeigt aber zumindest, dass die Landesregierung die Notsituation ansatzweise anerkennt. Es reicht eben nicht, einfach Stellen in die Haushaltsentwürfe zu setzen, sondern diese müssen mit Menschen besetzt werden. Klar ist aber auch, dass es gerade in dieser Notlage darum gehen muss, die Menschen zu stärken und zu entlasten, die tagtäglich der Mangelsituation in den Schulen trotzen und den Schulbetrieb für unsere Kinder und Jugendlichen am Laufen halten.“ News4teachers / mit Material der dpa

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