
Geht es nach der Bundesregierung, sollte das Beispiel von Abdullah Isik Schule machen: Trotz großer anfänglicher Zweifel entschied er sich für eine Ausbildung – heute ist der 20-Jährige froh über den Schritt. Künftig will Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) mehr junge Menschen für eine Ausbildung gewinnen, wie sie am Montag in einem Berliner Technologie-Unternehmen ankündigte. «Wir brauchen wieder mehr junge Menschen, mehr fleißige Hände, mehr kluge Köpfe, die auch den Weg in die berufliche Ausbildung gehen wollen», sagte Stark-Watzinger.
Bei Abdullah Isik war der Weg zum Angestellten in dem Unternehmen mit mehr als 7600 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern keineswegs von Anfang an vorgezeichnet. «In der Schule hatte ich noch keinen Plan», sagt er. Berufsorientierung habe es dort auch nicht gegeben. Den angepeilten Mittleren Schulabschluss schaffte er erst einmal nicht.
«Die Berufsorientierung muss vor allen Dingen auch in den Gymnasien ankommen»
In einem Oberstufenzentrum machte Isik dann doch noch seinen Abschluss. In Berlin werden an diesen Zentren verschiedene Bildungsgänge nach Berufsfeldern zusammengefasst. Doch immer noch wusste er nicht, wie es weitergehen sollte. In dem Oberstufenzentrum gab es, wie er erzählt, zwar Berufsorientierung mit zahlreichen Tests und Bewerbungstrainings. Doch er habe gedacht: «Wer die zehnte Klasse vermasselt hat, hat in so einem Betrieb keine Chance.» Trotzdem bewarb er sich auf gut Glück bei dem Technologie-Unternehmen, wurde genommen – und nach seiner Ausbildung übernommen.
Stark-Watzinger beklagt einen gegenläufigen Trend: «Die Zahl der Ausbildungsverträge, sie stagniert, teilweise geht sie auch zurück.» Denn immer mehr junge Menschen wollten eine akademische Ausbildung machen. Deshalb startete Stark-Watzinger die «Exzellenzinitiative Berufliche Bildung» mit verschiedenen Maßnahmen. So sollen durch eine Reform des Aufstiegs-Bafög die individuellen Chancen jedes Einzelnen steigen. Mit diesem Bafög wird die Vorbereitung auf Fortbildungsabschlüsse etwa zum Meister oder zur Meisterin gefördert.
Intensiviert werden müsse zudem die Berufsorientierung in den Schulen. Stark-Watzinger forderte: «Sie muss vor allen Dingen auch in den Gymnasien ankommen.» Zudem sollen laut der Ministerin die großen gesellschaftlichen Themen stärker in den Ausbildungsfokus rücken. «Zum Beispiel die Bekämpfung des Klimawandels, aber auch die Digitalisierung und andere.» Ferner solle bei den Berufsausbildungen «die internationale Mobilität der jungen Menschen» steigen. Die Schritte der «Exzellenzinitiative» werden von Stark-Watzingers Ministerium bis 2026 mit rund 750 Millionen Euro gefördert.
«Keinesfalls darf dies auf eine Förderung von Leuchtturmprojekten hinauslaufen, während die Unterstützung in der Breite ausbleibt»
In Abdullah Isiks Oberstufenzentrum war Praxis zwar bereits groß geschrieben. Doch die Ausstattung dort beschreibt er im Vergleich zu seinen Erfahrungen in seinem High-Tech-Unternehmen als «veraltet». «In unserem Schulsystem ist der Stand der digitalen Technik wie im Jahr 2010», meint er.
Die stellvertretende DGB-Vorsitzende Elke Hannack äußerte sich zurückhaltend zu der neuen «Exzellenzinitiative». Zwar müsse die berufliche Bildung gestärkt werden. «Keinesfalls darf dies jedoch auf eine Förderung von Leuchtturmprojekten hinauslaufen, während die Unterstützung in der Breite ausbleibt.» Bund und Länder müssten zum Beispiel dringend die Berufsschulen besser ausstatten.
Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Katharina Dröge versprach, die «Exzellenzinitiative» bündele neue und bestehende Maßnahmen zur Fachkräftegewinnung. Denn: «Vom kleinen Handwerksbetrieb, der Wärmepumpen installiert, bis zum großen Unternehmen, das Windräder produziert, spürt die Wirtschaft den Fachkräftemangel.»
Irritierend: Die Bundesregierung will die Zahl der Auszubildenden erhöhen – denkt aber offenbar nicht daran, dafür verstärkt junge Menschen zu gewinnnen, die ohne weitere Förderung in der beruflichen Perspektivlosigkeit landen. Mittlerweile fast jeder zehnte junge Mensch in Deutschland geht einer aktuellen OECD-Studie weder einer Ausbildung noch einer Arbeit nach. Der Anteil der 18- bis 24-Jährigen, die das betrifft, ist von 8,2 vor Corona auf 9,7 Prozent im vergangenen Jahr gestiegen.
Die Präsidentin der Kultusministerkonferenz (KMK), Karin Prien (CDU) nannte als eine Ursache für den Anstieg die Zuwanderung der vergangenen Jahre. Die Entwicklung sei «erklärbar, aber nicht befriedigend». Man müsse sich diesen Jugendlichen und jungen Menschen noch intensiver zuwenden.
Die hat die Bundesregierung aber offensichtlich gar nicht im Blick. Stattdessen heißt es beim Bundesbildungsministerium (fehlende Artikel im Original, d. Red.): «Mit Blick auf Demografie und erheblich gewachsene Abiturientenquote legt die Exzellenzinitiative einen besonderen Fokus auf die jungen Menschen, die sich zwischen den verschiedenen Qualifizierungswegen Ausbildung, Studium und Fachschule entscheiden können.»
Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger erkärt zu ihrer «Exzellenzinitiative»:
«Als Chancenministerium geben wir der beruflichen Bildung mit unserer Exzellenzinitiative Berufliche Bildung nun neuen Schub: Erstens verbessern wir die Förderung individueller Chancen und erhöhen die Sichtbarkeit für die Potenziale einer Ausbildung. Zweitens setzen wir gezielte Impulse für innovative Angebote sowie eine moderne Infrastruktur für die Berufsbildung. Und drittens erhöhen wir die internationale Mobilität und wollen eine internationale Perspektive auch in der beruflichen Bildung zur Selbstverständlichkeit machen. Die drei I: individueller, innovativer, internationaler. Das ist der Dreiklang der neuen Exzellenzinitiative Berufliche Bildung. Sie ist ein wichtiger Beitrag zur Bekämpfung des Fachkräftemangels in unserem Land.»