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Schülervertreter fordern mehr lebenspraktische Inhalte im Unterricht – wie Steuerrecht

STUTTGART. Vor acht Jahren beschwerte sich eine Schülerin darüber, dass sie Gedichtinterpretation lernen muss, aber zu wenig lebenspraktisches Know-how beigebracht bekommt. Das löste eine bundesweite Bildungsdebatte aus. Viel bewegt hat sich seitdem nicht, sagt der Landesschülerbeirat Baden-Württemberg – und fordert ein neues Fach. Der VBE weist das Ansinnen zurück.

Auch Börsenkurse kommen in Schule selten zur Sprache – haben aber Einfluss auf das Leben vieler Menschen. Foto: Shutterstock

Lehrer sollten aus Sicht des Landesschülerrats Baden-Württemberg stärker unterrichten, wie Steuererklärungen ausgefüllt, Versicherungen abgeschlossen und Mietverträge verhandelt werden. «Die Schule soll uns mit lebenswichtigen Kompetenzen ausstatten, aber wir lernen nur wenig über Dinge wie Steuerrecht und Investitionen, die für uns später wichtig sein könnten», sagte der Vorsitzende Berat Gürbüz. Verbindlich müssten steuerrechtliche und anlagestrategische Inhalte im Lehrplan aufgenommen werden, fordert das Gremium neben weiteren Ansätzen in seinem neuen Grundsatzprogramm.

«Wir würden uns ein Unterrichtsfach wünschen, das vom Wirtschaftsunterricht abgegrenzt ist und Dinge behandelt, die wir von den Eltern gar nicht, nur schlecht oder auch aufwendig beigebracht bekommen», sagte Gürbüz. Es heiße immer, man lerne in der Schule fürs Leben. «Aber was bedeutet das, wenn wir auf ganz Alltägliches nicht vorbereitet werden?» Das Wissen über Wirtschaft und Finanzen sei nützlich, friste in den Schulen aber nach wie vor ein Nischendasein.

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«Mathe und Literaturanalyse kann man auch am besten im Internet lernen»

Es sei auch keine Hilfe, auf das Internet zu verweisen, wenn es darum gehe, sich ein Basiswissen in diesen Bereichen anzueignen, sagte Gürbüz. «Mathe und Literaturanalyse kann man auch am besten im Internet lernen.»

Geht es nach dem Landesschülerbeirat, sollte die Zeit für den «Alltagsunterricht» nicht zusätzlich in den Lehrplan aufgenommen, sondern vom Religionsunterricht abgezweigt werden. Auf diesen dürfe schon aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht verzichtet werden, sagte Gürbüz. Sein Gremium spricht sich aber in seinem Programm dafür aus, die Stundenzahl für den Religionsunterricht zu reduzieren. «Religion sollte vor allem Privatsache sein», sagte der 20-Jährige.

Wie alltagstauglich muss Schule machen? Und was ist wichtiger: Literaturkenntnisse – oder über Versicherungen Bescheid zu wissen? Eine 17-jährige Schülerin hatte 2015 mit einer kurzen Notiz im sozialen Netzwerk Twitter eine Bildungsdiskussion in ganz Deutschland ausgelöst.

Nainas Kommentare im sozialen Netzwerk Twitter. Screenshot
Nainas Kommentar im sozialen Netzwerk Twitter. Screenshot

«Ich bin fast 18 und hab keine Ahnung von Steuern, Miete oder Versicherungen. Aber ich kann ’ne Gedichtsanalyse schreiben. In 4 Sprachen», so lautete die Kurznachricht der Gymnasiastin Naina unter @nainablabla. Über Nacht kam es zu einer breiten Internetdebatte über den Tweet. «Klar, wir lernen in der Schule wichtige Sachen. Aber niemand bringt uns bei, wie man später auf eigenen Beinen steht», so legte das Mädchen dann nach. Die Medien nahmen das Interesse der Netzgemeinde zum Anlass, breit über die beiden Stoßseufzer der Jugendlichen zu berichten. «Hart aber fair» widmete dem Thema eine ganze Sendung, News4teachers berichtete.

Auch der Aktionsrat Bildung, in dem sich die renommiertesten Bildungsforscher Deutschlands zusammengeschlossen haben, beschäftigte sich in einem Gutachten mit der Frage, ob Schule sich genügend um die Persönlichkeitsentwicklung von Kindern und Jugendlichen kümmert (News4teachers berichtete auch darüber). Ergebnis: Nein – Lehr- und Lernprozesse würden sich zu sehr auf die Vermittlung von Wissen beschränken. Wichtig sei vielmehr eine «mehrdimensionale Bildung». Deren Aufgabe sei es, Kinder, Jugendliche und auch Erwachsene «bei der Entwicklung einer verhaltenssicheren und lebensfähigen Persönlichkeit zu unterstützen». News4teachers / mit Material der dpa

Stellungnahme des VBE

Der VBE-Bundesvorsitzende Gerhard Brand hat die Forderung des Landesschülerbeirats zurückgewiesen, ein neues Unterrichtsfach für finanzpraktische Fragen einzurichten – schon gar, wenn dieses zulasten des Ethik- und Religionsunterrichts gehen soll.

„Diese Fächer verhandeln gesamtgesellschaftliche Fragen und Wertehaltungen: Wie gehen wir miteinander um, mit welchen Werten und Haltungen begegnen wir uns? In einer Zeit, in der die Gesellschaft auseinander zu driften droht und die politischen Ränder erstarken, sind dies genau die Fragen, die wir uns stellen müssen. Weiter weisen wir darauf hin, dass es immer wieder die Diskussion gibt, für Spezifika wie steuerrechtliche Fragen eigene Unterrichtsfächer einzurichten. Schulen haben aber vor allem den Auftrag, Kindern und Jugendlichen eine allgemeine Bildung und Wertehaltung zu vermitteln“, sagt Brand.

Dirk Lederle, stellvertretender Landesvorsitzender des VBE Baden-Württemberg und Schulleiter der Johanniterschule Heitersheim, ergänzt: „Das deutsche Steuerrecht ist ein Dschungel und von einer ungeheuren Komplexität geprägt. Dafür benötigt es speziell ausgebildete Fachberater, Lehrkräfte sind hierfür nicht qualifiziert. Darüber hinaus gibt es an den Schulen der Sekundarstufe I bereits das Fach Wirtschaft, Berufs- und Studienorientierung (WBS). Auf dem Bildungsplan stehen Marktmechanismen, Vertragswesen und das eigenständige ökonomische Handeln. Wenn, dann sind finanzpraktische Fragen in diesem Fach gut aufgehoben.“

„Essenziell“: Wirtschaftsminister Habeck wirbt für mehr ökonomische Bildung an Schulen

 

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