Website-Icon News4teachers

Debatte: Hausaufgaben abschaffen? Kretschmann: Hätte nichts dagegen – wenn…

Anzeige

STUTTGART. Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann hält nichts von schulischen Hausausgaben. „Ich habe fast nie Hausaufgaben gegeben, weil ich vom Sinn der Hausaufgaben, von ihrem Erfolg, nicht sehr überzeugt war“, sagte der Grünen-Politiker über seine Zeit als Lehrer. Die Linken-Vorsitzende Janine Wissler hatte die Debatte mit ihrer Forderung, Hausaufgaben abzuschaffen, angestoßen. Was meint die Wissenschaft? Die Effekte von Hausaufgaben sind tatsächlich überschaubar.

Hausaufgaben sind für viele Schüler eine Qual – eine unnötige? (Symbolfoto) Foto: Shutterstock

Er könne der Idee der Abschaffung von Hausaufgaben etwas abgewinnen, sagte Kretschmann – indem man verbindliche Ganztagsschulen einführe. Aber er wäre vorsichtig, Hausaufgaben ersatzlos ohne eine solche Alternative abzuschaffen. Seine persönliche Erfahrung als Lehrer sei diesbezüglich allerdings nicht verallgemeinerbar: Er habe nur Nebenfächer unterrichtet (nämlich Biologie, Chemie und Ethik), sagte Kretschmann. Wenn man mit seinen Schülerinnen und Schülern einen Sokrates-Dialog bespreche und den Kindern auftrage, daheim zu lesen, und dann zehn Prozent ihre Hausaufgaben nicht machten, müsse man das trotzdem im Unterricht lesen, sagte er. Das sei jedenfalls seine persönliche Meinung dazu.

„Gute Schüler werden durch Hausaufgaben nicht unbedingt noch besser…”

Die Linke-Vorsitzende Janine Wissler hatte sich für die Abschaffung von schulischen Hausaufgaben ausgesprochen. „Der alltägliche Hausaufgaben-Stress vergiftet das Familienleben, bedeutet Streit, Überforderung, Tränen und schürt Aggressionen“, hatte Wissler in einem Gastbeitrag für den «Tagesspiegel» geschrieben (News4teachers berichtete). Sie bezeichnete Hausaufgaben zugleich als „Outsourcing schulischer Aufgaben in die Familien“. Das vertiefe die Spaltung im Bildungssystem noch, wie das Homeschooling während der Corona-Krise deutlich gezeigt habe.

Anzeige

Was meint die Wissenschaft? Eine nach wie vor richtungsweisende Studie dazu, ob Hausaufgaben effektiv sind, stammt aus dem Jahr 1964. Damals beobachtete der Erziehungswissenschaftler Bernhard Wittmann Schülerinnen und Schüler aus dritten und sechsten Klassen in Duisburg, die in Deutsch und Mathemantik keine Hausaufgaben machen mussten – vier Monate lang. Anschließend schrieben die Kinder Tests.

Das Ergebnis: Im Rechnen zeigten nach Ablauf der vier Monate alle Klassen ohne Hausaufgaben sogar bessere Leistungen als die Klassen mit. In Orthografie verbesserten sich lediglich die Siebtklässler durch die Hausaufgaben, allerdings auch dort nicht alle. Wittmann zog damals die Schlussfolgerung, dass Hausaufgaben keinen Zuwachs an Kenntnissen und Fähigkeiten bei den Schülern bewirkten. „Es kann keine Wirksamkeit der Hausaufgaben behauptet werden.”

„… und schlechte Schüler begreifen durch bloßes Wiederholen noch lange nicht, was sie schon am Vormittag nicht richtig verstanden haben”

Fast ein halbes Jahrhundert später, 2008, bestätigten Wissenschaftler der TU Dresden den Befund. Rund 70 Prozent aller sächsischen Ganztagsschüler nehmen mehrmals in der Woche an Hausaufgabenbetreuungen teil. Rund 1300 Schüler und 500 Lehrer wurden zu den Auswirkungen befragt. Die Umfrage ergab, dass etwa ein Drittel der Lehrer zugab, nicht einschätzen zu können, ob Hausaufgaben den Schülern überhaupt irgendwas bringen. Bei etwa drei Viertel aller Schüler konnten die Lehrer keinerlei Effekte ausmachen.

„Gute Schüler werden durch Hausaufgaben nicht unbedingt noch besser”, so schlussfolgerten die Forscherinnen und Forscher, „und schlechte Schüler begreifen durch bloßes Wiederholen noch lange nicht, was sie schon am Vormittag nicht richtig verstanden haben.” Der Effekt auf die Zeugnisnote werde durch die Schularbeiten nicht beeinflusst – egal ob ein Kind die Mathe-Aufgaben direkt nach der Schule, nachts unter der Bettdecke oder überhaupt nicht mache.

Zu einem nicht ganz so vernichtenden, gleichwohl ebenfalls ernüchternden Ergebnis kam der neuseeländische Bildungsforscher Prof. John Hattie in seiner berühmten Metastudie, in der er die Effektstärken unterschiedlicher pädagogischer Maßnahmen miteinander vergleicht. Hausaufgaben rangieren bei den statistisch ermittelten Erfolgsfaktoren mit einem Wert von 0,29 relativ weit hinten.

Dabei ist zu differenzieren: In der Grundschule bringen Hausaufgaben praktisch nichts. Bei älteren Schülerinnen und Schüler sind durchaus Zuwächse bei den Lernleistungen auszumachen. Die Effekte von Hausgaben fallen bei leistungsstärkeren Schülern und Schülerinnen größer aus als bei leistungsschwächeren. Wirksam sind kurze, regelmäßige Hausaufgaben, die dem Üben und Wiederholen dienen und die von der Lehrperson genau kontrolliert werden. Aber auch hier gilt: Weniger ist mehr. „Die positiven Effekte von Hausaufgaben korrelieren negativ zur Dauer der Hausaufgaben“, schlussfolgert Hattie. News4teachers / mit Material der dpa

Schüler lassen sich Hausaufgaben bald von Künstlicher Intelligenz schreiben

 

Anzeige
Die mobile Version verlassen