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Warum gibt es noch immer keine Gesundheits-Fachkräfte an Schulen (trotz Lehrermangels)?

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BERLIN. Der Lehrermangel wächst sich aus, Kultusminister suchen händeringend nach Lösungen, um die Personalnot der Bildungseinrichtungen zu lindern. Angesichts dieser Situation fordern die Deutsche Diabetes Gesellschaft und der VBE, Gesundheitsfachkräfte in Schulen zu schicken (wie es in vielen Ländern der Welt üblich ist) – diese könnten einen wichtigen Beitrag zur Inklusion von chronisch erkrankten oder Kindern mit Behinderung leisten und damit das Lehrpersonal spürbar entlasten.

Schulkrankenschwestern, genauer: Gesundheitsfachkräfte, sorgen sich um die Gesundheit der Schülerinnen und Schüler. Foto: Shutterstock

Die Vermittlung von Wissen ist eine zentrale, aber bei Weitem nicht die einzige Aufgabe, die Lehrerinnen und Lehrer im Schulalltag erfüllen. Streitigkeiten müssen geschlichtet, Sorgen angehört und immer wieder auch gesundheitliche Fragen geklärt werden. „Lehrkräfte sind in der Vergangenheit mit einer Vielzahl an Aufgaben überhäuft worden, ohne dass die Politik Rahmenbedingungen geschaffen hätte, um diese auch erfüllen zu können. Um all das zu stemmen und den Herausforderungen eines modernen Schulalltags gerecht werden zu können, müssen dringend multiprofessionelle Teams, beispielsweise aus Schulsozialarbeiterinnen und -sozialarbeitern oder Schulgesundheitsfachkräften, in die Schulen. Darüber hinaus leisten sie einen unerlässlichen Beitrag bei der Gesundheitsprävention“, sagt Gerhard Brand, Bundesvorsitzender des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE).

Während Schulsozialarbeiter bereits heute an vielen Schulen arbeiteten, seien Schulgesundheitsfachkräfte jedoch leider noch die Ausnahme.

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Dabei wäre der Bedarf an medizinisch geschultem Personal hoch, und dies nicht primär für kleinere alltägliche Zwischenfälle – aufgeschürfte Knie oder plötzlich auftretende Bauchschmerzen. Diese sind zwar zeitraubend, aber meist harmlos. Wesentlich wichtiger wäre die Verfügbarkeit einer medizinisch ausgebildeten Ansprechperson für Kinder mit chronischen Erkrankungen wie einem Typ-1-Diabetes oder einer Behinderung. „Gerade für diese Kinder und ihre Familien stellt durch die zunehmende Ganztagsbeschulung der Schulbesuch eine große Hürde dar“, sagt Professor Dr. med. Andreas Neu, Präsident der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) und kommissarischer ärztlicher Direktor an der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin am Universitätsklinikum Tübingen.

Um schwerwiegende Diabetesfolgen zu vermeiden, müssen die jungen Patientinnen und Patienten auf ihre Ernährung achten, regelmäßig den Blutzucker messen und bei Bedarf Insulin spritzen. „Damit sind Kinder im Grundschulalter häufig überfordert“, berichtet Neu. „Was auch auf die Lehrer zutrifft – schließlich sind sie für solche Aufgaben weder zuständig noch ausgebildet.“ Die Teilnahme am regulären Schulbetrieb bliebe chronisch kranken Kindern unter diesen Voraussetzungen daher oft verwehrt. Immer wieder komme es vor, dass die Betroffenen vom Besuch der Regelschule ausgeschlossen würden, so der DDG-Präsident.

“Lehrkräfte übernehmen die medizinische Betreuung im Zweifelsfall, wenn der Besuch der Schule davon abhängt. Dies tun sie, auch wenn sie juristisch nicht abgesichert sind“

Oftmals seien es dann die Eltern, insbesondere die Mütter, die ihre Rolle als „Gesundheitsmanager“ ihrer Kinder auch in der Schule übernehmen und dafür die eigene Berufstätigkeit einschränken müssen. Immerhin 46 Prozent der betroffenen Familien berichten über relevante finanzielle Einbußen, die die Erkrankung ihres Kindes mit sich bringt. Brand ergänzt aus gewerkschaftlicher Perspektive: „Das Berufsethos der Lehrkräfte sorgt dafür, dass sie die Interessen des Kindes in den Vordergrund stellen und die medizinische Betreuung im Zweifelsfall übernehmen, wenn der Besuch der Schule davon abhängt. Dies tun sie, auch wenn sie juristisch nicht abgesichert sind.“

Auch wenn durchschnittlich nur eines von 500 Kindern an einem Typ-1-Diabetes erkrankt ist – der Bedarf an gesundheitsbezogener fachlicher Unterstützung ist insgesamt wesentlich höher. Im Rahmen eines Modellprojekts in Brandenburg wurde ermittelt, dass rund jedes 4. Kind einen medizinischen oder therapeutischen Unterstützungsbedarf hat. Hinzu kommen die Folgen der vielfältigen sozial-emotionalen Belastungen, unter denen viele Kinder seit den pandemiebedingten Schul- und Kitaschließungen zu leiden haben. „Zumindest an Grundschulen sollte es daher zum professionellen Schulgesundheitsmanagement gehören, eine Gesundheitsfachkraft im Team zu haben“, sagt Brand. Auch und gerade im Hinblick auf eine zunehmende Ganztagsbetreuung sei deren Expertise unverzichtbar.

“Ein professionelles Schulgesundheitsmanagement trägt zur Inklusion bei, stärkt die Familien und entlastet das System Schule“

Die Fachkräfte sind dabei nicht nur für kranke Kinder zuständig, sie sind auch allgemeine Ansprechpartner in Sachen Gesundheit. In dieser Funktion konzipieren sie Projekte und Unterrichtseinheiten zu gesundheitsrelevanten Themen wie Ernährung, Bewegung, Suchtprävention, Medienkonsum oder Mundhygiene. Auch damit nehmen sie den Lehrkräften, denen die gesundheitliche Aufklärung ansonsten obliegt, Arbeit ab. „Ein professionelles Schulgesundheitsmanagement trägt zur Inklusion bei, stärkt die Familien und entlastet das System Schule“, resümieren die Experten von DDG und VBE. In Modellprojekten und Studien hätten sich diese Vorteile bereits deutlich gezeigt. Nun sei es an der Politik, die Bedingungen dafür zu schaffen, dass Schulgesundheitsfachkräfte flächendeckend finanziert und etabliert werden können.

Hintergrund: In vielen Ländern weltweit sind Krankenschwestern oder (seltener) -pfleger an Schulen im Einsatz. In den USA zum Beispiel werden rund 45.000 Schulkrankenschwestern beschäftigt, in Großbritannien mehr als 2.600. Auch in Schweden und Finnland verfügen Schulen in der Regel über eine Gesundheitsfachkraft. News4teachers

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